Wahlplakate auf der Strasse.

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Umfragen, Headlines und die Jagd nach Klicks

Wenn Medien Wahlkampf machen

Drei Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl am 29. September wollen Kanzler werden. Doch die meisten Medien spitzen seit Wochen alles auf ein Duell zwischen dem blauen und dem schwarzen Parteichef zu. Der rote Spitzenkandidat wird als chancenlos dargestellt, die internen Querelen seiner Partei bringen die Negativ-Spirale weiter in Schwung. Was tragen Umfragen und die Berichterstattung darüber zu dieser Dynamik bei? #doublecheck zur medialen Verfasstheit wenige Wochen vor der Wahl.

Der deutsche Privatsender n-tv hat vor der Bundestagswahl 2021 eine Premiere gehabt: ein sogenanntes Triell mit Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Alle wollten Kanzler bzw. Kanzlerin werden. In Österreich wollen gerade auch drei Leute - nämlich Karl Nehammer, Andreas Babler und Herbert Kickl - Kanzler werden. Medial ist das aber spätestens seit der Europawahl im Juni, wo die FPÖ Erster geworden ist und die ÖVP Zweiter, auf einen Zweikampf Nehammer-Kickl zugespitzt worden.

Meinungsforscher Peter Hajek sagt, würden wir den Kanzler direkt wählen, dann wäre das in Ordnung, weil jeweils 22 Prozent für Nehammer und Kickl als Kanzler votieren würden. Babler ist in dieser fiktiven Wahl mit 13 Prozent abgeschlagen. Gewählt werden aber Parteien, die mit der sogenannten Sonntagsfrage abgetestet werden. Und die zeigt laut Hajek zwei Dinge: "Erstens können wir fast ausschließen, da ist der Abstand statistisch signifikant, dass die Sozialdemokraten Erster werden, das wäre für uns tatsächlich eine Überraschung."

Unsichtbarer Kampf um Platz zwei

Und das andere ist der Kampf um Platz zwei, der medial unterbelichtet ist, obwohl nach der Wahl für den Koalitionspoker ganz entscheidend. Es will ja angeblich nicht einmal die ÖVP mit der Kickl-FPÖ regieren, also müsste dem Zweiten die Führungsrolle zufallen. Peter Hajek: "Babler muß nicht Erster werden, um Kanzler werden zu können. Angenommen, Andreas Babler wird Zweiter und man einigt sich mit der ÖVP und dann vielleicht noch mit wem Dritten auf eine Koalition. Dann kann er genauso Kanzler werden. Und es ist nicht ganz ausgeschlossen, denn der Abstand zwischen ÖVP und Sozialdemokraten ist statistisch nicht signifikant."

In den Medien findet diese Variante aber kaum Niederschlag, "Falter"-Herausgeber Armin Thurner spricht sogar von Verschleierung. "Die Variante wird absolut verschleiert bzw. wird auch alles dazu getan, um den Babler unmöglich zu machen. Das, finde ich, hat eine Dimension, wie wir sie bis jetzt in noch keiner Auseinandersetzung gesehen haben."

Journalistische Milieus und Überzeugungen

In der Tageszeitung "Die Presse" hat Rosemarie Schwaiger ihm deshalb vorgehalten, an einer Verschwörungstheorie zu basteln. Es sei nämlich genau umgekehrt, so Schwaiger: "Andreas Babler wurde die längste Zeit für meinen Geschmack eher zu pfleglich behandelt. Weil zunehmend klar wird, dass er doch mehr Provinzbürgermeister als Messias ist, herrscht jetzt reihum Katzenjammer." Der Vorwurf gegen ihn sei absurd, kontert Thurnher. Er verweist auf die Dynamik in der Branche: "In journalistischen Milieus bilden sich natürlich auch Überzeugungen. Und da gehört die Überzeugung dazu, dass der Babler sozusagen mit dem Chaos in der SPÖ dann nichts mehr bringen kann und auch sozusagen eine ungeeignete Person ist."

Wie zur Bestätigung hat "Standard"-Redakteur Thomas Mayer auf X - vormals Twitter - ein bemerkenswertes Posting zu Bablers aktuellen Wahlkampfauftritten abgesetzt. Zitat: "SPÖ-Chef Babler schreit sich als Volkstribun durchs Land. Begeistert seine Fans in seiner gespaltenen Partei. Aber wird man so Bundeskanzler?"

Einfach irgendwie Aufregung erzeugen

Das journalistische Milieu ist sich einig. Im Nachrichtenmagazin "profil" schreibt die Chefredakteurin über "Bablers patschertes Leben", Oliver Pink von der "Presse" sagt voraus, dass es für die SPÖ "keinen Keir Starmer-Effekt" geben werde - dass sie sich also die Kanzler-Träume, die sich für die britische Schwesterpartei Labour erfüllt haben, abschminken kann. Und "Kurier"-Chefredakteur Martin Gebhart bescheinigt der Nehammer-ÖVP umgekehrt, dass sie die fatale Episode mit Sebastian Kurz an der Spitze endgültig hinter sich gelassen habe. Sein Befund: "Die ÖVP ist nicht mehr türkis."

Wirkmächtiger ist freilich der Boulevard. Die Gratiszeitung "Heute" von Eva Dichand macht mit praktisch täglichen Kickl-Meldungen schon seit Monaten Clickbait, versucht also die Zugriffs-Zahlen auf ihre Website zu optimieren. Der Politologe und Medienwissenschafter Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien sagt: Gerade im Wahlkampf arbeiteten viele Medien mit Zuspitzung und wollten "irgendwie Aufregung erzeugen". Dazu passe natürlich, "dass man die Parteien in den Vordergrund bringt, die möglicherweise auch am meisten Emotionen erzeugen können. Und speziell bei der FPÖ bietet sich das an."

Der Bestseller Kickl sorgt für Klicks

Kickl ist ein Bestseller, weil er extrem polarisiert. Anfang Juli gab es in der "Heute"-Zeitung ein Musterbeispiel für "irgendwie Aufregung erzeugen" - Titel: "Umfrage-Hammer! 59 Prozent für FPÖ in neuer Regierung!" Gefragt wurde freilich, wie der Medien-Watchblog "Kobuk" aufgezeigt hat, nach etwas anderem. Die konkrete Fragestellung lautete: "Darf die FPÖ Teil einer Bundesregierung werden, wenn sie einen Partner findet?"

Aber auch die Fellner-Medien der oe24-Gruppe spielen mit. Zuletzt mit einer Umfrage, die die SPÖ bei 20 Prozent sieht, mit dem entsprechenden Titel: "Umfrage-Knaller: Babler im Tal der Tränen!" Meinungsforscher Peter Hajek sagt dazu trocken: "Ich bin seit 1997 in dem Geschäft und seitdem machen Medien mit Umfragen Headlines. Es ist relativ einfach."

Der "Horse Race Journalism" ist nicht neu

In den 1970-er Jahren hätten die Medien noch unkritisch Umfragen übernommen, die die Parteien in Auftrag gegeben haben. Man konnte die nicht überprüfen. Ab den 1980-ern hätten die Medien dann eigene Umfragen in Auftrag gegeben, ein demokratiepolitischer Fortschritt, so Hajek. "So ist es auch heute noch. Aber es werden natürlich Umfragen gemacht, damit man auch Headlines zum Teil generieren kann." Und der Politikwissenschafter Fritz Plasser habe schon vor 20 Jahren ein Buch geschrieben, "wo er den Horse Race Journalism anprangert, dieses: Wer ist vorne? Dieses neck-to-neck Rennen - also das ist nicht neu."

"Würde momentan keine Umfragen beauftragen"

Horse Race, damit hat auch Christian Nusser seine Erfahrungen. Er war Chefredakteur der "Heute" Print-Ausgabe, jetzt macht er für den Verlag das Online-Medium "Newsflix". Nusser hat gemeinsam mit Peter Hajek Standards in der Umfragen-Berichterstattung gesetzt, nachdem die bei der Wien-Wahl 2015 stark danebengegangen ist. Nusser zur Lage vor der Nationalratswahl: "Ich würde im Moment keine Umfragen gerne machen müssen und keine beauftragen. Die Lage ist unübersichtlich, weil wir neun Parteien haben, die bundesweit antreten und die Chance haben, reinzukommen."

Üblicherweise gehe man davon aus, dass sich das Wahlverhalten schon Monate vorher festlegt und dass da wenige Verschiebungen sind, so Nusser. "Ich würde dafür diesmal nicht die Hand ins Feuer legen. Da ist schon noch sehr viel Mobilität drinnen." Und Luft nach oben sieht Christian Nusser ausgerechnet bei der SPÖ. Das ORF-Sommergespräch mit Andreas Babler war seiner Ansicht nach ein Wendepunkt.

Am Traunsee nicht auf die Schnauze geflogen

Babler kam aus der Woche mit dem Rücktritt des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger und der an die "Kronen Zeitung" gespielten Kritik von Doris Bures am SPÖ-Wahlprogramm. Nusser: "Viele haben erwartet, dass er am Montag landläufig gesagt, auf die Schnauze fliegt, dass er unsicher ist, dass er schwitzt, dass er stammelt, dass er nicht gut argumentieren kann. Und das ist nicht passiert. Und ich glaube, von dem Zeitpunkt an hat sich die Sachlage etwas gedreht und die Diskussion seitdem hat sich meiner Sicht nach doch stark gewandelt."

Es gehe um Aufmerksamkeit, und die habe Babler jetzt paradoxerweise gerade wegen der heftigen Negativ-Berichterstattung bekommen. "Die SPÖ rutscht ja in eine Situation, die die FPÖ jahrelang für sich genutzt hat. Sie fühlt sich von den Medien verfolgt, sie fühlt sich von den sozialen Medien nicht gut behandelt." Nusser nennt das eine Robin-Hood-Situation, "wo du plötzlich auch ein Momentum kriegst und wo du - geschickt - was draus zimmern kannst. Die SPÖ kann auf dieser Welle surfen oder sie kann von der Welle verschluckt werden. Beides ist möglich."

Die Stimme Österreichs und ihr Programm

Andreas Babler läuft auch Gefahr, dass er beim Surfen mit dem Tanker "Kronen Zeitung" kollidiert. Das reichweitenstärkste Boulevardblatt des Landes fährt gerade eine Kampagne mit dem Titel "Die Stimme Österreichs" und gibt Themen vor, als würde die "Krone" selbst als Partei bei der Nationalratswahl kandidieren. Herausgeber Christoph Dichand hat in einem Editorial den tieferen Sinn der Kampagne offengelegt. "Das Land muss funktionieren, unsere Volksvertreter sollen repräsentieren und sich nicht in Untersuchungsausschüssen gegenseitig Textprotokolle vorwerfen, die ohnehin meist Datenschutz-Verletzungen darstellen. Außerdem ist das alles in die Vergangenheit gerichtet."

Der Hintergrund: die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die Dichands wegen Inseratenkorruption, Textprotokolle aus Chats sind die Grundlage.

Die Interessen der "Krone"-Eigentümer

"Falter"-Gründer Armin Thurnher hat als Medienkritiker schon viele Sträuße mit der "Krone" gefochten. Er sagt zur Kampagne: "Die Krone macht, was sie immer macht. Sie versucht sich so wichtig zu machen, dass man sie bei der Regierungsbildung sieht und die Interessen ihrer Eigentümer nicht übergehen kann. Allerdings, so direkt wie sie es jetzt macht, das scheint mir doch etwas zu plump. Es ist nicht mehr alte Dichand-Schule. Das ist schon mehr Verzweiflung." Das Blatt betont, über den Parteien zu stehen und nur seiner Leserschaft verpflichtet zu sein.

"Zum jetzigen Zeitpunkt eine schiefe Optik"

Die Inhalte, die die "Krone" vorrangig kampagnisiert - gegen Gendern und Sprachzensur, für beinharte Abschiebungen, gegen Erbschafts- und Vermögensteuern - passen freilich gut zu den Programmen von ÖVP und FPÖ. Jakob-Moritz Eberl sieht in der Kampagne gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine schiefe Optik – "weil gerade im Wahlkampf durchaus viel Spiel steht, unter anderem möglicherweise auch Regierungsinserate nach der Wahl. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass es in der Hinsicht Absprachen gegeben hätte. Aber diese schiefe Optik ist einfach da." Eben wegen der Themenauswahl der "Kronen Zeitung", sagt Eberl. Es würden nicht unbedingt Parteien als solche unterstützt, aber es stünden "bestimmte Themen sehr klar mit bestimmten Parteien in Verbindung".

Vorteil Kanzler im Match der Muthgasse

Wobei ÖVP-Obmann Kanzler Nehammer bei der Redaktion in der Wiener Muthgasse deutlich besser wegkommt als FPÖ-Obmann Kickl. "Krone"-Chefredakteur Klaus Herrmann hat das in seinem Leitartikel am Wochenende anschaulich zusammengebunden: "Wenn es Nehammer schaffen sollte, Erster oder zumindest guter Zweiter zu werden: Mit wem regiert er dann? Mit einem Rechten, der von der Todesstrafe schwadroniert? Oder einem Linken, der von neuen Steuern phantasiert?"

Seine "Stimme Österreichs" wird gehört werden, hat Christoph Dichand geschrieben. Und sie scheint auch schon jemanden er-hört zu haben.