Betonieren

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Radiokolleg

Versiegelte Erde

"Radiokolleg" über den sorglosen Umgang mit unserem Boden.

"Wenn die Flächeninanspruchnahme der vergangenen Jahre so weitergeht, dann haben wir im Jahr 2173 keinen produktiven Boden mehr in Österreich", erklärt Katharina Ritter, Juristin und Kuratorin der Ausstellung "Boden für Alle" vom Architekturzentrum Wien. In Österreich werden pro Minute 9,89 Quadratmeter gebaut. Das sind pro Stunde knapp 600 Quadratmeter. Eine Folge von individualisierten Wohnformen, Leerstand in Ortszentren und der Tatsache, dass es immer noch günstiger ist, neu zu bauen als Bestand zu sanieren - die langfristigen Folgen freilich nicht mitgerechnet. Das Einfamilienhaus mit Garten - und zugehörigen asphaltierten oder gepflasterten Parkmöglichkeiten - gilt für viele als erstrebenswerte Wohnform. Der Wunsch nach Individualität und Besitz, bei dem einen niemand "dreinredet", werden als Argumente angegeben, so Andrea Rieger-Jandl, Vizestudiendekanin des Studiengangs Architektur an der Technischen Universität Wien. Die damit zusammenhängenden Folgen werden oft nicht bedacht.

Asphaltieren, betonieren oder zupflastern ist Usus. Lkws und große Einsatzfahrzeuge können versiegelte Flächen problemlos befahren - das ginge auf Schotterstraßen zwar auch, doch Asphalt und Co. sind auch bei Regen halbwegs sauber, und die Schneeräumung funktioniert mit den gängigen Maschinen.

Asphaltnähte

ORF

"Natürlicher" Boden heizt sich nicht auf wie Beton

Jeder menschliche Eingriff bedeutet eine Veränderung für das betroffene Ökosystem. Boden ist nur die äußerste, im Regelfall belebte Schicht der Erdkruste. Belebt, weil unzählige Organismen und Kleintiere dort leben - eine faszinierende Welt für die Bodenökologin Julia Seeber von der Universität Innsbruck. Die Entwicklung einer ein Zentimeter dicken Humusschicht kann 100 bis 300 Jahre dauern. Boden speichert CO2. Er dient als Filter, durch den der Regen ins Grundwasser sickert. Ein "natürlicher" Boden heizt sich nicht auf wie Beton. Und: Wir brauchen freie Bodenflächen für die Lebensmittelversorgung in Anbetracht der globalen klimatischen Veränderungen - in Zukunft noch mehr als heute.

Der Wert des Bodens orientiert sich an der jeweiligen Widmung. Baugrund ist mehr wert als landwirtschaftliche Nutzflächen. Umwidmungen scheinen auf den ersten Blick sehr willkürlich - und sind es oft auch -, beziehungsweise ist es ein Geflecht aus Baurecht, Vertragsraumordnung und Flächenwidmungsplänen, das baulichen Entscheidungen zugrunde liegen sollte - und raumplanerische Überlegungen. Die örtliche Raumplanung fällt in den Wirkungsbereich der jeweiligen Gemeinde. Änderungen des Flächenwidmungsplans müssen von der Landesregierung als Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Freilich sind die Entscheidungsträger:innen in den Gemeinden oft nicht geschult, die Komplexität der Bodenfrage in all ihren Aspekten zu verstehen.

Es braucht Mut

Für strukturelle Veränderungen braucht es nicht nur neue Rahmenbedingungen. Die sind laut Expert:innen-Meinung nicht einmal so schlecht - wenn auch an vielen Stellen verbesserungswürdig. Es braucht Mut, neue Wege einzuschlagen. Einige Ortschaften setzen sich bewusst für eine Verdichtung und/oder Wiederbelebung der Ortskerne ein, um keine neuen Flächen zu verbauen. Ohne Kreisverkehre und Einkaufszentren rund um die Gemeinden spielt sich ein Teil des Alltags wieder im Ortszentrum ab. In Trofaiach in der Steiermark begann man 2015, sich für eine umfassende Wiederbelebung des Ortskerns zu engagieren. Für Bürgermeister Mario Abl ist es ein Puzzle, das noch lang nicht fertig sei, doch langsam ergebe sich ein Bild. Und: "Wenn man nur das Notwendigste verdichtet und asphaltiert, dann ist schon viel gewonnen." Für Mensch und Umwelt.

Gestaltung

  • Margit Atzler