Wetterbildschirme

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Wenn Journalismus klimatisch verändert wird

Die verlorene Unschuld des Wetterberichts

Die Rekord-Flutkatastrophe von Mitte September, die laut einer aktuellen Studie infolge der Erderhitzung deutlich verschärft worden ist, hat auch die Berichterstattung darüber in den Fokus gerückt. Den Wetterbericht mehr oder weniger unterhaltsam präsentieren, das war einmal. Journalistinnen und Journalisten der Wetter-Redaktionen brauchen viel Expertise und tragen mit Zunahme von Extrem-Ereignissen immer mehr Verantwortung. Dazu kommen Anfeindungen von Klimawandel-Skeptikern und ein schmaler Grat zum Aktivismus.

ORF-Wetter-Anchor Marcus Wadsak stand angesichts der Flutkatastrophe, die über Teile Österreichs hereingebrochen war, im Mittelpunkt des medialen Interesses. Weil er nicht auf dem TV-Schirm zu sehen war. "Wadsaks Bildschirmabsenz befeuert Spekulationen" titelte der "Standard" und gab Mutmaßungen aus dem Netz wieder: Wadsak sei auf politischen Druck der ÖVP aufs Abstellgleis gestellt worden. Die ORF-Wetterredaktion werde angehalten, die Folgen des Klimawandels nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich war Wadsak, der die Klimakrise auf Sendung und in Vorträgen immer klar benennt, in diesen Tagen auf Urlaub.

Immer wieder interne Debatten über die K-Wörter

Sein Ressortleiter ORF-Wetter-Chef Daniel Zeinlinger sagt zu den Verschwörungstheorien: "Den Druck gibt es überhaupt nicht. Den Druck gibt es nicht von intern. Den Druck gibt es nicht von extern. Die Redaktion hat einen Auftrag, nämlich über das Wettergeschehen zu informieren." Aber gibt es eine Sprachregelung, darf man in der Wetterredaktion des ORF "Klimakrise" oder gar "Klimakatastrophe" sagen? Zeinlinger: "Wir diskutieren immer wieder mal drüber. Es ist dann aber nicht so, dass da ein Wording festgelegt wird. Uns ist der interne Diskurs wichtig. Aber es gibt sicher keine Erlässe oder Maulkörbe oder sonst irgendwas, sondern es kann jeder frei berichten nach bestem Wissen und Gewissen, wie es unser Auftrag ist."

Wetterredaktion, Funkhaus

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Wera Gruber war am Wochenende, als das Hochwasser kam, als Redakteurin im Einsatz. Es sei eine Herausforderung gewesen, sagt sie. "Die Regenmengen, die da vom Himmel gekommen sind, waren ja unglaublich. Genauso die Windgeschwindigkeiten, die wir gemessen haben. Das ist ja normalerweise so: Wenn es stürmt, regnet es nicht so stark. Wenn es stark regnet, ist der Wind nicht so stark." Diesmal sei es eine völlige Ausnahmesituation gewesen.

"Ich sage menschengemachter Klimawandel"

Wie geht Gruber mit dem Thema Klima um? "Ich persönlich verwende gern den Begriff des vom Menschen verursachten Klimawandels, weil es die Verantwortung des Menschen widerspiegelt. Aber ehrlicherweise ist es auch für mich ein on-going Prozess, und ich habe für mich selbst das noch nicht abschließend beantworten können - die Frage, was da das beste Wording ist." Auch Manuel Oberhuber aus der Wetter-Redaktion ist durch kompetente Präsenz im ZIB-Studio aufgefallen. Er hat den Zusammenhang von Flut und Erderhitzung in der Sondersendung klar benannt.

Hauptaufgabe sei natürlich die tägliche Berichterstattung mit den Prognosen und da gehe es eben in erster Linie ums Wetter, sagt Thomas Wolkinger von der FH Joanneum Graz über die Rolle der Wetter-Journalistinnen und -Journalisten. Aber das Klima müsse seinen Platz im Wetterbericht haben: "Der tägliche Wetterbericht ist natürlich ein Fixpunkt für Menschen, die noch linear fernsehen und auch eine der meistgesehenen - zumindest für den ORF gilt das jedenfalls - täglichen Sendungen. Das heißt, da geht viel Verantwortung mit diesem Format einher. " Das ORF-Wetter nach der ZIB hat ein Millionen-Publikum.

Wetterbericht nicht ohne das Klima-Thema

Entscheidend sei wie so oft die Dosis, sagt Thomas Wolkinger, der in Graz einen Lehrgang über Klima-Journalismus leitet. "Zu sagen, das muss immer drinnen sein, das Thema Klima im Wetter - das wäre einerseits kontraproduktiv, weil man die Menschen auch ein bisschen ermüden würde oder vielleicht alarmistisch zu stark belasten, noch dazu, wo ohnedies schon viele unter Nachrichtenmüdigkeit leiden. Die will man jetzt auch nicht verlieren, sage ich mal, sondern gewinnen für Information."

Claudia Kleinert, sie ist eine prominente deutsche Wetter-Moderatorin und arbeitet für die ARD, stimmt zu: "Theoretisch könnten wir fast jede Woche oder zumindest jeden Monat über irgendeinen neuen Rekord, über eine Temperatur-Erhöhung, wie sie so noch nie gab, berichten. Was wir nicht machen, weil wir genau wissen, die Menschen hören auch nicht mehr zu." Kleinert moderiert das "Wetter vor acht", und da hat man so seine Erlebnisse. Eine Design-Änderung bei den Wetterkarten habe schon Verschwörungs-Potenzial. Der Vorwurf: "Dass das jetzt Panikmache ist, weil das war früher orange, das ist heute dunkelrot und obwohl es beide Male eine hohe Temperatur ist, hat sich die Farbe total geändert, und das ist Panikmache."

Zwischen Alarmismus und Wachrütteln

Panikmache, Meinungsmache - diese Vorwürfe kommen immer wieder, etwa wenn im ZIB Magazin Klima nach dem Flut-Wochenende der Klimaforscher Marc Olefs von Geosphere Austria mit diesem Zitat zu Wort kommt: "Wir erwärmen uns derzeit mit einer Geschwindigkeit, also die Erde als Ganzes von circa 14 Hiroshima Atombomben pro Sekunde. Das ist die Zusatz Energie, die wir als Menschen derzeit dem System Erde hinzufügen." Daniel Zeinlinger dazu: "Ich nehme an, dass das gut berechnet ist, und er ist der Klimawissenschafter. Ich glaube, dass es Olefs vor allem darum geht, die Menschen wachzurütteln, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es ist auf jeden Fall ein sehr drastisches Bild, das polarisiert."

So deutlich Klimaforscher manchmal werden, für die Wetter-Moderatoren und -Journalistinnen gilt: weniger ist mehr. Wera Gruber: "Ich bemühe mich auch, das möglichst neutral zu gestalten. Und die Einordnung oder die Wertung, ob es jemand als schön oder schlecht empfindet, soll jeder für sich selbst machen." Alles andere komme beim Publikum auch schlecht an, sagt ORF-Wetter-Chef Zeinlinger. "Wenn die Leute, die über das Wetter berichten, das Wetter nur noch bewerten, fühlt sich unser Publikum bevormundet. Insofern versuchen wir, das zu vermeiden."

Christa Kummers geheimnisvolle ZIB-Analyse

Vor diesem Hintergrund kann es dann schon einmal zu Aussagen kommen, bei denen ein Teil des Publikums seinen Ohren nicht traut. Wenn etwa Christa Kummer eine Analyse in der ZIB so beendet: "Ich möchte aber jetzt wirklich abschließend noch betonen, dass es sehr wichtig ist zu betonen, dass das Wetter ist und nicht Klima." Das sei aufgefallen, räumt Daniel Zeinlinger ein. Man müsse da aber nichts hineingeheimnissen: "Die Klima-Frage kommt sehr oft, ich vermute, dass Christa Kummer das vorweggenommen hat, dass man das eben so jetzt nicht unbedingt gleich von vornherein auf den Klimawandel schieben könnte."

Auch Claudia Kleinert vom ARD "Wetter vor acht" weiß, dass Fingerspitzengefühl notwendig ist. "Man muss halt auf seine Worte achten. Also das schöne Wetter gibt es nicht mehr. Es gibt kein schönes Wetter, weil das, was vielleicht Sonne und Trockenheit für Kinder in den Ferien ist und damit Freude verursacht, ist für den Landwirt möglicherweise eine Katastrophe." Und daraus erwächst auch große Verantwortung. Kleinert spricht noch einmal die jüngste Hochwasser-Katastrophe in Österreich, Tschechien und Polen an: Zehn Tage vorher habe es so ausgesehen, als ob dieses Tiefdruckgebiet nicht über Österreich zum Liegen komme, sondern mitten über Deutschland. Da müsse man natürlich sehr aufpassen, dass man nicht überdramatisiere.

Algorithmen helfen, die Verantwortung zu tragen

Da sei die Verantwortung sicherlich noch größer als an allen anderen Tagen, sagt Daniel Zeinlinger: "Ich muss aber sagen, dass sich das in den letzten Jahren stark verändert hat, nämlich auch unsere Arbeitsweise. Vor 20 Jahren hatten wir zwei Wettermodelle zur Verfügung, die wir uns angeschaut haben. Mittlerweile verwenden wir in der Redaktion zehn Wettermodelle. Und damit kann man natürlich auch die Sicherheit der Prognose ganz gut abschätzen. Ja die Verantwortung ist sicher da, aber die Arbeit ist insofern leichter geworden, als man ganz einfach mehr Daten-Evidenz heutzutage hat als früher."

Bleibt die Frage, ob Wetter-Berichterstattung noch in irgendeiner Weise unterhaltend sein darf. Der größte österreichische Privatsender Servus TV hat eine Nische gefunden, die machen Wetterberichte mit Heimatkunde - aufwändig gestaltet, mit Drohnenflug und tollen Bergkulissen. Für ORF-Wetter-Chef Zeinlinger stellt sich die Frage nach Infotainment nicht. "Das war es im ORF noch nie in der Form. Nicht zufällig ist ja auch die Redaktion Teil der Information. Ich sage auch ganz offen dazu: Nachdem bei uns ausschließlich Fachleute erarbeiten und alle von der wissenschaftlichen Seite kommen, täten sich viele sehr schwer - und ich auch, wenn ich sehr unterhaltend sein müsste." Der Meteorologe will kein Wetterfrosch sein.

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