Transkription | Punkt eins | 13 08 2024

Was die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung für eine inklusive Gesellschaft bedeutet

Gäste: Dr. Fritz Hausjell, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien; Maria Pernegger, Medienforscherin und Beraterin, Geschäftsführerin MediaAffairs; Erich Schmid, Österreichischer Behindertenrat. Moderation: Marlene Nowotny.

NOWOTNY: Fast ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung lebt mit einer sichtbaren oder unsichtbaren Behinderung. In den Medien sind diese Menschen aber nach wie vor unterrepräsentiert. Wird über sie berichtet, werden häufig Klischees, Vorurteile und Berührungsängste wirksam. Was sich hier ändern muss und warum Sichtbarkeit und Vielfalt in den Medien Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft sind, ist heute unser Thema in Punkt eins. Dazu begrüße ich die Medienforscherin und Beraterin Maria Pernegger im Studio. Guten Tag.

PERNEGGER: Schönen guten Tag.

NOWOTNY: Telefonisch zugeschaltet ist Erich Schmid vom österreichischen Behindertenrat. Guten Tag.

SCHMID: Schönen guten Tag.

NOWOTNY: Und online mit uns verbunden ist der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell.

HAUSJELL: Guten Tag.

NOWOTNY: Maria Pernegger ist Geschäftsführerin von Media Affairs, wo sie unter anderem Kunden aus Politik und Wirtschaft in Inklusionsfragen berät. Und sie hat vor kurzem die Studie Menschen mit Behinderung und Inklusion in österreichischen Massenmedien veröffentlicht, wo sie analysiert hat, wie sichtbar bzw. unsichtbar Menschen mit Behinderung in österreichischen Medien sind. Erich Schmid war Informatiklehrer, ist von Geburt am Blind, vertritt den Blinden- und Sehbehindertenverband Österreichs und ist Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates. Und Fritz Hausjell ist Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit der Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Medien, mit dem Sprachgebrauch von Journalistinnen und Journalisten und mit der fehlenden Vielfalt in den Redaktionen. Herr Schmid, Sie sind hier auch als Vertreter des Österreichischen Behindertenrates, der sich schon seit geraumer Zeit für mehr Berichterstattung über Menschen mit Behinderung einsetzt, für eine Berichterstattung auf Augenhöhe. Warum wäre das denn gesellschaftlich so wichtig?

SCHMID: Eine Berichterstattung auf Augenhöhe würde die Inklusion mächtig vorantreiben. Also, wir müssen wegkommen, jetzt um Fachbegriffe zu verwenden, von diesem defizitorientierten Modell, wir sagen auch medizinisches Modell von Behinderung, oder von dem Behinderten-Wunderwuzzi, der als Hochleistungssportler - die Paralympics kommen bald - sich da beliebt macht - nichts dagegen, das sind großartige Leistungen, sondern wir müssen den Menschen in den Mittelpunkt geben, wo eine Eigenschaft mancher Menschen darin besteht, dass sie eine Behinderung haben. Das würde die Inklusion am besten vorantreiben aus unserer Sicht.

NOWOTNY: Maria Pernegger, Ihre Studie hat eben gezeigt, dass es diese Bilder gibt, diese typischen Bilder. Aber bevor wir über Ihre Studienergebnisse sprechen, hier werden ja Klischees wirksam, eben verzerrte Bilder oder Vorurteile, die es auch in der Öffentlichkeit über Menschen mit Behinderung zum Teil gibt. Welche sind das denn? Man muss sich das so vorstellen, Menschen mit Behinderung leben ja in einer nicht-inklusiven Gesellschaft, in einer Parallelwelt oft. Also das beginnt mit einem extra Kindergarten, das geht weiter in der Sonderschule und führt dann im Erwachsenenalter dazu, dass Menschen mit Behinderung in irgendwelchen Werkstätten arbeiten und nicht inklusiv teilhaben können an der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt, in der Schule und so weiter. Das heißt, im täglichen Leben kommen viele Menschen oft gar nicht in Berührung mit Menschen mit Behinderung. Das heißt, dieses Bild, das wir über Menschen mit Behinderung haben, ist eines, das oft sehr, sehr stark von Medien geprägt wird. Von Medien, von Sendungen, von Bildern in Zeitungen, die wir mitbekommen. Also insofern sind die Medien einfach unglaublich wichtig in der Bewusstseinsbildung und sind hier ein ganz wichtiger Hebel. Und die Bilder, die hier oft reproduziert werden, sind halt Bilder, die sehr verzerrend sind oder genau überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen. Das sind beispielsweise Bilder, der Herr Schmid hat schon eingangs erwähnt, von Menschen, die sehr, sehr stark als Opfer inszeniert werden, also sehr bemitleidenswerte Menschen offensichtlich, die leiden und für die gespendet werden muss, die vielleicht dauernd Schmerzen haben. Also ein sehr einseitiges Bild. Oder auf der anderen Seite diese Superhelden, die einbeinig die Welt umradeln, die Übermenschliches leisten und dafür als Helden gefeiert werden. Was in dieser stark polarisierenden Darstellung fehlt, ist einfach der Alltag, was Menschen mit Behinderung tatsächlich beschäftigt, was sie tatsächlich bewegt und es sind oft keine anderen Themen als die, die nicht behinderte Menschen betreffen. Das heißt Teilhabe an der Gesellschaft, Freizeitgestaltung, Arbeitsmarkt, Schule und Bildung, Leistbares Wohnen, all diese Themen und die kommen oft viel zu kurz.

NOWOTNY: Fritz Hausjell, das heißt, diese Berührungsängste, dieses Nicht-in-Kontakt-Kommen-mit-Menschen-in- Behinderung, das informiert dann auch leider die Berichterstattung. Also die Journalistinnen und Journalisten tragen dann vielleicht ihr Nicht-in-Kontakt-Kommen und ihre Berührungsängste in die Darstellung von Menschen mit Behinderung hinein?

HAUSJELL: Ich muss jetzt gestehen, dass ich sehr abgehackt Ihre Frage hier ausgeliefert bekommen habe. Können Sie es sicherheitshalber noch einmal wiederholen?

NOWOTNY: Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es in der Gesellschaft oft Berührungsängste gibt, wenn es um Menschen mit Behinderung geht. Dass viele Menschen gar nicht in Kontakt kommen mit Menschen mit Behinderung und ob das dann eben wiederum vielleicht auch die Haltung von Journalistinnen und Journalisten prägt und zu dieser Art der Berichterstattung führen, wie wir sie derzeit sehen.
HAUSJELL: Ja ganz gewiss, selbstverständlich. Das was Frau Pernegger gesagt hat, ist die Voraussetzung letztlich dafür, dass viele journalistische Darstellungen sich fast lesen wie Expeditionen in weitgehend unbekannte Lebenswelten. Eben weil nicht die Inklusion den Alltag ausmacht, egal in welche Bereiche man geht, ob es die Arbeitswelt ist. Man meinte, dass man Menschen mit Behinderungen tatsächlich etwas Gutes tut, aber die Separierung war letztlich ein sehr hoher Preis und ich glaube wir müssen hier sehr vieles deutlich ändern und ein Schritt wäre, dass der Journalismus hier das tut, was ihm zu einem viel nüchternen, vielseitigeren Blick auf die Gesellschaft verhelfen würde, nämlich indem er selber Inklusion praktiziert, indem er selbst Menschen beschäftigt mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Dann ist die Diskussion gleich einmal in der Redaktion und es werden bei den verschiedenen Themen die Fragen mitbehandelt, welche Bedeutung es nun hat für jemanden, der entweder im Rollstuhl sitzt, oder wie Herr Schmid nicht sieht, und was das bei den verschiedenen Themen, die der Journalismus aufgreift, für eine zusätzliche Bedeutung hat. Und daran hapert es, dass wir letztlich bei den Entscheidungsträgern zu viele Barrieren im Kopf haben, dass man sich zu wenig vorstellen kann, dass das funktioniert. Aber wir haben sehr viele Beispiele weltweit, dass das sehr wohl funktioniert.

NOWONTY: Vielen Dank. Ich sage es nur ganz kurz dazu. Fritz Hausjell ist derzeit in Australien und das könnte mit dazu beitragen, dass wir ab und zu ein bisschen Verzögerungen oder kleine Unterbrechungen haben. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr, dass er sich trotz Zeitverschiebung und großer Distanz die Zeit nimmt, an der Sendung teilzunehmen. Herr Schmid, was können denn oder was sollten Journalistinnen und Journalisten denn aus Ihrer Sicht tun? Wie sollten sie sich informieren, damit auch sie eben ihre Haltung ändern, damit sie andere Berichte machen, erzählen?

SCHMID: Als allerwichtigstes, glaube ich, ist es, dass wirklich die Information über den Alltag von Behinderten auch den Journalistinnen und Journalisten vertraut wird. Also ich kann natürlich über Superhelden, wie heute schon gesagt wurde, leicht schreiben. Ich kann auch über Opfer relativ leicht schreiben, aber über den Alltag, na ja, wen interessiert das in Wahrheit? Denkt man leider sehr häufig. Aber es gibt so großartige Situationen, wie Menschen mit Behinderung ihren Alltag bewältigen. Alleine das ist schon wirklich auch berichtenswert. Genauso wie es berichtenswert ist, wenn Leute ihre Angehörigen pflegen. Das ist auch etwas, aber die schlechten Nachrichten oder die super Nachrichten kommen natürlich am besten an. Also ein Tipp, sich wirklich in den Alltag von Behinderung hineinzubegeben. Und mein zweiter Tipp, den Behinderten oder die Behinderte selbst als Expertin oder als Experten befragen, hineinnehmen, löchern, ja wie auch immer.

NOWOTNY: Frau Pernegger, Sie haben ja die Berichterstattung in Österreich eben analysiert über Menschen mit Behinderung. Wie verhält sich das denn prozentemäßig? Wie oft tauchen diese Themen des Helden oder des Opfers auf? Ich bilde mir ein, dass eben Charity auch ein ganz großer Themenbereich eben ist. Also man wird als Opfer betrachtet, braucht Hilfe oder man wird als Heldin dargestellt, die Unglaubliches meistert. „Trotz“ unter Anführungszeichen einer Behinderung. Wie viel macht das aus?

PERNEGGER: Also wir haben die erste Studie mittlerweile vor fast zehn Jahren gemacht. Da muss ich sagen haben die Werte noch wesentlich dramatischer ausgesehen. Wir haben eine sehr starke Heldeninszenierung gehabt. Ungefähr über ein Viertel Heldeninszenierung, auch gut ein Fünftel Opferinszenierung. Der Rest war neutral. Das hat sich jetzt ein bisschen entschärft. Aber wir haben immer noch ein Viertel der Berichterstattung, die eigentlich gegen die Vorstellungen der UN-Konvention widersprechen. Und was bedeutet das eigentlich? Das bedeutet zum Beispiel, dass Wordings verwendet werden, die nicht sensibel sind. Zum Beispiel, dass ich sage, ein Mensch ist an den Rollstuhl gefesselt. Das kommt zwar schon sehr selten vor, aber es kommt immer noch vor. Oder man beschreibt eine Person, man streicht nur die Behinderung in den Vordergrund oder stellt sie in den Vordergrund und nicht die Eigenschaften oder die Kompetenzen, die dieser Person sonst noch hat. Also das kann eine Eigenschaft wie viele andere sein. Wir haben auch sehr häufig, gerade in der Berichterstattung, eine starke Emotionalisierung, zum Teil auch durchaus Voyeurismus. Also, man zeigt irgendwie wirklich was ganz Dramatisches. Oder man zeigt Tränen überströmte Kinder und Eltern, um dieses Leiden von Menschen mit Behinderung besonders hervorzustreichen zum Beispiel. Und es gibt ganz großes Gefälle zwischen verschiedenen Medien. Also speziell der Boulevard, der hier sehr sehr stark auf diese Sensationslust setzt, der sehr stark auf Emotionalisierung setzt, der auch sehr stark Themen besetzt wie Charity oder eben auch diese starken Heldeninszenierung. Und prozentmäßig macht das tatsächlich die Hälfte der Berichterstattung aus. Also diese beiden Themen, nämlich Inszenierung als Opfer, wo man dann Geld spendet oder eine Sachleistung und auf der anderen Seite diese heldenhafte Inszenierung für diese überstarke Leistung, macht die Hälfte der Berichterstattung aus. Das heißt, für die restlichen Themen ist eigentlich kaum Raum und vor allem ist für diese Alltagsthemen ganz wenig Platz. Und ich möchte vielleicht noch ein Beispiel bringen. So funktionieren oft klassische Medien. Auf Social Media funktioniert es ein bisschen anders und das war bei der letzten Studie eine wirklich wichtige Erkenntnis für uns. Nämlich wenn Unternehmen über Inklusion berichten, über deren Social Media Kanäle, dann bekommen die nicht die meisten Likes, wenn sie einen Spendenscheck überreichen, sondern die bekommen die meisten Likes und Interaktionen dafür, was sie an echtem Beitrag für Inklusion schaffen. Das heißt Barrierefreiheit, das heißt Angebote für Menschen mit Behinderung, das heißt Menschen mit Behinderung in das Unternehmen integrieren, als Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung auftreten und so weiter. Das heißt man schätzt oder die breite Bevölkerung schätzt viel mehr echte Taten als nur dieses oberflächliche Marketing.

NOWOTNY: Sie hören Punkt eins, wir sprechen heute über die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in den österreichischen Medien und eine erste Anruferin hat sich bei uns gemeldet. Frau Cornelia, guten Tag.

FRAU CORNELIA: Hallo, und zwar ich rufe an, ich selbst bin im autistischen Spektrum. Ich arbeite auch zusammen mit jungen Menschen im autistischen Spektrum zur Berufsförderung beziehungsweise um eine geeignete Ausbildung zu bringen zu finden am ersten Arbeitsmarkt, aber auch um das autistische Selbstbild zu fördern und zu bestärken, also sehr viel in Richtung Empowerment. Und in den Medien ist natürlich, habe ich ein wenig das Gefühl, dass immer auch, wie Sie schon angesprochen haben, ein Schwarzweißdenken, besonders auch, was Menschen mit einer nicht sichtbaren Behinderung betrifft, entsteht, weil wir müssen natürlich dann unsere Behinderung, besonders wenn wir nicht in das gängige Medienklischee fallen, noch mal mehr begründen sozusagen oder rechtfertigen oft. Und ja, also es ist oft, also entweder bin ich entweder die Superintelligente oder ich bin die Zurückgebliebene sozusagen, sobald ich publik mache, dass ich eigentlich Autistin bin, was ich aber 100%ig machen will, weil ich von dem Ansatz aus gehe, ja, es gibt Chihuahuas und es gibt Golden Retrievers und so sehe ich das sozusagen immer. So vergleiche ich das und nicht mit die einen haben Defizite und die anderen sind gesund. Ja, also so sehe ich das so ein bisschen. Und auch zum Beispiel, was mir in letzter Zeit aufgefallen ist, in der Berichterstattung, ist eben noch gar nicht so lange her, auch bei Ihnen im Radio-Doktor in einer Sendung als ein Bericht über autistische Menschen stattfand, wo ich mich eh auch dazu gemeldet habe, dass ich das nicht in Ordnung fand, dass man den Einführungssatz benutzt hat mit, dass auf manche autistische Menschen seltsam wirken, weil es dieses Klischee einfach wieder bestärkt hat. Oder jetzt auch in letzter Zeit, jetzt generell in den Medien. Ich weiß, kann es gar nicht mal so sagen, in welchem Medium genau das stattgefunden hat. Der Bericht war über den jungen Mann, der da in die Mädchengruppe in England geschossen hat. Da wurde, das wurde irgendwie so ausgedrückt, er hat vermutlich keinen extremistischen Hintergrund, aber er scheint ein Autist zu sein. Und dann habe ich mir wieder gedacht, warum muss man das so sagen? Und ich sage auch meinen Teilnehmer und Teilnehmerinnen immer wieder, Sprache macht so viel. Also achtet darauf, wie ihr auch über euch selbst redet, weil es gibt euch ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Ich selbst zum Beispiel sage nicht, ich habe Autismus, sondern ich bin autistisch. Das macht schon ganz was anderes auch mit einem selbst. Und auch sehr wohl benutze ich das Wort Behinderung, weil ich werde ja behindert durch eine Gesellschaft, die nicht damit umgehen kann, dass manche Menschen eben anders sind als andere. Und so sehe ich das ein bisschen. Ich versuche ein bisschen von innen heraus die Welt ein Stückchen für Menschen, denen es ähnlich geht, besser zu machen. Das wollte ich eigentlich nur dazu sagen. Danke schön.

NOWOTNY: Vielen Dank. Vielen Dank für Ihre Schilderung. Darf ich Sie noch etwas fragen? Wir haben ein E-Mail gekriegt von einem Hörer von Otmar Czufenek und er schreibt, mein Sohn ist Autist, er hat an der Integration überhaupt kein Interesse, vielleicht sollten wir auch diese Menschen akzeptieren. Ist das auch etwas, was Sie kennen oder was halten Sie von so einer Aussage, dass man auch ein, wie soll ich sagen, ein zu wohlmeinendes Vereinnahmen, dass das auch negativ sein kann?

FRAU CORNELIA: Ja, also wir erleben ganz ganz viel, bei unseren Teilnehmern und Teilnehmerinnen auch, dass die sich sehr sehr zurückziehen natürlich und so ein bisschen dann in ihrer eigenen Bubble auch leben. Ja, das ist natürlich auch schwierig. Also ich weiß nicht, inwiefern immer das Phänomen von Masking etwas sagt bei Autisten und Autistinnen. Das ist einfach diese diese Anpassungsleistung, wenn man rausgeht, ja in die Mehrheitsgesellschaft sozusagen und praktisch ein bisschen das zu versuchen zu überspielen damit man nicht allzu sehr auffällt. Diese Dinge, die sonst auffallen würden und man nimmt eben so viel, dass das verlangt so viel Kraft ab. Es ist ein riesiger Kraftakt und diesen Kraftakt, den das abverlangt und wieviel Erholung man dann braucht, das sehen halt die Menschen nicht. Und dazu ziehen sich bestimmte Menschen, bestimmte Autisten und Autistinnen zurück. Das hängt aber auch wieder mit der Gesellschaft zusammen. Ihr erkennt nicht an, wie viel Kraft ich eigentlich reinbuttern muss, um in dieser Gesellschaft bestehen zu können. Das kann natürlich auch dazu führen, dass viele daran aufgeben und dann sagen, okay, ja dann bin ich eben sonderbar. Dann bin ich aber absichtlich sonderbar, als Trotz sozusagen. Also kenne ich sehr wohl.

NOWOTNY: Vielen Dank, danke, dass Sie angerufen haben und danke, dass Sie uns auch dazu ihre Sichtweise geschildert haben. Wir werden gleich drüber sprechen, was Frau Cornelia erzählt hat über sensiblen Sprachgebrauch und warum es hier so großen Nachholbedarf gibt in den österreichischen Redaktionen. Wenn Sie sich auch an der Sendung beteiligen wollen, melden Sie sich bei uns telefonisch unter 0800 22 69 79 kostenfrei aus ganz Österreich oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins@orf.at:
Wir sprechen heute über die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in den österreichischen Medien Vorhin war das Thema auch Sprachgebrauch, sensibler Sprachgebrauch. Wir haben einige E-Mails von Hörerinnen und Hörern bekommen, die z.B. kritisieren, dass nach wie vor immer wieder, aber auch in der Öffentlichkeit insgesamt, von Behinderten die Rede ist oder behinderten Menschen und eben nicht von Menschen mit Behinderung, sondern von Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft behindert werden, weil die Umwelt so gestaltet ist, wie sie gestaltet ist. Fritz Hausjell, wenn wir von diesem Sprachgebrauch reden, da gibt es ja auch andere Themenbereiche, wo man durchaus Unsensibilität bei Journalistinnen und Journalisten kritisieren kann. Etwa auch in der Berichterstattung über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sehen Sie da große Verbesserungen in den Redaktionen oder ist der Nachholbedarf nach wie vor immens?

HAUSJELL: Nein, der Nachholbedarf ist nach wie vor schon sehr hoch, muss man leider sagen. Es gibt in manchen Bereichen Verbesserungen. Das, was die Kollegin Pernegger schon angeführt hat. Ich schaue so alle paar Jahre in die Medienberichterstattung zu klassischen, sehr mühsamen Formulierungen wie an den Rollstuhl gefesselt oder von Blindheit geschlagen und ähnlichen Formulierungen. Das Rollstuhlgefesselt-Bild hat tatsächlich an Häufigkeit abgenommen. Das heißt aber noch nicht, dass wir deswegen wirklich sehr viel sensibler geworden sind. Und ich glaube, die beste Sensitivität für den angemessenen Sprachgebrauch erreichen wir einerseits durch Weiterbildungsmaßnahmen. Da haben wir leider das ganz große Problem in Österreich, dass die journalistischen Medien seit 15 Jahren einem enormen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt sind, der immer mehr zunimmt. Die Redaktionen sind immer kleiner gemacht worden. Und die Menschen, die sich weiterbilden wollen in diesem Berufsfeld, trauen sich das zum Teil nicht, weil sie dann einfach fehlen in der Redaktion und das fast als unkollegiale Haltung begriffen wird, wenn man sich jetzt fortbildet. Aber wir bräuchten das nicht nur bei diesem Thema, sondern auch bei vielen anderen Themen. Und das Zweite, das es leider auch jetzt die aktuelle Medienpolitik versäumt hat, etwa bei der Qualitätsjournalismusförderung, hätte man eigentlich Maßnahmen auch mit Fördermitteln belohnen können, die in diesem Bereich der Inklusion stehen. Ich habe das auch entsprechend versucht, der zuständigen Fachministerin schmackhaft zu machen, aber das war ganz ohne Response. Und dabei hätten wir, wie in vielen anderen Bereichen, wir würden ja heute solche Redaktionen haben, wie wir sie in den 70ern noch hatten, was die Geschlechterzusammensetzung in der Redaktion anbelangt. Dafür würden wir uns ja in Grund und Boden genieren. Aber eigentlich sollten wir uns auch ziemlich genieren dafür, dass es uns nicht gelungen ist, in diesem hoch spannenden Berufsfeld Journalismus einfach Fairness walten zu lassen. Oder dafür zu sorgen, dass diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen einen schlechteren Zugang zu diesem Berufsfeld bis jetzt hatten und haben, hier entsprechende Unterstützung bekommen. Und da wäre gerade in einer Zeit, in der die finanzielle Situation so angespannt ist, eine gezielte Fördermaßnahme etwas, mit dem man diese Veränderungen machen könnte. Ein paar andere Dinge sind gelungen. Wir haben ein paar Preise, die inklusiven Journalismus honorieren und Bestleistungen in diesem Bereich würdigen. Aber das ist ganz sicher viel zu wenig noch. Wir bräuchten auch von Seiten derjenigen, die im Management der Medien verantwortlich sind, diese Vision, dass man einen Journalismus von den Menschen machen lässt, die am besten dafür auch geeignet sind. Da muss man fairerweise sagen, am besten sind immer noch auch Menschen, die einen Zugang zu diesen Lebenswelten haben, weil sie entweder Teil dieser Lebenswelt sind oder mittelbar sind in dieser Welt drinnen. Ob das nun die Geschlechterunterschiede sind, ob das die Frage Migration, Asyl, unterschiedliche ethnische Kulturen sind oder eben die Frage, eine Behinderung zu haben. Mit dieser zu leben und zurecht zu kommen, denn das tun die allermeisten in dieser Welt ganz gut. Zum Rückzug vielleicht nur ganz kurze Anmerkung. Jeder Mensch hat auch das Recht, sich zurückzuziehen. Schlimm wird es dann, wenn es ganze Gruppen dann tun, weil sie solche überwiegend negativen Erfahrungen machen. Dass sich Einzelne zurückziehen: jeder hat das Recht, sich mal da sozusagen nicht der Medienwelt zu stellen oder der Öffentlichkeit zu stellen. Wir brauchen diese Vielfalt, weil sie auch den Menschen ein gutes Stück hilft, mit den unterschiedlichen Herausforderungen besser zur Rande zu kommen, weil sie sehen in möglichst vielfältigen Medien, dass Normalität etwas sehr viel breiteres ist, als es in etlichen Medien vermittelt wird.

NOWOTNY: Herr Schmid, jetzt ging es ja auch schon um solche Themen wie Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Fritz Hausjell hat gerade gesagt, dass man eben, wenn man negative Erfahrungen macht, sich vielleicht auch zurückzieht. Gehen Sie denn davon aus, dass eben eine Medienberichterstattung auf Augenhöhe, also eine Medienberichterstattung nicht über Menschen mit Behinderung, sondern vielleicht mit Menschen mit Behinderung, gemacht von Menschen mit Behinderung, dass die dazu beitragen kann, dass eben solche Rückzugsphänomene weniger werden?

SCHMID: Ich glaube schon, dass man davon ausgehen kann, vor allem weil diese Berichterstatter im besten Fall natürlich, wenn die Journalistinnen und Journalisten selbst Menschen mit Behinderung sind, dass das als Role Model unglaublich gut wirkt und ich denke jeder Mensch mit Behinderung, der ein bisschen mehr in der Öffentlichkeit gestanden ist oder noch steht oder so, wird das auch merken, dass man automatisch zum Role Model wird. Für mich als Lehrer war das sehr interessant. Ich denke schon, dass viele Schülerinnen und Schüler das schon unter Anführungszeichen genossen haben, dass da nicht nur 35 sehende Lehrer oder Lehrerinnen da sind, sondern auch ein Mensch mit Behinderung. Zur Sprache möchte ich noch zurückkommen, was die Frau Cornelia erwähnt hat und ich möchte doch noch zwei Wörter verankern, die mit Behinderung zu tun haben, nämlich die Modelle. Wir haben von diesen armen Behinderten und denen, denen irgendwas fehlt gesprochen. Das war das medizinische Modell und daneben müssen wir aber unbedingt hinkommen zu einem sozialen Modell, um zu erkennen, wo behindert uns denn eigentlich zum Beispiel die Gesellschaft? Was behindert uns genau? Nur dann können qualitativ hohe Berichte, aber auch die Akzeptanz in der Gesellschaft gesteigert werden. Und die Medien schreiben über die Armen, für die man Charity macht und die Helden, aber es gibt in unserer Gesellschaft auch Menschen mit Behinderung, die zum größten Teil abgelehnt werden. Bei uns vielleicht im europäischen Raum ist das nicht mehr so gewaltig wie vielleicht in anderen Ländern oder bei uns vor 50 Jahren oder ich weiß nicht, aber die Ablehnung hat es gegeben und gibt es auch heute noch. Und das ist ein breites Spektrum von der totalen Ablehnung bis zum, ich sage jetzt einmal Zu-Tode-Lieben, bis zur Überbefürsorgung, wo eben dann der Mensch mit Behinderung sagt, ja danke, ich ziehe mich eben zurück.

NOWOTNY: Wir haben ja eingangs schon darüber gesprochen, es gibt Berührungsängste, es gibt Klischees, es gibt Vorurteile, die wirksam werden. In der Medienberichterstattung, was aber auch damit zu tun hat, dass viele Menschen einfach nicht mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen. Die Buchhändlerin Petra Hartlieb hat sich bei uns gemeldet und hat, wird von einem schönen Gegenbeispiel erzählen.

PETRA HARTLIP: Hallo, guten Tag. Ja hallo, Petra Hartlieb. Ich wollte berichten, dass wir eigentlich per Zufall vor eineinhalb Jahren begonnen haben, alle unsere Literaturveranstaltungen mit Gehörlosendolmetschen zu machen und das bewerben wir natürlich auch über die diversen Vereine und ich muss sagen, wir haben die Erfahrung gemacht, das wird sehr gut angenommen. Inzwischen gibt es sogar einen kleinen Gehörlosen-Stammtisch. Und das Tolle ist, dass sich diese Communities einfach dann so super vermischen bei uns. Es sind natürlich auch sehr viele Menschen, die keine Hörbehinderung haben, das erste Mal konfrontiert mit einem Gehörlosendolmetsch, wo eine Literaturlesung übersetzt wird und die sind dann total erstaunt, dass das funktioniert und wie das geht und wollte ich einfach nur positiv berichten, dass das sehr gut angenommen wird und dass das bei uns ein fixer Bestandteil ist. Es wurde allerdings auch noch nie irgendwo darüber berichtet und eine Förderung oder so gibt es sowieso keine. Also das leisten wir uns quasi als Buchhandlung, weil wir das toll finden und einfach die Honorare bezahlen und es einfach gerne vorleben.

NOWOTNY: Vielen Dank Frau Hartlieb. Danke für dieses positive Beispiel. Frau Pernegger, wir haben ja vorhin auch schon geredet über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Das zum Beispiel ist jetzt ein Beispiel. Da kommen unterschiedlichste Menschen zusammen bei einer Kulturveranstaltung und können sich quasi ohne Druck kennenlernen und austauschen diese Bilder von Menschen mit Behinderung, die wir haben von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Wovon sind die denn geprägt? Was haben denn die meisten Menschen für eine Idee davon, was jetzt eine Behinderung sein soll und wo wird das vielleicht ausgeblendet oder ausgeklammert?

PERNEGGER: Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir hier im Bereich der Bewusstseinsbildung unglaublich viel Nachholbedarf haben, ob das das Beispiel Autismus ist, was vorher genannt wurde, wo viele Menschen gar nicht wissen, was das bedeutet oder womit sich autistische Menschen vielleicht ein bisschen schwerer tun. Sind das Reizeinflüsse, sind das Sozialkontakte und so weiter. Das heißt, man weiß oft gar nicht, was bedeutet das eben. Und medial werden dann manche Themen sehr hoch gespielt, gerade wenn wir prominente Persönlichkeiten haben, die beispielsweise autistisch sind. Elon Musk zum Beispiel, das sind dann solche Beispiele, die kriegen schon viel Bühne. Auf der anderen Seite haben wir aber ein sehr monotones Bild von Behinderung. Und Behinderung bedeutet für viele Menschen, es sitzt jemand im Rollstuhl. Es nützt jemand einem Rollstuhl. Und die Tatsache ist, laut Zahlen der Statistik Austria, dass nur 0,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich einen Rollstuhl nutzen. Gleichzeitig ist fast die Hälfte der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung zeigt Menschen, die einen Rollstuhl nutzen. Also hier haben wir eine ganz klare Verzerrung. Und wir sprechen sehr oft über sichtbare Behinderungen, aber eben nicht über unsichtbare Behinderungen. Und ja, das kann für betroffene Menschen ganz oft ein Nachteil sein, weil eben dann Stigmatisierungen passieren, weil es Vorurteile gibt, weil man keine Ahnung hat, von dieser bestimmten Behinderung zum Beispiel. Und hier würde mehr Bewusstseinsbildung, mehr Wissen und dieses Füllen dieses Vakuums, das würde einfach helfen, um diese Vorurteile und um diese Barrieren in den Köpfen, wie man so schön sagt, oft auch abzubauen. Also das eine ist ja, und es ist so schön an diesem Titel der heutigen Sendung, behindert sein versus behindert werden. Und behindert werden bedeutet oft, dass ich eben nicht teilhaben kann, dass ich Ausgrenzung erfahre und so weiter. Und hier ist ein ganz wichtiger Schlüssel, die Freiwilligkeit. Ziehe ich mich freiwillig zurück oder muss ich mich zurückziehen, weil die Rahmenbedingungen so schlecht sind, weil Barrierefreiheit nicht gelebt wird, weil ich Diskriminierung oder Ausgrenzung erfahre. Also das ist ein ganz wichtiger Key da drinnen.

NOWOTNY: Wir haben auch einige E-Mails von Hörerinnen und Hörern zu diesem Thema Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit bekommen, die eben auch darauf aufmerksam machen, dass auch eine schwere chronische Erkrankung, etwa auch eine schwere chronische Krebserkrankung dazu führen kann, dass man mit einer Behinderung lebt. Und zu dem Thema der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit hat sich auch Frau Hitzgagel bei uns telefonisch gemeldet.

HITZGAGEL: Guten Tag. Guten Tag, danke, dass ich drankommen bin. Und also ich wollte einfach sagen, der spezielle Autismus und auch rheumatische Erkrankungen, oder es sind ja keine Erkrankungen, sondern das sind Zustände eben, das ist für Menschen extrem schwierig und da wird extrem wenig gemacht. Also ich habe es in meinem Umkreis und ich sehe das auch im Beruf. Da darf man sich nicht outen, weil man hat Angst den Job zu verlieren. Auch speziell mit Autismus, obwohl das auch eine Inselbegabung ist. Es gibt überhaupt also zumindest wenig Hilfeangebote. Ich habe es in der Schule auch miterlebt, weil ich ja Nachmittagsbetreuung war. Also da wird noch so wenig gemacht und diese Menschen leiden extrem. Also diese Menschen machen dieses Masking, wie die Dame das früher gesagt hat, das ist sowas von anstrengend. Diese Menschen haben fast keine Kraft mehr und irgendwann mal kumuliert sich das und die fallen in ein psychisches Loch. Also das ist wirklich, da gehört wirklich mehr gemacht.

NOWOTNY: Vielen Dank, vielen Dank für diesen Anruf, Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, das ist ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang. Ich würde gerne noch eine Anruferin drannehmen, da geht es wieder um den Sprachgebrauch. Frau Giesinger hat sich bei uns gemeldet. Frau Giesinger, guten Tag.

GIESINGER: Ja, guten Tag nach Wien. Ich möchte mich dazu melden oder outen, weil ich bin eine Betroffene seit gut zehn Jahren, bin ich nicht sehend, also ich bin nicht blind, sondern ich bin nicht sehend. Aber was mich ganz, ganz stört auch ist, dass man immer sagt mit Behinderung und nicht mit Beeinträchtigung. Das „Behinderung“ hat so einen Beigeschmack, so einen negativen, und genauso das Blinde. Ich habe in meinen Freundeskreis und überall eingeführt und die machen das auch. Ich bin nicht sehend. Vielen Dank. Da müssten auch die Medien was machen, dass man generell dieses Wort nicht mehr verwendet, sondern auf Abstille gestellt und mit Beeinträchtigung sagt.

NOWOTNY: Vielen Dank, Frau Giesinger. Herr Schmid, da gebe ich die Frage dann vielleicht auch gleich an Sie weiter, wie wir denn hier mit Worten auch umgehen sollten. Frau Giesinger ist nicht sehend. Sie würde sich wünschen, dass von Beeinträchtigung die Rede ist und nicht von Behinderung. Wie sehen Sie dann das?

SCHMID: Ja das ist eine sehr interessante Frage und es gibt je nach Richtung auch innerhalb, ich sage jetzt einmal der Bewegung der Menschen mit Behinderung und ich erwähne jetzt bewusst Behinderung, da gibt es auch viele Richtungen, also zum Beispiel die Dame aus Vorarlberg vermute ich aufgrund des Akzents würde aufschreien, wenn ich sage jetzt, dass sich eine Gruppe absichtlich und bewusst in den 60er Jahren noch weiter als Krüppelbewegung bezeichnet hat. Die haben das sehr bewusst gemacht, um zu zeigen, wir sind ganz anders als ihr denkt vielleicht. Es gibt viele Wörter für Behinderung, Beeinträchtigung und so weiter. Und es gibt auch leider Sprachbilder - zum Beispiel Herausforderung, kann man jetzt einen kleinwüchsigen Menschen als einen Menschen mit Herausforderung bezüglich seiner Körpergröße bezeichnen. Also hoffentlich nicht. Also es gibt hier die verschiedensten Dinge. Ich selber und auch der österreichische Behindertenrat, der ja die verschiedensten Organisationen vertritt, ca. 90, ich habe es nicht genau im Kopf. Wir bezeichnen uns so, denn Behinderung umfasst sehr viele Bereiche und drückt eben nicht nur dieses, ich kann nicht sehen, da habe ich wieder einen medizinischen Mangel, sondern Behinderung drückt mehr aus. Eine Eigenschaft von mir, ich bin behindert. Eine anderes Faktum, ich werde behindert und nicht ganz umsonst ist bei der Übersetzung UN-Behindertenrechtskonvention praktisch auch das Wort Behinderung gewählt worden. Also man sucht hier Probleme allein im Bereich des Sehens, Blindheit, Sehbehinderung, wenn ich da dann die englischen Bezeichnungen nehme. Also das ist eine ganze Welt, die hier zu diskutieren wäre. Ich denke Behinderung in seiner Doppelbedeutung als etwas, das eine Eigenschaft von mir ist und etwas, das andere an mir veranlassen, sozusagen, dass mir gefällt.

NOWOTNY: Dass es mehr Initiativen braucht, um die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in österreichischen Medien zu befördern, um Berichterstattung auf Augenhöhe zu befördern, das haben wir heute schon mehrmals besprochen. Es gibt eine neue Initiative des ORF, über die sprechen wir gleich, jetzt hören wir noch einmal kurz Musik. Wir sprechen heute über die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in den österreichischen Medien und wir haben noch ein paar wenige Minuten Zeit, um über eine neue ORF-Initiative zu sprechen, der Abteilung Barrierefreiheit und Inklusion, die hat Anfang Juli gestartet, sie heißt „Mach dich sichtbar“. Damit möchte der ORF die Fähigkeiten und Talente von Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen, in Gesellschaft und Werbung sichtbar machen. Herr Prof. Hausjell, könnten Sie ganz kurz zum Schluss noch sagen, wie finden Sie denn solche Initiativen? Warum sind solche Initiativen wichtig, gerade auch wenn das Stichwort Werbung gefallen ist?

HAUSJELL: Weil wir unter anderem auch über die Werbung viele gesellschaftliche Normen vermittelt bekommen und in Kürze Geschichten erzählt bekommen, was in unserem Leben attraktiv ist. Ich glaube auch das gehört gesagt, ein Leben mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen kann hochgradig attraktiv sein. Viele von uns haben ja auch einfache Beeinträchtigungen, die wir nicht merken, weil wir die Brille aufsetzen, weil wir ein Hörgerät hineingeben, wenn wir älter geworden sind, in die Ohren und so weiter. Aber manche haben halt stärkere Probleme damit und dafür brauchen wir auch eine Welt, die so geschaffen ist, dass sie auf diese Menschen auch entsprechend zugeht.

NOWOTNY: Jetzt haben wir ein kleines Übertragungsproblem. Leider ist die Verbindung nach Australien jetzt gerade doch nicht mehr so gut, wie sie schon war. Herr Schmid, wie sehen Sie denn diese Initiative macht dich sichtbar? Das Casting hat Anfang Juli gestartet. Es wird bis zum September gehen. Man kann sich quasi bewerben beim ORF.

SCHMID: Ich muss mich hier outen, trotz meiner 69 Lebensjahre habe ich mich auch beworben. Aber nicht, das habe ich auch in diesem Bewerbungsvideo gesagt, nicht vielleicht um in irgendeinem Werbefilm aufzutreten, oder ich weiß nicht, in einem anderen Film, sondern ich möchte einfach andere Menschen mit Behinderung ermutigen, das auch zu tun, unsere Fähigkeiten sichtbar zu machen. Ich bin, wäre, bin gerne auch Berater, wenn hier etwas in Angelegenheiten von Behinderung notwendig ist, dass das hier Informationen eingeholt werden. Also ich finde die Initiative rundum als gut, wir werden sehen, was daraus dann wird. Vielleicht gibt es ja Talente, also ein blinder Mensch ist vielleicht nicht gerade der beste Filmdarsteller, aber vielleicht ist er auf dem Gebiet der Musik, des Wortes, der Bildenden Kunst, vielleicht ist er da gut. Und ein Mensch mit anderen Behinderungen, der hat vielleicht andere Fähigkeiten, die man irgendwo einbringen kann. Für die Journalisten: Links und rechts schauen, damit man irgendjemanden findet, der hier auf diesem Gebiet etwas Interessantes macht und den Alltag nicht vergessen.

NOWOTNY: Frau Pernegger, das Ziel einer Medienberichterstattung auf Augenhöhe, das ist ein weitgestecktes, oder weit entfernt gestecktes, wenn man so möchte, wenn wir das alles berücksichtigen, was wir heute gehört haben, nämlich, dass dann hoffentlich irgendwann eine Behinderung eine Eigenschaft ist von vielen, dass wir Menschen zeigen, wie sie sind, vielleicht auch sagen, dass sie ein Mensch mit Behinderung sind, aber dass das genauso nebensächlich ist wie das Geschlecht zum Beispiel oder die Herkunft. Können denn aus Ihrer Sicht solche Initiativen wie macht dich sichtbar dazu beitragen? Brauchen wir solche Initiativen derzeit in Österreich?

PERNEGGER: Ich glaube, solche Initiativen, egal ob das jetzt Menschen mit Behinderung betrifft oder irgendwelche scheinbare Minderheiten zum Beispiel auch betrifft, das ist, glaube ich, extrem wichtig. Die Gesellschaft ist bunt und solche Initiativen zeigen, das Leben ist bunt, die Gesellschaft ist bunt, das kann eine Vorbildwirkung haben und so weiter. Aber ich glaube, was ganz wichtig ist, neben diesen Themen auch die Rahmenbedingungen zu beachten. Also Medien sind nur ein Teil in diesem Mosaik. Also ich kann nicht die ganze Verantwortung der Medien umhängen. Es muss auch die Politik, es muss auch die Wirtschaft, es muss auch die Zivilgesellschaft was tun und man muss vor allem auch auf die Missstände hinweisen. Also nicht nur die Wohlfühlthemen unter Anführungszeichen, sondern auch sagen, was gelingt denn noch nicht, wo haben wir denn echte Barrieren? Ich spreche über Themen wie Lohn statt Taschengeld. Das ist gerade, wo in der Politik jetzt ein Stück weit Bewegung reingekommen ist oder leistbares barrierefreies Wohnen oder inklusive Bildung, wo wir noch unglaublich viel Nachholbedarf haben und das ist kein Thema, das jetzt bei den Medien liegt, sondern es ist ein Thema, wo wir uns als Gesellschaft insgesamt drum bemühen müssen. Aber Medien trotz allem sind ein wichtiger Hebel bei Informationsbildung. Auch ein wichtiger Hebel dort, wo es darum geht ein Stück weit den Lichtkegel wohin zu lenken und zu zeigen, das ist auch wichtig oder in gewisser Weise auch Druck auf die Politik ausüben. Also ich denke, dieses Zusammenspiel und diese Gesamtverantwortung ist wichtig, damit Inklusion tatsächlich passieren kann und gelingen kann.

NOWOTNY: Ich glaube, wir haben heute einige Aufträge mitbekommen als Gesellschaft, die Aktivberührungsängste abzubauen und sich ein realistisches Bild zu verschaffen. An die Politik geht der Auftrag, Förderungen zu geben. Das inklusive Bildungssystem haben Sie gerade angesprochen, eben auch Lohn statt Taschengeld. Und dann die Journalistinnen und Journalisten, an uns Redaktionen, dass wir uns weiterbilden müssen, dass wir offen sein müssen, dass wir einen sensiblen Sprachgebrauch haben müssen und dass wir nach Geschichten suchen sollen, die Jenseits von klassischen Heldinnen- und Opferdarstellungen sind. Vielen Dank für das Gespräch, vielen Dank an Fritz Hausjell, der uns aus Australien zugeschaltet war. Vielen Dank an Erich Schmid, der online dabei war und vielen Dank Maria Pernegger, dass Sie hier im Studio waren. Danke für die Einladung.