Spielräume und Jazznacht

Zum 80. Geburtstag von Michael Mantler

Mit Michael Mantler feiert ein Komponist und Trompeter seinen 80. Geburtstag, der in den 1960er Jahren Jazzgeschichte geschrieben hat. Und der heute neu entdeckt werden will.

Am 10. August 2023 feiert Michael Mantler seinen 80. Geburtstag. Der in Wien geborene, in St. Pölten aufgewachsene Trompeter und Komponist hat in den 1960ern tiefe Spuren in der damaligen New Yorker Avantgarde-Jazz-Szene hinterlassen: Das 1968 aufgenommene Doppel-Album mit seinen Kompositionen, ausgeführt von hochkarätigen Free-Jazz-Solisten von Pharoah Sanders bis Cecil Taylor und dem Jazz Composer's Orchestra, gilt als Klassiker der Jazzgeschichte.

Der berühmteste unbekannter Musiker

Jemand hat ihn einmal als den berühmtesten unbekannten Musiker aus Österreich bezeichnet. Was damit zu tun hat, dass der in Wien geborene und in St. Pölten aufgewachsene Michael Mantler schon im zarten Alter von 19 Jahren auszog, um in den USA als Jazztrompeter sein Glück zu suchen. Und auch damit, dass Mantler diese Jazzvergangenheit seit den 1970ern sukzessive abgestreift und sich als Komponist u. a. von oratorienhaften zyklischen Werken mit Sängern und Sängerinnen wie Marianne Faithfull, Jack Bruce und Robert Wyatt einen Namen gemacht hat, beeinflusst von Rock, Jazz, Minimal Music und klassischer Moderne.

Tatsächlich ist Michael Mantler neben Joe Zawinul der einzige Österreicher, der die Jazzhistorie um einen allgemein anerkannten Beitrag bereichern konnte: Das Doppelalbum des stargespickten Jazz Composer’s Orchestra, das 1968 unter seiner Leitung in New York City entstand, ist legendär: Mantler, damals mit Komponistin Carla Bley verheiratet, gelang in seinen Kompositionen das Kunststück, die überschäumenden freien Improvisationsenergien von Solisten wie Cecil Taylor, Larry Coryell oder Pharoah Sanders in schlüssige Formen einzufassen.

Michael Mantler

PICTUREDESK.COM/STARPIX

Aufbruch in andere musikalische Gefilde

Die ruhmreiche Vergangenheit ist mitunter später zur Bürde geworden. Ist für viele Michael Mantler doch bis heute der Free-Jazz-Musiker von einst geblieben. Wiewohl der St. Pöltner Apothekersohn, der nach vielen Jahren in den USA seit 1991 in Kopenhagen und Südfrankreich lebt, längst in andere musikalische Gefilde aufgebrochen ist. Dennoch wurde er als Komponist im zeitgenössischen Konzertbetrieb, wo für seinesgleichen durchaus Raum sein sollte, nie wirklich zur Kenntnis genommen. Bedauerlicherweise, eignet Mantlers Musik in ihrer getragenen Aura, in den schwebenden, freitonalen Klangfeldern und den diskret eingewobenen improvisierten Stimmen doch genuin eigenes Profil.

In den vergangenen 15 Jahren beschäftigte sich Michael Mantler auch mit der Sichtung und Überarbeitung älterer Werke: So wurden die Programme "The Jazz Composer's Orchestra Update" (2014) und "Coda - Orchestral Suites" (2021) bei ECM veröffentlicht. In dieser Zeit ist der Wiener Jazzclub Porgy & Bess zur wichtigen Basis für Mantlers Projekte avanciert - notgedrungen und im Bewusstsein, dass dies die Aufgabe größerer Musikinstitutionen sein sollte, die über entsprechende Ressourcen verfügen.

Im September im Porgy & Bess

An sich hat Mantler angekündigt, keine neue Musik mehr schreiben zu wollen - angesichts der bereits vorliegenden Werke, die oft nur einmal aufgeführt worden sind. Der Hartnäckigkeit des britischen Klarinettisten Gareth Davis ist es zu verdanken, dass Mantler Ausnahmen macht: Davis wird auch am 26. September 2023 im Porgy & Bess dabei sein, wenn Mantler Neufassungen von Liedern nach Texten von Samuel Beckett, Paul Auster, Harold Pinter u. a. vorstellt. Mit John Greaves, bekannt aus der britischen Artrock-Band Henry Cow, und Annie Barbazza als Gesangssolist:innen.

Anlässlich seines 80. Geburtstags widmet Ö1 Michael Mantler einen Schwerpunkt. Und vielleicht ist das Anniversarium ja für manche ein Anlass, diese schillernde, heimatlose Figur zwischen vielerlei Genre-Stühlen, erstmals - oder aber von Neuem - für sich zu entdecken.

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