Letzte Ausgabe der Wiener Zeitung

APA/ROLAND SCHLAGER

Aus der "Wiener Zeitung" wird die "WZ"

TikTok-Videos statt Feuilleton

Wie geht es weiter bei der "Wiener Zeitung"? Seit Juli gibt es sie ja nur mehr im Netz und dort nennt sie sich jetzt "WZ". Sie ist auch sonst nicht wiederzuerkennen. Statt der dicht gedruckten Zeilen in der Zeitung finden sich online bunt gestaltete Artikel, Videos und Podcasts. Man will vor allem die Jungen erreichen und "Menschen in Veränderung". Bedenken, dass der Bund als Eigentümer künftig zu viel mitreden wird, schmettern Redaktion und Geschäftsführung ab.

Bei der "Wiener Zeitung" bleibt kein Stein auf dem anderen. Das ist übrigens auch redaktioneller Kernauftrag. Den beschreibt Geschäftsführer Martin Fleischhacker so: "Wir haben als Zielgruppe ausgewählt: Menschen in Veränderung." Erhebungen hätten gezeigt, dass das gefragt sei, sagt auch die interimistische Chefredakteurin Katharina Schmidt, die das neue Produkt in den vergangenen Monaten mit-entwickelt hat und sie erklärt: "Das sind im ersten Schritt noch mal Personen, ungefähr zwischen 20 und 30 Jahren, die gerade neu in die Arbeit einsteigen, die die erste Wohnung bekommen, vielleicht die erste Familie gründen. Auf der anderen Seite sind das die älteren Personen, die in die Pension übertreten."

Katharina Schmidt

MARLA HOHLA

Katharina Schmidt

Zuerst die Jungen, dann die Alten

Einige Leser und Leserinnen, vor allem ältere, könnten aber auf dem Weg verlorengehen, wenn sie sich in der bunten Online-Welt nicht wiederfinden. Das nimmt die Redaktion in Kauf: "Die Gefahr besteht durchaus", sagt Schmidt. "Wir hoffen, dass wir sie trotzdem mit unserem neuen Angebot überzeugen können. Weil es ist gut. Wir haben ein tolles Team von tollen Redakteurinnen, Redakteuren, die sich wirklich auch gut auskennen in ihren Fachgebieten, und ich denke, dass es das wert ist, dass man uns eine Chance gibt, auch wenn es einfach anders ist als vorher." Lange Artikel gebe es weiterhin auch im Netz, ergänzt Schmidt.

Warum die Marke "WZ" besser sein soll

Die Marke "Wiener Zeitung" wird auf den Kopf gestellt. Obwohl es das erklärte Ziel der Regierung war, eben diesen Titel zu schützen, wurde er für das neue Produkt auf "WZ" verkürzt. Das entspreche dem Zeitgeist, erklärt Geschäftsführer Martin Fleischhacker und sagt, man habe lange darüber diskutiert. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass "WZ" bundesweit erfolgreicher sein werde als "Wiener Zeitung". Außerdem hätten ja auch andere Medienhäuser diesen Weg gewählt. "Wir reden auch über die NZZ, die FAZ, die SN, das ist nicht so ein ungewöhnlicher Schritt", meint Fleischhacker.

Demokratiebildung statt Tagesaktualität

Inhaltlich soll die "WZ" hintergründig sein, nicht tagesaktuell. Man will Zusammenhänge rund um die großen Themen der Zeit erklären, Demokratie-Bildung machen, lösungsorientiert sein. Laut Gesetz hat die "WZ" einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Das Ziel beschreibt Fleischhacker so: "Unser Ansatz zielt darauf ab, junge Menschen wieder zu Lesern für Qualitätsmedien zu machen und nicht nur für Leser der Wiener Zeitung, sondern für alle Medien." Deshalb werde auch zu anderen Medien verlinkt. Die Redaktion der neuen, alten "Wiener Zeitung" ist aber auf 20 Personen geschrumpft. Kann man mit so einem kleinen Team den hohen Qualitäts-Anspruch erfüllen? Katharina Schmidt ist zuversichtlich: "Natürlich. Das ist ja auch mit ein Grund, warum wir sagen, wir gehen von der Tagesaktualität weg, weil uns die Qualität wichtiger ist als die Tagesaktualität."

Unterstützung für Videos und Podcasts

Außerdem wird die Redaktion tatkräftig unterstützt, etwa vom Digital-Verlag "Hashtag". Der macht die Videoformate für TikTok, Instagram und YouTube. Die Podcasts werden mit Unterstützung durch die Produktionsfirma "Missing Link" gemacht. Das Know-how der beiden Häuser soll möglichst rasch in die "WZ"- Redaktion übertragen werden. Die Verträge mit den Unterstützern laufen mit Jahresende aus. Stefan Apfls "Hashtag"-Verlag bekommt für seine Starthilfe zwei fünfstellige Beträge, wie er sagt - also unter 200.000 Euro.

"Öffentlich-Rechtlicher Slow Journalism"

Seinen Auftrag beschreibt Apfl so: "Das ist eine öffentlich-rechtliche Version von Slow Journalism. Das bedeutet, wir entwickeln redaktionelle Themen entlang der großen Megaphänomene, sei das jetzt der Klimawandel, sei es Mobilität, seien es Wohnen, Arbeit. Das sind die Klassiker. Demokratie, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft." Die Aufträge werden gemeinsam mit der Redaktion der "Wiener Zeitung" erarbeitet, diese nimmt sie auch ab und trägt die Letztverantwortung. Der "Hashtag"-Verlag entwickelt drei Formate: ein Doku-Format auf YouTube namens "Umlaut Ö" mit 10- bis 12-minütigen Reportagen. Auf TikTok und Instagram gibt es "WZ-Daily", das ist ein aktueller Fünfzig-Sekünder - und "Inside Ibiza". Da werden in 36 Episoden die politischen Implikationen des Skandals erklärt.

Politische Einflussnahme? Nicht mit uns!

Inhaltlich lasse er sich nicht dreinreden, sagt Apfl: Es gebe keinerlei Grenzen, was Themen betrifft oder Zugänge. "Ich kann die politische Einflussnahme auf unsere redaktionelle Arbeit komplett ausschließen. Aus zwei Gesichtspunkten. Erstens, bisher hat sie nicht stattgefunden. Zweitens, es wäre mit uns auch nicht machbar." Damit sticht Apfl schon in das große Wespennest, das die Transformation begleitet: Wie unabhängig ist die neue "WZ"? Wieviel Einfluss hat der Bund als Eigentümer? Noch dazu wo Geschäftsführer Martin Fleischhacker als ehemaliger ÖVP-Funktionär in der Partei verankert ist.

Martin Fleischhacker

Martin Fleischhacker

MARLA HOHLA

Der Kanzler soll nichts zu reden haben

Die Redaktion will jedenfalls wehrhaft sein. Ein neues Redaktionsstatut ist derzeit in Ausarbeitung. Falls es nicht fertig wird, bis ein Chefredakteur oder eine Chefredakteurin fix bestellt ist, soll die alte Regel gelten, dass die Redakteure den Bewerber oder die Bewerberin auch ablehnen können, versichert Fleischhacker. Im Herbst werde die Position ausgeschrieben. Die Politik werde noch weniger Einfluss auf die Bestellung haben als bisher, sagt Fleischhacker. "Weil bisher laut Gesetz die Zustimmung des Eigentümers bzw. des Bundeskanzleramts einzuholen war, das ist nicht mehr so. Die Herausgeberschaft liegt bei der Wiener Zeitung GmbH. Damit hat die GmbH als Bundesunternehmen die Möglichkeit, das normal nach Stellenbesetzungsgesetz auszuschreiben, ohne sich irgendwo abzustimmen." Einflussnahme durch das Kanzleramt werde also nicht passieren, verspricht der Geschäftsführer, der noch immer Parteimitglied der ÖVP ist.

Nein-Sagen als der wahre Härtetest

Außerdem will die neue "WZ" auch kritisch und investigativ sein, wie etwa das "Inside-Ibiza" Format beweisen soll - und wie die interimistische Chefredakteurin Katharina Schmidt und Martin Fleischhacker betonen. Auf die Frage, wie sie reagieren, wenn sich Kanzler oder Minister und Ministerinnen anrufen und sich beschweren, sagt Schmidt: "Auflegen, natürlich." "Auf die Unabhängigkeit der Redaktion hinweisen", sagt Fleischhacker. Er würde also seinen Parteikollegen sagen, das interessiere ihn nicht? "Ganz sicher sogar", versichert er. Die neue "WZ" muss jetzt viele Zweifel ausräumen, die im Prozess um das Ende der "Wiener Zeitung" als Tageszeitung entstanden sind. Die neue alte Marke kann nur Erfolg haben, wenn sie glaubwürdig ist.

Mit Steuermillionen eine Übermacht im Netz?

Etwas über 7,5 Millionen Euro bekommt die "WZ" für ihren neuen Digitalauftritt vom Bund. Eine Summe, von der Zeitungsverlage nur träumen können. Wird die "WZ" also zur unlauteren Konkurrenz im Netz, gefüttert mit Steuergeld? Nein, meint Fleischhacker. Man mache ja keinen Tagesjournalismus und komme sich daher nicht in die Quere. Der Verband der Österreichischen Zeitungen VÖZ ist da ja besonders sensibel, wie man an seiner Kritik am Onlineangebot des ORF sehen kann. Die "WZ" werde man genau beobachten, sagt VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger. Allerdings war die "Wiener Zeitung" bis Juni 2023 Mitglied des VÖZ und sie ist noch immer außerordentliches Mitglied. Man kennt sich lang und gut und wird sich wohl abgesprochen haben. Die Gefahr, dass es zu einer Klage durch den VÖZ kommt, sieht Fleischhacker "völlig gelassen".

Wenn der Staat die Journalisten-Schulung zahlt

Auch das Praxis-Porgramm der "Wiener Zeitung" ist sehr umstritten. Weil der Bund diese Ausbildung finanziert. Alexandra Föderl-Schmid fasst es in der "Süddeutschen Zeitung" so zusammen: "Das ist die Institutionalisierung von Message Control." Mit der Ausbildung unter der Ägide des Bundeskanzleramts könne der journalistische Arbeitsmarkt künftig zentral gesteuert werden. Mit Medienfreiheit und Demokratie passe das nicht zusammen, sagt auch der Presseclub Concordia. Mitbewerber würden dank der fetten staatlichen Förderung an den Rand gedrängt; dem Nachwuchs werde beigebracht, PR für die Regierung zu machen.

Trainee-Programm soll massiv ausgebaut werden

Der Geschäftsführer der "Wiener Zeitung", Martin Fleischhacker, kann die ganze Aufregung null nachvollziehen. Einen Interessenskonflikt gibt es für ihn nicht. "Weil hier quasi unabhängige Redaktionen junge Journalisten ausbilden. Der einzige wesentliche Förderansatz ist, dass wir den jungen Journalisten eine Art Kollektivvertrag bieten, sie nicht in prekäre Beschäftigungsverhältnisse bringen und ihnen die Möglichkeit geben, im Journalismus Fuß zu fassen." Das sei eine gute Sache, versucht Fleischhacker zu beruhigen. Die gesetzlich festgelegten sechs Millionen Euro stünden für den "Mediahub" insgesamt zur Verfügung. Nicht einmal die Hälfte davon werde in das Praxisprogramm fließen, die Bezahlung der Trainees nach dem journalistischen Kollektivvertrag mache dabei den größten Budgetbrocken aus. Das Programm soll auch massiv ausgebaut werden: Bis zu 36 Trainees sollen jährlich mitmachen, aktuell sind es 16.

Werden die Kooperationspartner zum Feigenblatt?

Viele Fragezeichen gibt es auch bei den Lehrinhalten und Vortragenden. Wer sucht sie aus und wer kontrolliert? Fleischhacker verweist auf die Kooperationspartner. Sie sind in den vergangenen Tagen selbst gehörig in Erklärungsnot geraten. Mit an Bord sind unter anderem "profil" und "Dossier" - renommierte kritische Medien also. Dort schnuppern und lernen können, das lockt junge Menschen genauso an wie die vergleichsweise gute Bezahlung, wie mehrere Trainees #doublecheck erzählt haben. Aber machen sich die Medien damit zum Feigenblatt einer fragwürdigen Konstruktion? Florian Skrabal, Chefredakteur von "Dossier": "Die Sorge, dass wir als Feigenblatt benutzt werden, habe ich nicht. Ich möchte auch nicht verteidigen, was ich nicht gut finde. Ich finde die Konstruktion dahinter miserabel. Ich finde, das ist das Produkt einer fehlgeleiteten Medienpolitik. Nur: in der Sache machen wir das, was unsere DNA ausmacht - junge Menschen im Journalismus auszubilden."

Eine Einmischung in die redaktionelle Unabhängigkeit von "Dossier" sei per Vertrag ausgeschlossen. "Es gibt eine Verschwiegenheitsklausel, dass die Trainees, die zu uns kommen, nicht einmal der Wiener Zeitung sagen dürfen, woran sie arbeiten. Das war uns wichtig. Wenn es diesen Versuch gegeben hätte, irgendwann auf Dossier oder auf unsere Arbeit Einfluss zu nehmen, dann wäre man wohl nicht mehr dabei", sagt Skrabal.

Vermischung von PR und Journalismus

Im Raum steht auch der Vorwurf, Partner-Medien bekommen gratis Arbeitskräfte in die Redaktion gesetzt, das Gehalt zahlt immerhin der Bund - gerade für die finanzschwache Branche ein nettes Zuckerl. Und wer sieht da schon kritisch hin? "profil"-Chefredakteurin Anna Thalhammer sagt, es sei genau andersrum: Nachwuchs auszubilden koste Geld und Zeit. "Das sind junge Menschen, die lernen wollen, wie ordentlicher Journalismus funktioniert. Bevor ich sie versauern lasse in irgendwelchen Content-Agenturen, sollen sie doch bitte zu uns kommen und was lernen", sagt Thalhammer. Eben diese Content-Agentur der "Wiener Zeitung" sorgt ebenso für Kopfschütteln. Teilweise wurden Trainees bisher auch bei dieser PR-Stelle eingesetzt. Von mangelnder Sensibilität, was die Trennung von PR und Journalismus angeht, ist die Rede, auch unter den Betroffenen - andere sagen, sie waren froh, verschiedene Bereiche kennenzulernen.

Mehr Transparenz wäre gefragt

Doch im Extremfall schreiben Trainees einmal kritische Artikel über die Regierung, dann nette Texte für die Verwaltung. Eigentlich ein klares No-Go. Fleischhacker sagt, er verstehe die Kritik, aber er stellt in den Raum, dass viele Journalistinnen und Journalisten schon einmal im Auftrag etwas geschrieben haben. "Ich glaube, dass sie alle fähig sind, diese Grenze zu ziehen. Aber wir werden es diskutieren." Mehrere ehemalige Trainees, mit denen #doublecheck gesprochen hat, berichten, dass sie von einer politischen Färbung ihrer Ausbildung bisher nichts gespürt hätten. Klar sei aber auch, dass das Konstrukt prinzipiell ausgenützt werden könnte - sollte eines Tages jemand im Kanzleramt sitzen, der nichts von Medienfreiheit hält. Und mit der schiefen Optik müssen sich die Trainees jetzt schon herumschlagen. Mehr Transparenz würde auch ihnen helfen.

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