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Reset im Regenwald
Über den Hype um die Pflanze und Lifestyle-Droge Ayahuasca.
20. Oktober 2023, 11:30
Da liege ich nun auf dem Holzboden des offenen Rundbaus irgendwo im Amazonas-Tiefland von Peru. Es ist stockdunkel, der Schamane singt in einer Sprache, die ich nicht verstehe, und schlägt dazu unentwegt seinen Fächer aus harten, trockenen Blättern auf den niederen Tisch vor sich, während sich draußen ein Gewitter ankündigt. Um mich her acht oder zehn andere Menschen aus westlichen Ländern, die ebenso wie ich auf eine Erfahrung aus sind. Eine möglichst tiefe Erfahrung, die das Dasein verändern, den Seelenschmerz, die Depression oder einfach nur die Frustration vertreiben soll, die das Leben verschattet. Drüben schluchzt jemand laut, jemand übergibt sich, jemand geht zum Klo - alles muss raus. Ayahuasca geht zuerst einmal in die Eingeweide.
... nach Gold, Kautschuk, Holz und Erdöl geht es diesmal um eine Liane ...
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Auch ich habe eben von dem bitteren Sud getrunken. Aber zugleich bin ich auf Recherche, das Aufnahmegerät läuft. Ist eine innere Erfahrung so überhaupt möglich? Kann da die Pflanze zu mir sprechen, wie es hier heißt? Oder versuche ich mich an der Quadratur des Kreises, solang das rote Lämpchen leuchtet, solang Kontrolle und Hingabe miteinander ringen? Und ist dem Reporter nicht sowieso eher Distanz geboten, wenn neuerdings Tausende von Menschen aus dem Westen einmal mehr über das Land der Indigenen herfallen? Denn nach Gold, Kautschuk, Holz und Erdöl geht es auch jetzt wieder um Rohstoff, diesmal aber um die Liane, aus der Ayahuasca gekocht wird. Und um geistigen Rohstoff: das Wissen der Heiler, das nun gestressten Menschen aus der ganzen Welt wieder auf die Beine helfen soll.
Ein Knäuel von Widersprüchen
Das ganze Setting ist ein einziges Knäuel von Widersprüchen. Es fängt schon mit dem Ort an: von Urwald oder Dschungel ist die Rede - die Wörter rufen bei Europäer:innen Bilder unberührter, "wilder" und immer auch irgendwie gefährlicher Landschaft hervor, bevölkert von ebenso "wilden" Menschen, denen nun auch noch Weisheit zugesprochen wird. Eben genau das Gegenteil unserer "Zivilisation".
Doch die Ursprünglichkeit, die da postuliert wird, löscht die Geschichte dieser Menschen ebenso aus wie die Geschichte der Kolonisierung. Eine Kolonisierung, die durch Mord, Versklavung und eingeschleppte Krankheiten innerhalb einiger Jahrzehnte 90 Prozent der Bevölkerung des Amazonasbeckens vernichtete.
Indigene werden ungestraft umgebracht
Die Gewalt hat nie geendet: Bis heute werden Indigene ungestraft und von der Welt weitgehend unbemerkt umgebracht, wenn sie den Profitinteressen im Weg stehen. Der "gute Wilde" und der "tote Wilde" sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Traumata, die die Kolonisierung bei diesen Völkern hinterlassen hat, lassen sich allenfalls erahnen. Vielleicht hilft der Blick auf den Wald dabei, denn was uns auf den bunten Werbeflyern der Ayahuasca-Lodges als Urwald angepriesen wird, ist bei genauerem Hinsehen eine versehrte, geschändete Natur.
Doch all das ist uns Westlern im Zweifel egal. Hauptsache, wir erleben hier etwas. Und so wird die Heiltraditionen marktfähig gemacht: Während Ayahuasca ursprünglich von den Heilern getrunken wurde, um mit der spirituellen Welt in Verbindung zu treten und so zu erfahren, was den Kranken oder Ratsuchenden fehlt, trinken nun die Heilsuchenden selbst. Statt mit der Welt der Geister in Verbindung zu treten, geht es nun um den Blick in das Innere des Individuums, um die Psyche und ihre Traumata.
Text: Lorenz Rollhäuser, Autor für Radiofeatures