Sitzende Frau mit Smartphone und Laptop

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Hörspiel

LIBIDOdialoge

Eine Dating-Sinfonie in drei Sätzen

Wenn ich an meine Kindheit denke, dann sehe ich meine Mutter in der Küche - sie kocht und singt: "Ein Schiff wird kommen und es bringt dir den einen, den du so liebst wie keinen und der dich glücklich macht." Dieser Schlager schrieb sich in mein Gehirn - nicht musikalisch, ich wuchs mit anderen Schnulzen von Mariah Carey und Céline Dion auf -, es war der Inhalt, der sich in mich brannte: Früher oder später, so besagt er, da wirst du "den einen treffen". Bei mir wurde es mehr später als früher. Aber ich greife vor. Zurück zu meiner Kindheit …

Ich wuchs mit fünf Schwestern auf dem Land auf, und ich entdeckte meine Sexualität sehr früh. Schon mit sechs Jahren spielte ich an dem herum, was bis heute keinen korrekten Namen hat, denn das weibliche Geschlecht heißt nicht Vagina, nicht Vulva, nicht Klitoris, schon gar nicht Scheide oder Muschi. Es gibt schlichtweg keine Bezeichnung, die "alles" umfasst - eine Ungeheuerlichkeit. Ich tat damals selbstbewusst - Anteile von mir waren es vielleicht auch -, aber im Grunde genommen war ich romantisch, verspielt und schüchtern. Dass ich es mit 18 noch immer nicht getan hatte, verheimlichte ich meinem Umfeld, ja, ich spielte sogar mit dem Gedanken, mich mit einer Gurke selbst zu entjungfern, so unangenehm war mir meine Jungfräulichkeit.

Maskulinisierung der weiblichen Lust

Anfang der Nullerjahre hatte ich dann schlussendlich mein erstes Mal und begann aus der Befriedigung des Gegenübers meine Lust zu ziehen. Final erlebt habe ich sie kaum. Im Gegenteil: Wenn der jeweilige Mann neben mir schlief, fuhr ich leise mit der Hand zwischen meine Beine und vollendete das begonnene Werk. Es war nicht nur "ein Versagen" des Mannes, das mich so handeln ließ. Ich kommunizierte einfach nicht, was ich brauchte, und das hat eine lange patriarchale Tradition: Frauen kümmern sich zu wenig um sich und ihre Bedürfnisse. Sie haben es nicht anders gelernt. Die Psychologin Sandra Konrad bezeichnet das als Maskulinisierung der weiblichen Lust: "Ich will, was du willst." Diesen Satz lebte ich viele Jahre.

Sechs davon war ich mit einem wesentlich älteren Mann zusammen, trennte mich, datete, verliebte mich, heiratete, ließ mich scheiden, ging zwei Jahre danach zum ersten Mal online - auf eine Sexplattform und auf eine Plattform für Beziehungen. Ich hatte viele Dates, ich erlebte meine Sexualität neu, anders, intensiver, selbstbestimmter. Mit der Höhe meiner Absätze wuchs auch mein Selbstbewusstsein, immer mit dem Lied meiner Mutter im Hinterkopf und der Frage: Möchte ich das überhaupt - ein Schiff, das vor Anker liegt? Ist es nicht wesentlich schöner, einen freien Blick auf das Meer zu haben?! Ist es für mich nicht sinnvoller, in serieller Monogamie zu leben?! Unbekümmert und frei?! Je näher mir Männer kamen, desto größer wurde auch meine Furcht - vor Intimität, davor mich zu zeigen, wie ich bin - ohne Stöckelschuhe und Schminke, ohne Maske - verletzlich und scheu.

Femme fatale vs. Femme fragile

Diesen Kampf zwischen Selbstbestimmung und Hingabe, zwischen Femme fatale und Femme fragile beschreibe ich in den "LIBIDOdialogen", einer Dating-Sinfonie in drei Sätzen (1. Satz: "Leck mich!", 2. Satz: "Fuck You!", 3. Satz: "Hals über Kopf"). Insgesamt vier Jahre dauerte meine Reise, mein Prozess, durch den ich musste, um dort anzukommen, wo ich schlussendlich hinwollte: meiner Mitte. Endlich. Zufrieden mit mir, meiner Weiblichkeit, meinem Begehren, meinen Lüsten und einem Schiff, das vor Anker liegt, aber nicht die Sicht versperrt.

Gestaltung

  • Elisabeth Weilenmann