Judith Hoffmann und Daniel Kehlmann

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Menschen im Mittelpunkt

Die Ex-libris-Sommergespräche

Dialog als demokratisches Grundprinzip

Es gibt Menschen, die behaupten, das Gespräch sei eine eigene Kunstgattung. Dieser Auffassung bin ich nicht. Ein Gespräch ist der Austausch von Information zwischen zwei oder mehreren Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Cesare Paveses Gespräche mit Leuko oder Sally Rooneys Gespräche mit Freunden hingegen sind ebenso Literatur wie jeder Dialog in Drama und Film, weil es sich dabei um Fiktion handelt. Dass die in den Neunzigerjahren populären Interviews von Tom Kummer oder André Müller bei allem Unterhaltungswert gehörig irritierten, war der Tatsache geschuldet, dass sie als Journalismus verkauft wurden, obwohl sie ganz oder teilweise erfunden waren.

Ich bin allerdings der Auffassung, dass Kritik eine eigene Kunstgattung ist, weil sie die Versprachlichung dessen ist, was ein Kunstwerk auszudrücken vermag. Kritik ist ein Vorgang des Verstehens und Übersetzens, keine Fiktion, aber, wie auch die Philosophie, gedankenexperimentell grundiert. Kritik ist: angesprochen werden und aussprechen - und somit ein Dialog.

Womit wir wieder beim Gespräch sind. In Ex libris halten wir es so: Gespräche führen wir nie als Ersatz für Kritik. Was sie durchaus sein könnten, denn mit Autoren über ihre Texte zu sprechen bedeutet, das eigene Denkvermögen, die eigene Analysefähigkeit hintanzustellen und sich zum Stichwortgeber für Monologe zu degradieren. Das ist die Regel bei Veranstaltungsmoderationen, denen immer der laue Charme von Verkaufsgesprächen innewohnt. Oder der billige Zauber der Manege, wo der Dompteur die herausgeputzten Pferde im Kreis laufen lässt. Stattdessen versuchen wir in Gesprächen Themen zu vertiefen und sie über das jeweilige Buch hinaus als gesellschaftlich (möglichst) relevant darzustellen. Anders gesagt: Nicht "Wie haben Sie das gemacht?" interessiert uns, sondern "Was macht das mit uns?"

Die Ex libris-Sommergespräche bilden eine Ausnahme. An sieben Sonntagen machen wir etwas, was wir uns sonst verbitten.

Jeweils ein Autor/eine Autorin steht im Mittelpunkt, wird 54 Minuten lang zu allem Möglichen befragt, was uns einfällt, darf seine/ihre Lieblingsmusik spielen und muss nicht unter Krämpfen für das eigene Schreiben geradestehen, muss nichts erklären, keine moralische Instanz spielen oder die Weltlage durchschauen. Nicht der Schriftsteller bzw. die Schriftstellerin als "Marke", der bzw. die einen entsprechenden Markenauftritt hinlegen muss, interessiert uns, sondern die Situation des Gesprächs an sich - des Gesprächs zwischen zwei Zeitgenossen, die sich in einem grundlegend demokratischen Sinn über Themen austauschen, die sie bewegen (ein abgegriffenes, Wort, ich weiß, aber es gibt natürlich diese innere Bewegung, die uns dazu bringt, uns mitzuteilen und uns für den anderen zu interessieren. Ohne bewegt zu sein, wären wir stumpf und gleichgültig). Mit Kritik hat das nichts zu tun, dafür aber mit der schönen Vorstellung, dass Literatur und Leben miteinander verwoben sind. Und dies auf eine Weise, die die Literatur nicht banalisiert und das Leben nicht diskreditiert.

Hans Platzgumer

Hans Platzgumer

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Sieben literaturaffine Ö1 Redakteure und Redakteurinnen durften sich je einen Autor/eine Autorin als Gegenüber wünschen. Judith Hoffmann spricht mit Daniel Kehlmann, Nicole Dietrich mit Karin Peschka, Julia Zarbach mit Bodo Hell, Wolfgang Popp mit Ann Cotten, Günter Kaindlstorfer mit Nava Ebrahimi, Christine Scheucher mit Anna Mitgutsch und ich spreche mit Hans Platzgumer.

Service

Sonntag, 16:00 Uhr, 14. Juli bis 25. August 2024

Gestaltung

  • Peter Zimmermann