REINER RIEDLER
Jet Lag All Stars Radio Show
"Die größte Heimat ist meine Mama"
Ein schonungslos offenes Mutter-Sohn-Gespräch von Michael und Christl Appelt.
1. Mai 2024, 12:00
"Ich bin fast gestorben." Der Fotograf Michael Appelt weiß Gespräche mit entwaffnender Direktheit zu eröffnen. "Im letzten November hab ich einen Blinddarmdurchbruch gehabt und war fünf Wochen im Tiefschlaf. Die Ärzte hatten mich eigentlich schon abgeschrieben." Appelt ist jemand, der sofort auf den Punkt kommt, auch im Studio der "Jet Lag All Stars Radio Show".
Im Sommer 2021 war das, damals hat er uns bei einer Talk-Ausgabe der Sendung mit diesem Bericht über sein Nahtoderlebnis und die danach einsetzenden schweren Depressionen berührt. Dieser besondere Radiomoment ist auch in der Filmdokumentation zu sehen, die Reiner Riedler über Appelt und dessen Mutter gedreht hat. Es ist Riedlers Doku-Debüt. Filmerfahrung konnte der Dokumentarfotograf bereits als Setfotograf von Ulrich Seidl sammeln.
Zwei einsame Wölfe und das Ausweglose
"Ich bin eigentlich ein einsamer Wolf. Und die Mutti funktioniert genauso", erzählt Appelt. Wieder daheim zu sein sei "überraschenderweise ein schönes Gefühl" gewesen: "Die Mama hat mir mein ganzes Leben lang eine Heimat geschenkt. Denn ich definiere Heimat nicht über Länder, sondern Menschen. Und die größte Heimat ist meine Mama."
50 Drehtage lang hat Riedler den Neustart der Mutter-Sohn-Beziehung begleitet. 90 Prozent der Dreharbeiten haben im Haus der Familie stattgefunden. Appelt unterstützt die Mutter bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, vom Ankleiden über den Toilettengang bis zur Versorgung mit Medikamenten. In dem berührenden Film geraten essenzielle Themen des Menschseins in den Fokus. Er handelt vom Älterwerden und der Konfrontation mit dem Ausweglosen. Alltag und Annäherung von Mutter und Sohn werden dokumentiert - aber auch Appelts Kampf mit den inneren Dämonen.
Drehtage mit Überraschungen
Für Riedler war es ein Projekt mit ungewissem Ausgang. Ein Wagnis, das ihn nun - unter anderem mit Unterstützung durch das Film/Fernseh-Abkommen des ORF - zur Premiere bei der Diagonale nach Graz führt: "Jeder Drehtag hat mit einer Überraschung auf uns gewartet. Das ist die Magie, die die Wirklichkeit bereitstellt. Ein Satz von Christl und der ganze Drehtag entwickelte sich anders als geplant, weil die beiden den Rhythmus vorgeben."
Ein schonungslos offenes Gespräch: Michael und Christl Appelt im Studio der "Jet Lag All Stars Radio Show"
Diesen liebevoll fordernden Kommunikationsrhythmus der beiden erleben wir am 1. April ab 22.05 Uhr auch in der "Jet Lag All Stars Radio Show". Wir haben Michael und Christl Appelt nach dem Abschluss der Dreharbeiten zu einem Radioexperiment eingeladen. Die beiden sitzen ohne Moderation im Studio. Appelt hat für seine Mutter eine Musikliste vorbereitet, die bei ihr Erinnerungen weckt. Dabei kommt Appelt auf Themen, die ihn auch im Film beschäftigen: der frühe Tod des Vaters, die daraus folgenden Suizidgedanken der Mutter.
"Den Grant über mich hab ich bei ihm ausgelassen", die Mutter
Auch ihre Demenzerkrankung reflektiert Christl Appelt: "Dass ich manche Dinge nicht mehr machen kann, hat mich an mir selbst am meisten gestört. Und dann hab ich manchmal meinen Grant über mich bei ihm ausgelassen." Michael Appelt stimmt ihr in dem Aspekt ihres Zusammenlebens zu: "Ja, manchmal war es heftig. Aber ich verstehe es ... Dann bin ich halt einfach da und hör dir zu ..."
Der Schritt, zur Mutter zu ziehen, habe ihn lang beschäftigt, gibt Michael Appelt zu. Mittlerweile fühle sich das für ihn aber nicht mehr komisch an: "Weil die Mama war ihr ganzes Leben für mich da und jetzt ist das halt meine Aufgabe. Ich bekomme so viel Liebe von der Mama zurück. Das ist eines der schönsten Dinge, die ich erlebt habe."
Service
Reiner Riedler, "Die guten Jahre"
Diagonale
Samstag, 6. April 2024, 14:30 Uhr, Schubertkino 1
Montag, 8. April 2024, 17:00 Uhr, Annenhof Kino 6
Diagonale – "Die guten Jahre"
Die guten Jahre
Gestaltung
- Rainer Elstner