Eva Schindlauer, Roland Weißmann, Harald Kräuter und Ingrid Thurnher

APA/ROLAND SCHLAGER

ORF kämpft um größere Akzeptanz

Die Vertrauenskrise als Auftrag

Der Nationalrat hat mit der Regierungsmehrheit von ÖVP und Grünen die ORF-Novelle beschlossen, die mit der Haushaltsabgabe eine nachhaltige Finanzierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bringt. Die brüchig gewordene Akzeptanz beim Publikum kann sich der ORF damit nicht kaufen, die muss er sich erarbeiten. Die Unternehmensstrategie dazu hat schon einen Namen: "ORF für alle". Der Generaldirektor verspricht nicht mehr und nicht weniger als einen Kulturwandel.

Ausgerechnet der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer von der FPÖ musste den Beschluss der ORF-Novelle verkünden. Hofer war in der schwarzblauen Regierung eine der Speerspitzen für die Abschaffung der GIS-Gebühr mit dem Ziel, den ORF zu schwächen. Sein Nachfolger an der FPÖ-Spitze bleibt auf dieser Linie, sie ist mittlerweile ein blauer Marken-Kern. Herbert Kickl malt in der Debatte einen freiheitlichen Volkskanzler an die Wand: "Dann wollen wir diese Haushaltsabgabe rückgängig machen. Das steht ganz, ganz oben auf der Liste. Dann wird diese Zwangsteuer wieder abgeschafft. Ich sage das nur den Planern im ORF, dass sie nicht zu weit in die Zukunft rechnen."

ORF Küniglberg

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"ORF ist unabdingbar für die Demokratie"

Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer hält dagegen: "Der ORF ist - anders als die Freiheitlichen das hier darstellen wollen - unabdingbar für die österreichische Demokratie. Er versorgt uns mit gesicherten und überprüften Informationen, das ist gerade in Zeiten von Fake News, die Sie ja gerne verbreiten, Herr Kickl, wichtiger denn je." Es geht heiß her im Hohen Haus, die restliche Opposition ist pro ORF, hat aber inhaltliche Einwände. Die neue Mediensprecherin der SPÖ, Muna Duzdar, beklagt, dass der ORF-Beitrag nicht sozial gestaffelt ist.

SPÖ kritisiert Beitrag, NEOS fehlt Gremienreform

Duzdar stellt aber auch grundsätzlich klar: "Wir wollen nicht Ungarn werden. Wir wollen nicht so wie unser Nachbarland in eine Situation kommen, wo Medienunternehmen von Oligarchen besessen werden, die befreundet sind mit einem Regierungschef. Der ORF ist ein Garant für unsere Mediendemokratie." Und Henrike Brandstötter von den NEOS kritisiert in aller Schärfe, dass eine Reform der ORF-Gremien ausbleibt - im Herbst wird daher der Verfassungsgerichtshof entscheiden, ob die zu regierungsnah sind oder nicht. "Diese nicht gemachte Gremienreform wird, bereitet das Feld auch für eine FPÖ, die dann einen ORF vorfindet, der hergerichtet ist, wo sie den Durchgriff haben", warnt Brandstötter.

Medienministerin feiert ihren ORF-Rabatt

ÖVP-Medienministerin Susanne Raab war es wichtig herauszustreichen, dass der ORF-Beitrag mit 15,30 Euro billiger sein wird als die geltende GIS-Gebühr. "Für all jene, die bisher brav die GIS Gebühr gezahlt haben, muss es zu einer Entlastung kommen. Das sind 3,2 Millionen Menschen. Und zum Zweiten kann das nur gelingen, wenn der ORF selbst spart." Und das muss der ORF auch. 325 Millionen Euro müssen bis 2026 durch strukturelle Maßnahmen aufgebracht werden.

Weißmann will 300 junge Mitarbeiter holen

Der Personalstand wird weiter sinken, Generaldirektor Roland Weißmann nennt erstmals eine Dimension. "Wir haben ja in den kommenden fünf Jahren einen natürlichen Abgang von rund 500 Personen. Wir werden hier Einiges nicht nachbesetzen können. Aber natürlich werden wir für die neuen, vor allem auch digitalen Produkte neue junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Haus holen." Wie wird das Verhältnis ausschauen, wie viele Stellen werden nachbesetzt? Weißmann: "Zwei Drittel zu ein Drittel wäre ein Ziel, das wir verfolgen."

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher über seine Personal-Pläne.

Sprich: 300 von den 500 Stellen mit Jungen nachbesetzen, vielleicht werden aber auch 300 Stellen eingespart, wenn es wirtschaftlich so rau bleibt, schränkt der ORF-Chef ein. Es soll insgesamt kostengünstiger produziert werden. Auch durch technischen Wandel. Ab Jänner 2024 soll der neue Player, für den noch ein Name gesucht wird, die Plattform des ORF im Internet sein. Es wird mehr Angebot geben, und es wird deutlich länger als sieben Tage verfügbar sein.

"Weil die Politik beim Lügen erwischt worden ist"

Alles für die Akzeptanz. Dem ORF weht seit geraumer Zeit auch ein rauer gesellschaftlicher Wind entgegen. Günther Ogris vom SORA-Institut kennt die Daten. "Im ländlichen Raum sind es Männer bis 50 ohne Matura, die besonders kritisch dem ORF gegenüberstehen und diese Proteste auch stärker formulieren, als sie früher das je formuliert hätten. Daher sind diese Proteste im ORF stärker spürbar, als sie das früher waren." Der ORF, der als Institution gesehen werde, sei von der politischen Entwicklung mitgefangen. Ogris: "Viele Institutionen, die nahe an der Politik sind, haben Vertrauen verloren. Das hängt ganz stark zusammen mit den Skandalen, also mit dem Ibiza-Skandal und der Beinschab-Affäre – da wurde ja sozusagen das Zentrum der Politik beim Lügen erwischt."

Öffentliche-Rechtliche sind überall unter Druck

Der Vertrauensverlust trifft auch öffentlich-rechtliche Medienhäuser in anderen Ländern. Die britische BBC ist laut Digital News Report zwischen 2018 und 2022 regelrecht abgestürzt, von 75 auf 55 Prozent Vertrauen durch das Publikum. Der ORF hat in dem Zeitraum von 66 auf 62 Prozent verloren, auch ZDF und ARD haben verloren. Der Medienwissenschafter Josef Trappel: "Das ist ein generelles Phänomen, das wir in den europäischen Ländern beobachten. Österreich ist keine Ausnahme, und trotzdem ist es eine Aufgabe des ORF, hier wieder Vertrauenswerte zu gewinnen, die eines öffentlich-rechtlichen Senders würdig sind."

Kickl erklärt den ORF zum Teil der Machtelite

Denn im Zuge der Pandemie und mit den Fehlern im Krisenmanagement hat sich das negative Stimmungsbild verfestigt. Wie die AfD in Deutschland und die SVP in der Schweiz hat die FPÖ daraus parteipolitisches Kleingeld gemacht. Herbert Kickl hat es in der Debatte im Parlament drastisch vor Augen geführt mit Formulierungen wie dieser: "Ihre elitären Freunde, in diesem Fall in der Führungsmannschaft des ORF, und da meine ich das Management genauso wie die angebliche journalistische Elite des Landes" – oder dieser: "Überall, wo es ein teures Buffet und eine VIP-Lounge gibt, die etwas auf sich hält, sind die mit dabei. Das ist die Tätigkeit der Direktoren."

Der Frontalangriff gegen die angebliche Machtelite im ORF hat echtes Drohpotenzial. Die FPÖ liegt in den Umfragen schon länger an erster Stelle, die ORF-Novelle ist nicht mit einer Zweidrittelmehrheit abgesichert, eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung könnte mit einfacher Mehrheit alles umdrehen.

Neue Strategie "ORF für alle" als Gegenrezept

Die neue Unternehmens-Strategie "ORF für alle" soll dieses Szenario verhindern. Basis ist eine Umfrage des Integral-Instituts mit einem Sample von 1000 Befragten. Demnach finden es 75 Prozent sehr oder eher wichtig, dass es den ORF gibt. Um die 25 Prozent, die den ORF eher nicht oder gar nicht wichtig finden, geht es. Roland Weißmann: "Das Publikum finanziert uns, und deswegen müssen wir schauen: Machen wir auch allen ein Angebot? Es ist nicht so, dass wir willfährig wären in der Berichterstattung. Aber der ORF hat eine sehr hohe Relevanz in der Berichterstattung. Und natürlich müssen wir neben der Relevanz auch an der Akzeptanz arbeiten."

ORF-Chef Weißmann erklärt, was er unter "Quality Checks" versteht.

Das Strategie-Konzept des ORF-Chefs sieht unter anderem sogenannte Quality-Checks vor, also ob die Redaktionen ausgewogen arbeiten. Eingriffe in der Unabhängigkeit der Redaktionen schließt Weißmann aus. "Quality Checks machen natürlich die Journalistinnen und Journalisten selbst", sagt er. Gemeint ist Sendungskritik, wie sie in der ORF-Information schon gemacht wird. Für Bereiche, wo das fehlt, soll Qualitätskontrolle als Auftrag für die Chefredakteure festgeschrieben werden, so der Generaldirektor.

Gegen "False Balance" und gegen Aktivisimus

Dass dieser Vorstoß zu "False Balance" führen könnte, also zu einem zu großen Gewicht etwa von Klimaleugnern, das sieht Weißmann so nicht. "False" heiße ja falsch, das habe im ORF keinen Platz. "Der Klimawandel ist eines der großen Themen der Zeit. Das ist ganz klar. Dem haben wir uns gewidmet und dem werden wir uns widmen. Es ist aber ganz klar und wenn es da Unschärfen geben sollte, dann werden wir die in Zukunft diskutieren: Wir stehen für Klima-Journalismus, Klima-Aktivismus findet im ORF nicht statt."

Neue Dialog-Formate rücken zum Publikum

Neue, auch regionale Dialog-Formate sollen die Akzeptanz ebenfalls erhöhen, Rückmeldungen des Publikums würden dann in das Programmangebot einfließen. Schon im Herbst wird es einen Pflege-Schwerpunkt im ORF-Programm geben. SORA-Geschäftsführer Günther Ogris sieht darüber hinaus auch "starke Bedürfnisse im Konsumentenschutz, im Mieterschutz, wenn es um Fragen der Einkommensgerechtigkeit geht, die der ORF ebenfalls aufgreifen könnte. Und er muss Leute, die das Gefühl haben, dass diese Gesellschaft sich überhaupt nicht um sie kümmert, mitnehmen."

In Sachen Transparenz soll der ORF neue Maßstäbe setzen, sagt ORF-Generaldirektor Weißmann im #doublecheck-Interview.

Zu einer neuen Kultur der Verantwortung zählt für ORF-Chef Roland Weißmann auch die Ethik-Kommission, die bis Jahresende Leitlinien für Unvereinbarkeiten etwa bei Nebenjobs ausarbeiten soll. Der ORF habe da jetzt eine Vorreiterrolle: "Eine gewisse Transparenz steht einem öffentlich- rechtlichen Sender gut an", sagt Weißmann. Unter anderem werden Gehälter über 170.000 Euro im Jahr ab 2024 namentlich offengelegt, auch Nebenbeschäftigungen. Veröffentlicht wird auch, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf sieben Gehaltsstufen von unter 50.000 bis über 300.000 Euro pro Jahr aufteilen. Und auch Nebeneinkünfte müssen in fünf Kategorien offengelegt werden. Ob das die Eliten-Erzählung der Populisten dann bremst oder befeuert, wird sich weisen.

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