Walter Arlen

APA/GEORG HOCHMUTH

Ö1 Archiv

Komponist und Musikkritiker Walter Arlen mit 103 Jahren verstorben

Erst 2011 wurde der von den Nationalsozialisten vertriebene Komponist und Musikkritiker Walter Arlen in seiner Heimatstadt Wien gewürdigt - dann aber richtig: Mit einem Ö1 Gesprächskonzert und der Überreichung des Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien. Und zum 100. Geburtstag 2020 feierte man den Jubilar ausgiebig im Filmarchiv und im ORF. Nun ist Künstler hochbetagt im Alter von 103 Jahren verstorben, wie die Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw) vermeldet.

Walter Arlen im Gespräch

Im Rahmen einer Matinee im Wiener Volkstheater am 6. November 2011 sprach Michael Kerbler mit dem Komponisten. Die Aufzeichnung wurde am 24. November 2011 in Ö1 gesendet.

Walter Arlen war einer der Letzten jener Epoche, die so klingende Namen wie Billy Wilder oder Hedy Lamarr, Erich Wolfgang Korngold oder Arnold Schönberg umfasste. Am 31. Juli 1920 wurde Walter Arlen als Walter Aptowitzer in Wien- Ottakring geboren worden, als Sohn von Mina Dichter und Michael Aptowitzer. Die Familie lebte im Geschäftshaus der Großeltern Leopold und Regine Dichter, den Gründern und Besitzern des "Warenhauses Dichter".

Hier war es auch, wo ein Verwandter, der später in den USA als Psychologe zum "Vater der Motivforschung" gewordene Ernest Dichter, eine Grammofonanlage zur Musikbeschallung installiert hatte - eine unerhörte Innovation in der damaligen Zeit. "Mir hat das so gefallen, dass ich die Lieder mitgesungen habe." Damals darunter: das populäre Wienerlied "Wenn die letzte Blaue geht", das Arlen im Jahr 2000 als eine seiner letzten Kompositionen paraphrasierte.

Die Liebe zur Musik

Das Gesangstalent des Buben war jedenfalls damals so auffällig, dass er als Fünfjähriger dem später als Verfasser des Schubert-Werksverzeichnisses berühmt gewordenen Musikwissenschafter Otto Erich Deutsch vorgestellt wurde. Dieser konstatierte absolutes Gehör und empfahl Klavierstunden und Musikausbildung. Doch weder diese Expertise noch Konzert- und Opernerlebnisse an der Seite seiner Eltern begründeten - von Klavierstunden abgesehen - eine solide musikalische Ausbildung. "Ich war für die Übernahme der Leitung im Warenhaus vorgesehen. Als ich mit 15 endlich den Mut hatte, meine Eltern nach Stunden in Harmonielehre und Komposition zu fragen, war die Antwort: Mach' zuerst deine Matura", erzählte Arlen 2011 im APA-Interview.

1938 - Repression und Flucht

Walter Arlen ist 18 Jahre alt, als im März 1938 die Nationalsozialisten in Österreich einmarschieren. Das Warenhaus des Großvaters wird innerhalb weniger Stunden beschlagnahmt. In der Nacht vom 12. auf den 13. März 1938 dringen SA-Männer in die Wohnung ein. Bargeld, Briefmarken, Familienschmuck werden mitgenommen und auf einem Geschäftspapier aufgelistet, was Jahre später eine Entschädigungszahlung verhindert, da es als "Geschäftseigentum", und nicht als "Privateigentum" angesehen wird.

Der Vater kommt nach Dachau, später nach Buchenwald. Das Warenhaus Dichter wird im März 1938 vom Bankhausbesitzer Edmund Topolansky "arisiert", er übernimmt es um ein Drittel seines wahren Wertes, der Kaufpreis wird aus den Erträgen des Kaufhauses bezahlt.

Dank US-amerikanischer Verwandter gelang dem 18-Jährigen schließlich am 14. März 1939 die Ausreise in die USA, seiner Mutter und seiner Schwester gelingt die Flucht nach London.

In den USA begann er unter neuem Namen, sich eine Existenz aufzubauen, "aber mit der Musik war zunächst einmal Schluss". Die Unterstützung der Familie Pritzker sicherte das ökonomische Überleben: "Fanny Pritzker hat ihrem Pelzhändler gesagt: Give him a job. Und er hat geantwortet: Yes, Mrs. Pritzker."

Das Wort "Emigration" ärgerte ihn bis zuletzt. "Wir wurden hinausgeschmissen", sagte Arlen noch 2007. Damals hatte er im Nationalfond eine endgültige Verzichtserklärung das einstige familieneigene Warenhaus "Dichter" betreffend unterschrieben. Just im gleich Jahr wurde das historische Gebäude in der Wiener Brunnengasse abgerissen.

Doch noch Musik

Dennoch wurde aus Walter Arlen letztlich kein Kürschner, und er landete am Ende doch bei der Musik: 1947 wurde er Assistent des Komponisten Roy Harris, 1952 begann seine Arbeit als Musikkritiker bei der "Los Angeles Times", in unzähligen Konzerten lernte er und große Komponisten und Interpreten persönlich kennen - Igor Strawinksky, Aaron Copland, Jascha Heifetz und viele andere.1969 gründete er die Musikabteilung an der Loyola Marymount University in Los Angeles, deren Vorstand er bis 1998 war. "Ich habe nie viel verdient, aber immer viel gearbeitet", lautet seine Lebensbilanz.

Selbst zu komponieren, das hat Walter Arlen erst in der Pension wieder aufgenommen. "Das war ein Blödsinn, dass ich so lange nichts geschrieben habe. Aber ich habe immer befürchtet, dass dann jemand sagen könnte: 'Der schreibt so an Dreck - und mich kritisiert er'", resümierte der Jubilar in einem "Kurier"-Interview. Dennoch umfasst sein Oeuvre heute Kammermusik, Lieder, Songs und Stücke für Klavier.

Späte Aussöhung mit Wien

Mit seiner Geburtsstadt Wien, die wiederzusehen bei der ersten Rückkehr 1965 auch aufgrund des nicht versiegten Antisemitismus und der geringen Restitutionsanstrengungen schmerzhaft war, hat Walter Arlen erst in letzten 20 Jahren seinen Frieden gemacht. Sichtbares Zeichen: Arlen hatte seinen Vorlass der Musiksammlung der Wienbibliothek übergeben.

Die mdw nun zollte Arlen in einer Stellungnahme ihren Respekt: "Arlens Bereitschaft, seine Lebensgeschichte mit dem Exilarte Zentrum der #mdwwien zu teilen, zeugt von seinem Bedürfnis, das öffentliche Verständnis für das Thema "Exil" stark zu fördern. Seine Musik, die schon weltweit Herzen und Seelen berührte, lebt in der laufenden Arbeit des Zentrums weiter, wo sie auch in der Zukunft eine Inspirationsquelle für zahlreiche Interpret_innen bleiben wird!"

"Walter Arlen hat uns seine Kunst nicht vorenthalten, nein, er hat Brücken nach Österreich geschlagen. Er hat uns mit seinen Werken, die seine schmerzhaften Erinnerungen in die universelle Sprache der Musik übertrugen, Momente des Glücks und der Bewegtheit geschenkt. Walter Arlen war ein lebendiges Beispiel für die Kostbarkeit des Lebens und für den Glauben an Versöhnung", reagierte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in einer Aussendung.