AP/YASUSHI KANNO
Radiokolleg
Bedrohte Sprachen. Kann man tote Sprachen wiederbeleben? (Teil 1)
Wenn Sprachen sterben. Und was wir mit ihnen verlieren
Ö1 setzt 2022 am Beginn der UN-Dekade der indigenen Sprachen mit einem eigenen Schwerpunkt ein Zeichen für sprachliche Vielfalt, Mehrsprachigkeit und Sprachkultur und stellt zukunftsweisende Ansätze für Diversität im Sprach(en)-Bewusstsein vor. Der Fokus richtet sich auf das Verschwinden und die Erneuerung, auf die "Biodiversität" bedrohter Sprachen und die zukunftsweisenden Bemühungen, ihre Vielgestaltigkeit und Potenziale zu bewahren, ob im globalen oder lokalen Kontext.
16. Februar 2024, 16:16
Zielgruppe
Lehrpersonen in Aus- und Fortbildung
Unterrichtsfächer
Deutsch | Sachunterricht | Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung | Geografie und Wirtschaftskunde | Ethik und Religionen | Interkulturelle Kompetenz und Professionalität
Stichworte
Sprache | Vielfalt | Aborigines Sprachen | Indigene Sprachen | Sprachkultur | Anthropologie | Kultur | Kolonialisierung | voXmi
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SENDUNG HÖREN
Wenn Sprachen sterben. Und was wir mit ihnen verlieren.
Radiokolleg - Wort.Schätze. Die Ö1 Sprachviertelstunde | 18.01.2022
"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Folgen wir dem Gedankengang Ludwig Wittgensteins und stellen uns vor, wir könnten alle Sprachen verstehen oder gar sprechen: die wichtigen Verkehrssprachen genauso wie Jugendsprachen, regionale Dialekte genauso wie Fachsprachen oder Sprachen, die bald nicht mehr existieren werden, weil es nur noch wenige Sprecher:innen gibt. Wie würden die engen Grenzen der eigenen Gedankenwelt aufgehen! Die Sprache Kayardild zum Beispiel wird im australischen Queensland gesprochen und stellt gängige Lehrmeinungen darüber infrage, was eine mögliche menschliche Sprache ist. Denn der Zeitaspekt wird hier nicht nur an Verben ausgedrückt, sondern auch an Substantiven. Die Vorstellungswelt des Kayardild zu erfassen wird zukünftig immer schwerer möglich sein, denn es gibt nur noch ein paar aktive Sprecher:innen"
Gestaltung:
Ute Maurnböck-Mosser
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QUIZ ZUR SENDUNG
Lösen Sie bitte das Quiz nach dem Anhören der Sendung.MEHR ERFAHREN
Links
Ethnologue - eine Liste der bislang erfassten Sprachen der Welt
Schule mehrsprachig - ausgewählte Sprachensteckbriefe
Bildung trifft Entwicklung - didaktische Materialien
Weltkarte „Vielfalt sprechen lassen“ mit Begleitheft
Videos
Youtube - Festwochen 2020 reframed - Eröffnungsrede von Kay Sara, notiert von Milo Rau (11:40)
Youtube - Vanessa Andreotti: Heads Up (15:40)
ORF-TVthek - Der Wert der Mehrsprachigkeit (12:05)
ARD alpha - Artikel und Video:
Menschliche Sprache. Wie wir mit Sprache die Welt erobern.
Video: Sprachbilder - Welchen Einfluss Sprache auf unser Denken hat.
Literaturempfehlung
Evans, Nicholas (2014). Wenn Sprachen sterben und was wir mit ihnen verlieren. München: C. H. Beck.
UNESCO (2017) - Local Knowledge, Global Goals
UNESCO (2017) - Local Knowledge, Global Goals' poster series
UNESCO-Weltdokumentenerbe - Digitale Sammlung zur Sprachenvielfalt
UNTERRICHTSIDEEN UND AKTIVITÄTEN
Lernziele
Studierende
- reflektieren die Bedeutung von sprachlicher Vielfalt für das Individuum und die Gesellschaft
- verstehen die Bedeutung von Sprachen für soziale Beziehungen
- verfügen über kritische Argumente, die den Einfluss von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Machtverhältnissen auf Sprache(n) beschreiben
- können online Informationen zu unterschiedlichen Teilbereichen aus dem Leben von Sprachen recherchieren
- können anhand der Besonderheiten von Sprachen Sprachvergleiche durchführen
Diese Unterrichtsidee ist Teil des Kooperationsprojekts „voXmi und Ö1 machen Schule“. voXmi (voneinander & miteinander Sprachen lernen und erleben) ist ein österreichweites Bildungsnetzwerk. Ziel ist es, an allen Schulen und Institutionen elementarer Bildung die vielen Sprachen, die junge Menschen, deren Eltern und Lehrpersonen mitbringen, inklusiv in den Unterricht und darüber hinaus einzubinden.
In der Ö1 Sendereihe „Bedrohte Sprachen. Kann man tote Sprachen wiederbeleben?“ wird am Beispiel der Nordaustralischen Aborigines Sprache Kayardild beschrieben, welchen Verlust jede aussterbende Sprache darstellt. Beschrieben wird, was das Besondere gerade dieser Sprache ausmacht. Die Bedeutung, die Beziehungen zwischen Menschen für jede sprachliche Begegnung haben, spielt hier eine zentrale Rolle.
Diese Aktivität hilft zu erkunden, auf welche Weise Sprache(n) und Möglichkeiten zur Gestaltung sozialer Beziehungen miteinander verbunden sein können. In einem ersten Schritt reflektieren die Studierenden ihre individuellen Sprachenrepertoires und deren Bedeutung für das eigene Identitäts- und Zugehörigkeitsverständnis. In einem zweiten Schritt erfolgt am Beispiel einzelner Sprachen aus den Sprachenporträts der Studierenden ein Sprach(en)vergleich. Dieser Vergleich setzt einen besonderen Fokus darauf, auf welche Weise sich soziale Beziehungen in den jeweiligen Sprachen abbilden. Schließlich wird die UN-Dekade der indigenen Sprachen und die Bedeutung, die die UNESCO indigenem Weltwissen für die Bewältigung der großen Bedrohungen unseres Planeten durch die Menschheit zumisst, zum Anlass genommen, um mögliche Lehren aus indigenem Wissen für die eigene Gesellschaft zu diskutieren. Am Ende werden pädagogische Schlussfolgerungen für (mehr-)sprachliche Bildung in Unterricht und Lehre abgeleitet.
DURCHFÜHRUNG
1. Reflektieren der Bedeutung von sprachlicher Vielfalt für das Individuum
Die Studierenden hatten den Auftrag, in Vorbereitung auf die Einheit, ein individuelles Sprachenporträt zu erstellen (Arbeitsauftrag 1). In Gruppen von 3-4 Personen stellen Sie einander diese Porträts vor und erklären, welche Bedeutung die einzelnen Sprachen in ihren sprachlichen Repertoires für sie haben. Dazu gehören auch Varietäten dieser Sprachen wie z. B. Dialekte.
Dauer: ca. 10 Minuten
2. Sendung hören und Verständnissicherung
Nach dem Anhören der Sendung (12:52 min) lösen die Studierenden zunächst individuell das Quiz. Im Anschluss beschreiben sie in Kleingruppen, auf welche Weise Sprache das Zusammenleben in einer Gemeinschaft prägt. Was bedeutet der Begriff Sprachkultur? In welcher Beziehung stehen Sprache und Kultur? Was kann dazu führen, dass eine Sprache ausstirbt? Welche (Macht-)Faktoren können dazu maßgeblich beitragen? Wie wirken sie auf das Individuum und auf die Gesellschaft? Welche historischen Beispiele gibt es dafür? Die Ergebnisse werden im Plenum besprochen.
Dauer: ca. 45 Minuten
3. Online Recherche und Sprach(en)vergleich
Die Studierenden erhalten nun den Auftrag, wiederum in kleinen Gruppen von 3-4 Personen zu je einer von der Gruppe ausgewählten Sprache, die Teil des Sprachenrepertoires eines der Teammitglieder ist, Informationen zu sammeln (ca 20 min). Was ist das Besondere an der jeweiligen Sprache? Wo wird sie gesprochen? Welche Fremdbezeichnungen (in anderen Sprachen) für diese Sprache sind bekannt? Gibt es Informationen, die darüber Aufschluss geben, auf welche Weise in dieser Sprache soziale Beziehungen (u. a. Zugehörigkeit, Nähe, Distanz, Hierarchie, …) zum Ausdruck kommen? Als Ressourcen für die Recherche können u. a. die Liste der weltweit erfassten Sprachen, Karten auf worldmapper.org oder einzelne Sprachensteckbriefe dienen. Die Ergebnisse werden im Plenum besprochen.
Dauer: ca. 45 Minuten
Arbeitsauftrag für das Selbststudium: Die Studierenden erstellen über LearningApp ein Quiz zu einer Sprache aus ihrem Sprachenporträt für ihre Schüler:innen.
4. Indigene Sprachen und die Transformation von Beziehungen
Im Hörbeitrag erfahren wir, dass Kayardild eine Sprache ist, in der die Beziehung zwischen den Menschen auf besondere Weise zum Ausdruck kommt. Die UNESCO (2017) beschreibt u. a., dass die Beziehung zur natürlichen Umwelt sowie die Fähigkeit soziale Netzwerke zu bilden, um existenziell bedrohlichen und einschneidenden Veränderungen in der eigenen Lebenswelt zu begegnen, ein besonderes Wissen indigener Völker darstellt. Dieses Wissen bildet sich auch in der Sprache ab. Was sind mögliche Lektionen daraus, die auch für unsere Gesellschaft und für das Leben in einer modernen Welt bedeutsam sein können? Was lehrt uns die Sprache Kayardild darüber, wie Menschen miteinander in Beziehung kommen können?
Die Studierenden sehen sich die Rede von Kay Sara zur Eröffnung der Festwochen 2020 an (11:40 min). Mithilfe der Liste der weltweit erfassten Sprachen recherchieren die Studierenden zunächst Informationen zu den Sprachen im Amazonas-Gebiet. Kay Sara hält ihre Rede auf Brasilianisch. Warum? Welche Lehren können aus dieser Rede für die Gestaltung von Beziehungen in der eigenen Gesellschaft und allgemein in der Welt abgeleitet werden? Die Antworten werden im Plenum diskutiert.
Dauer: ca. 30 Minuten
Arbeitsaufträge für das Selbststudium:
A) Die Studierenden gestalten eine Concept-Map zu Sprache und Beziehung. Sie verwenden dafür z. B. miro.com
B) Das Video Vanessa Andreotti: Heads UP bietet die Möglichkeit für eine vielschichtige Vertiefung des Themenfeldes. Fragestellungen, die von den Studierenden in Form von Reflective Papers, Recherche-Aufgaben u. a. bearbeitet werden können sind:
- Welche pädagogischen Zugänge können eine Transformation von Beziehungen (zwischen Menschen aber auch zwischen Menschen und Natur) unterstützen?
- Wie können Vorstellungen von der Welt und von der Art, wie sich Beziehungen gestalten, erweitert werden?
- Welche Rollen kann dabei die wertschätzende Einbindung von sprachlicher Vielfalt spielen, wie es etwa im Bildungsnetzwerk voXmi erfolgt?
MATERIALIEN
Arbeitsauftrag 1
Youtube - Vanessa Andreotti: Heads UP
Literatur zu HEADS UP:
HEADS UP (editor´s preface to CLTP journal)
Gesturing towards decolonial futures
HEADS-UP Checkliste
Beurteilungskritierien für Bildungsmaterialien
Teaching for sustainable development through ethical global issues pedagogy. A resource for secondary teachers
learningapps.org
miro.com
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Ö1 macht Schule ist ein Gemeinschaftsprojekt von Ö1, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung - BMBWF und Pädagogischer Hochschule Wien - PH Wien
Diese Unterrichtsidee entstand im Rahmen des Projekts "voXmi & Ö1 machen (Hoch-)Schule" zum voXmi Jahresschwerpunkt 2023: „Mitsprache mit Sprache“. Lehrende des voXmi-Bildungsnetzwerkes haben ausgewählte Sendungen dieses Schwerpunktes für den Einsatz im Unterricht didaktisiert.
Ursula Maurič
lehrt und forscht an der Pädagogischen Hochschule Wien zu Mehrsprachigkeit, Demokratiebildung und Global Citizenship Education in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Sie ist Mitglied der Strategiegruppe Globales Lernen und Bundeskoordinatorin im Bildungsnetzwerk voXmi. „Eine wertschätzende und neugierige Auseinandersetzung mit den Sprachen in unserer Gesellschaft ist für mich die Grundlage für ein demokratisches Zusammenleben. Es bedeutet, die Menschen wahrzunehmen. Erst wenn wir einander sehen und zuhören, können wir mit- und voneinander lernen. Das liegt für mich im Kern von voXmi.“
Dieses Lernmaterial wurde vom „Ö1 macht Schule“ Team erstellt und steht unter einer CC BY-SA 4.0 Lizenz kostenlos zur Verfügung.