Leonard Bernstein

AP/CHARLES HARRITY

RSO & Marin Alsop

Bernsteins Suche nach Gott

Das RSO Wien unter Marin Alsop mit Musik von Leonard Bernstein und Dmitri Schostakowitsch.

Eine menschenleere Straßenkreuzung, durch die Fenster eines amerikanischen Diners fällt Licht auf den Gehsteig. Im Inneren des Diners vier Menschen an der Bar - drei Männer und eine Frau, nebeneinander, einsam. "Nighthawks" nannte Edward Hopper dieses Motiv seines berühmten Gemäldes aus dem Jahr 1942 - und es ist fast ident mit der Anfangsszene in W. H. Audens Gedicht "The Age of Anxiety".

Einige Jahre nach Hoppers Gemälde entstanden, beschäftigt es sich mit den gleichen Themen: dem Gefühl der Leere und Betäubung angesichts der Gräuel des Zweiten Weltkriegs und dem angstvollen Blick in die Zukunft. Malin, Quant, Emble und Rosetta erleben in Audens Gedicht eine gemeinsame Nacht, in der ihre Gefühle, Gedanken und ihre Trauer über eine verlorene Vaterfigur zum Ausdruck kommen, ehe sich am Morgen ihre Wege wieder trennen.

Marin Alsop

Marin Alsop

ADRIANE WHITE

"The Age of Anxiety"

Als "fascinating and hair-rising" beschreibt Leonard Bernstein das Gedicht kurz nach seinem Erscheinen. Es berührt ihn auf ganz besondere Weise, spricht es doch aus seiner Sicht auch eines seiner Lebensthemen an: seine Suche nach Glauben und Vertrauen in Gott. Bernsteins Idee, "The Age of Anxiety" zu vertonen, findet schnell Fürsprecher, aus dem ursprünglich angedachten Ballett soll dann doch eine Symphonie werden; Serge Koussevitzky gibt sie in Auftrag. Aber weil Bernstein dieses Gedicht so sehr berührt, verleiht er dem Werk mit einem anspruchsvollen Klavierpart eine zusätzliche persönliche Note; bei der Uraufführung sitzt er selbst am Flügel.

Unkonventionell ist auch die Form der Symphonie - Bernstein orientiert sich dabei an der Gliederung des Gedichts. Jeweils drei Sätze in zwei Teilen beschreiben die unterschiedlichen Stimmungen in Audens Gedicht: einsame Klarinettenlinien im "Prologue" mit einer Überleitung der Flöte in die Traumwelten der beiden variantenreichen und zunehmend hektischen Sätze "The Seven Ages" und "The Seven Stages". Der zweite Teil, "The Dirge", beginnt mit einer Zwölftonreihe, aus der das Thema entsteht, gefolgt von "The Masque" einer Art Jazz-Intermezzo für Schlagzeug und Klavier und schließlich dem melancholischen "Epilogue" mit einem einzelnen Klavierakkord am tösenden Ende - einem Symbol für die Einheit von Mensch und Gott und wiedergefundenen Glauben.

Schostakowitschs Requiem

Auf der Suche nach Gott - oder zumindest nach "der besten aller Welten" - ist auch "Candide" in Bernsteins gleichnamiger Comic Operetta, mit deren berühmter Ouvertüre das RSO Wien unter der Leitung von Marin Alsop das Konzert eröffnet. Bernstein ist an diesem Abend nicht nur als Komponist, sondern gleich dreifach in das Programm verwoben: nämlich auch als Lehrer und Mentor der RSO-Chefdirigentin und als jener Dirigent, der anlässlich der Todesnachricht von Schostakowitsch zu seinen Ehren das Largo aus der Fünften Symphonie bei den Salzburger Festspielen ins Programm aufnahm und es so zu Schostakowitschs Requiem machte.