Freak-Casters: Die Geschichte des Narrenturms
14. Oktober 2024, 11:25
Herzlich willkommen bei FreakCasters, am Mikrofon begrüßt Sie Christoph Dirnbacher. Sandra und ich nehmen heute an einem Seziertisch aus Marmor Platz. Ja, Sie haben richtig gehört: ein Seziertisch aus Marmor. Und dieser Tisch befindet sich in einem Raum, der entfernt an ein Torteneck erinnert. Für die heutige Episode unseres Podcasts begeben wir uns nämlich in ein rundes Gebäude, das in 139 Zimmer, auch Zellen genannt, unterteilt ist. Na, haben Sie schon eine Idee, worum es gehen könnte? Der Rundbau, um den es sich heute handelt, steht, so viel sei verraten, in Wien und stammt aus dem 18. Jahrhundert. Auf manche Menschen übt er eine ganz besondere Faszination aus. So auch auf unseren heutigen Gast.
Also es war spannend, weil ja wie gesagt nicht nur die Ausstellungsobjekte zum Anschauen waren, sondern man was erklärt bekommen hat dazu. Also das war nicht so wie in anderen Museen, wo man halt nur durchgangen ist mit einem Schauen, sondern da waren tatsächlich fachkundige Mitarbeiter, die sich dann gekümmert haben um einen. Und das hat mich irgendwie fasziniert, dass es sowas gibt und dass es auch erklärt wird und man sich das anschauen kann.
Und es hat dich nicht gegruselt?
Nein, überhaupt nicht. Also keine Ahnung, ich hatte da nie irgendwelche Probleme damit. Das kann auch sein, dass ich, weil ich in der Nähe von einem Friedhof aufgewachsen bin und als Kind auf einem Friedhof gespielt habe, hin und wieder. Deswegen ja, habe ich da, glaube ich, nie so wirklich diese Angst oder Ekel vor dem Tod. Das war halt immer präsent. Das hat mich nie wirklich gestört so was. Das gehört halt dazu.
An einem Septembervormittag wird uns eine schwere Eisentür am Areal des Wiener Uni-Campus geöffnet.
Ah hallo, grüß Sie. Christoph Dirnbacher mein Name. Wir haben einen Termin beim Herrn Winter für den Ö1-Inklusions-Podcast.
Ah bitte, kommen Sie rein, kommen Sie rein!
Wir betreten einen kreisrunden Gang im Erdgeschoss. Hier sind 19 modern ausgestattete Schauräume eingerichtet. Eduard Winter, den Sie eingangs gehört haben, hat einen ganz besonderen Job. Der studierte Physiker ist verantwortlich dafür, dass Krankheitsbilder wissenschaftlich korrekt gezeigt beziehungsweise präsentiert werden. Das geschieht zum Teil mit Hilfe von menschlichen Feuchtpräparaten oder sogenannten Moulagen, also Nachbildungen von Körperteilen aus Wachs.
Winter ist als Kustos verantwortlich für die pathologisch-anatomische Schausammlung im Wiener Narrenturm.
Im Moment befinden wir uns gerade im Raum über Erkrankungen des Bewegungsapparats, sprich Knochen, Muskeln, Sehnen usw., wobei wir uns hauptsächlich auf Knochen beschränken. Wir haben das so lehrbuchartig mehr oder weniger aufgebaut, sprich es gibt einen Bereich über die allgemeine Pathologie: Was ist eine Entzündung, was ist ein Tumor im Allgemeinen? Und dann auf die Organe oder Organbereiche, Organgruppen aufgeteilt, eben Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen. Und da halt in dem Zimmer alles zu Entzündungen des Herzens, Tumorerkrankungen des Herzens oder eben des Bewegungsapparats.
Wir dürfen heute in einen Trakt des Gebäudes, der BesucherInnen üblicherweise nicht offensteht. Mit einem gläsernen Aufzug geht es nach oben. An der Rückseite des Fahrstuhls ist ein riesiges Bild eines menschlichen Körpers angebracht. Man fährt also von den Füßen im Erdgeschoss bis zum Kopf, also dem Obergeschoss. Neben dem Besprechungsraum, in dem der Seziertisch und alte Krankenhaus-Sessel aus Metall stehen, stehen Vitrinen mit Skeletten. Bei einem von ihnen hat sich der Präparator laut Winter vor 150 Jahren wohl einen makabren Scherz erlaubt. Am Schädel des Lehrskeletts sind Haare des Toten angebracht. Eduard Winter arbeitet seit 2005 im Narrenturm, einem Gebäude ohne Heizung. Warum das so ist? Dazu gleich mehr. Vom Beginn des Gesprächs an ist jedenfalls spürbar, wie sehr Winter dieses Stück Medizingeschichte begeistert.
Also ich empfinde es so, wenn man mich als Freak bezeichnet, empfinde ich das als Kompliment. Weil ich finde, man sollte das machen, was einem Spaß macht, was einen interessiert. Und wenn man sich dann dafür begeistern kann und eine gewisse Leidenschaft und Besessenheit entwickelt, ist das nicht verkehrt. Man muss nur aufpassen, dass es nicht zu viel wird, aber ich finde, Freak passt ganz gut, das gefällt mir.
Wie merkt man, dass es zu viel wird?
Wenn man dann seine Urlaube so plant, dass man nur Städte anfliegt oder anfährt, wo es ähnliche Museen gibt.
Der Wiener hat sich intensiv mit der wechselvollen Geschichte des Narrenturm befasst. Vor allem die Anfangsjahre dieses ambitionierten Projekts könnte man mit den Worten Pleiten, Pech und Pannen zusammenfassen. Dafür reisen wir ins 18. Jahrhundert: Im Jahre 1777 besuchte Kaiser Joseph II. seine Schwester Maria Antoinette in Frankreich. Bei dieser Gelegenheit schaute er sich auch das Pariser Zentralspital Hôtel-Dieu an. Die dortigen sanitären Zustände entsetzten ihn. Für 5000 Kranke gab es viel zu wenige Betten. Es war üblich, dass sich drei bis vier Patienten eine größere Liegestadt teilten, heißt es auch auf Habsburger.net. Das wollte er unbedingt anders haben. Auch wenn sich zur damaligen Zeit viele Ärzte für kleinere Spitäler einsetzten, gefiel dem Kaiser die Idee eines Großkrankenhauses für Wien. Was die Umsetzung anlangt, ging er neue Wege, so etwa bei der Belüftung der Räume.
Das ist ganz spannend. Das sieht man beim Alten AKH sehr schön, dass im Erdgeschoss die Fenster wesentlich höher liegen. Die sind nicht auf Gassen-, also auf Straßenniveau, sondern erhöht. Weil früher gab es ja keine asphaltierten Straßen, sondern nur Erde, Sand und es war immer so staubig. Und dass man Fenster aufmacht, geht nicht, weil dann kommt der ganze Dreck von der Straße rein.
Was er eben anders gemacht hat hier, ist, dass er die Fenster im Erdgeschoss, das kann man auf der Alser Straße schön sehen, dass die nicht auf normalem Straßenniveau sind, sondern erhöht, dass man die Fenster lüften kann.
Auf dem Areal des ehemaligen Großarmen- und Invalidenhauses entstand eines der modernsten Spitäler Europas. Heute ist diese Örtlichkeit besser bekannt unter dem Namen Altes AKH bzw. Unicampus. Das einzige Gebäude, das im Zuge des Großprojekts komplett neu erbaut wurde, war der Narrenturm, das erste Irrenhaus Wiens. Bereits um den Einzug der ersten Bewohner ranken sich einige Mythen. So soll in einer Aprilnacht des Jahres 1784 ein seltsamer Umzug stattgefunden haben. Einige schwererkrankte und tobende Patienten habe man in Ledersäcke eingenäht. Unbestritten ist, dass Kaiser Joseph II. sehr großes Interesse am Narrenturm hatte.
Das ist teilweise gar nicht so einfach zu treffen, weil es wenig Material gibt aus der Zeit. Es gibt wenig Aufzeichnungen. Es gibt ein Handbillet von Kaiser Joseph, wo er die Belegung des Narrenturm genau festlegt. Also das gibt es, das ist auch noch vorhanden. Das kann man sich im Original noch anschauen. Da steht genau drin, welche Patienten aus welchem Spital, St. Marx oder dem Spanischen Spital oder von wo auch immer, hierher verlegt wurden. Und wie viele Patienten aus welcher Abteilung kommen und so weiter. Er hat auch ein eigenes Datum für die Eröffnung festgelegt. Wenn ich mich erinnere, ist das Allgemeine Krankenhaus im August 1784 eröffnet worden. Der Narrenturm ein paar Monate vorher im April, obwohl sie eigentlich zusammen gehören organisatorisch. Ich habe noch nie nachgerechnet, ob das tatsächlich eine Neumondnacht war. Angeblich sagt man, das hat mit den Mondphasen zu tun gehabt, und dass es sich dieser Tag ausgesucht hat, weil das eine bestimmte Mondphase war. Ob das jetzt wirklich stimmt, das ist teilweise nicht mehr nachvollziehbar. Das mit den Ledersäcken habe ich gelesen, aber ich habe auch keinen Beweis dafür gefunden.
Das Projekt Narrenturm lag dem Kaiser so sehr am Herzen, dass er es aus eigenen Mitteln finanzierte.
Das Allgemeine Krankenhaus wurde aus der Staatskassa finanziert und den Turm war es aus einer Privatschatulle gezahlt.
Und es gab Gerüchte, er hätte das Gebäude geplant?
Ja, diese Gerüchte kenne ich. Er dürfte zumindest daran teilgehabt haben. Also er wird es wahrscheinlich nicht allein geplant haben, aber er war ziemlich involviert in das Ganze. Gemeinsam mit seinem Leibarzt, dem Dr. Quarin, der dann nachher auch Direktor vom Allgemeinen Krankenhaus geworden ist. Dann waren wahrscheinlich noch der Isidore Canevale und der Josef Gerl Baumeister und Architekten, die da mit ihm gemeinsam etwas geplant haben dürften, weil er sich da wirklich sehr interessiert hat. Und er hatte auch Ausbildungen dazu. Also die Habsburger haben ja alle verschiedenste Berufe erlernt und verschiedenste Handwerke. Er war, glaube ich, Tischler, er hat eine Tischlerlehre gemacht und ähnliche Dinge. Und er konnte auch Pläne zeichnen. Und dementsprechend halte ich diese Theorie für sehr wahrscheinlich, dass er auf jeden Fall mitgeplant haben dürfte.
Aber das heißt, es war ihm ein großes Anliegen. Weiß man, warum?
Nein. Es gibt nur verschiedenste Theorien, die teilweise ins Reich der Legenden fallen könnten. Also dass er zum Beispiel, da gibt es das Gerücht, dass er den Freimauern sehr nahe stand, also das ist kein Gerücht, das dürfte auch stimmen. Sein Vater, der Franz Stephan von Lothringen, der war ja Freimauer. Und da gibt es eben die Theorie, dass das sein Meisterstück gewesen sein könnte. Es kann auch sein, dass er sich einfach nur persönlich dafür interessiert hat und ihm das Spaß gemacht hat. Das ist natürlich auch nicht auszuschließen. Oder dass er sich einfach noch ein bisschen selbst verwirklichen wollte. Also da gibt es Möglichkeiten ohne Ende.
Aber ganz sicher nicht ins Reich der Mythen und Legenden gehört der achteckige Bau, der ja noch bis in die 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts hinein existiert hat, das sogenannte Oktagon. Das ja, sagen manche, als Treffpunkt für freimaurerische Aktivitäten gedient haben könnte.
Das stimmt. Also dieses Oktogon hat existiert. Es gibt sogar noch Fotoaufnahmen davon. Das ist nur irgendwann, weil es baufällig war, abgerissen worden. Es gibt leider keine Dokumentation, wann genau das abgerissen wurde. Es gibt nur noch historische Fotoaufnahmen aus dem 20. Jahrhundert, am Anfang des 20. Jahrhunderts existierte dieses Oktogon noch. Und es gibt gesicherte Berichte, dass Joseph II. Besucher hierher mitgenommen hat. Möglicherweise zum Sternenschauen oder zu sonstigen Geheimtreffen, das weiß man nicht. Aber es gibt Berichte, dass der Kaiser hier Besucher mitgenommen hat. Deswegen gab es ja früher auch so eine Inschrift, ein Graffiti kann man fast schon sagen, auf der Narrenturmmauer, die auf Joseph II. anspielt: „Der Erste und Gleichen“. Im Narrenturm unter dem Geisteskranken.
Aufgrund seiner runden Form nannten die Wiener das Gebäude auch Gugelhupf. In Wien gäbe es nicht viele runde Gebäude, sagt Kustos Eduard Winter. Warum Kaiser Joseph II. gerade diese runde Form gewählt habe, sei nicht geklärt. Dafür gibt es manche wohl nicht ganz ernst gemeinte Erklärung.
Es gibt eine lustige Anekdote, dass der Joseph II. den Turm rund gebaut hat, weil er keine Ecken wollte, weil in den Ecken kehrt niemand auf. Und dann sammelt sich immer sehr viel Dreck in den Ecken und das wollte er nicht. Das ist aber eine lustige Anekdote, die aber gut zum Joseph II. passen würde. Die anderen Theorien sind, dass er möglichst platzsparend wollte, also den Platz gut ausnutzen, und sich deswegen für die runde Form entschieden hat. Es kann aber auch sein, dass er die runde Form deswegen gewählt hat, weil Kreise beruhigend auf Menschen wirken. Das findet man ja auch heute, im modernen Feng-Shui zum Beispiel. Da steht der Kreis auch für die Ruhe. Und das war in den damaligen medizinischen Systemen, das war ein ganzheitliches Medizinsystem, wo ja auch alle möglichen anderen Sachen, nicht nur die Behandlung, sondern auch die Lebensweise und auch mit anderen Dingen gearbeitet wurde, um Patienten zu behandeln. Und es kann sein, dass er das deswegen rund gebaut hat, weil er gedacht hat, dass eine runde Form gut für Geisteskranke ist, um sie zu beruhigen. Andere Theorie wieder ist, dass er hier an die Mondphasen das anknüpfen wollte. Das kennt man, in Deutschland gab es früher den Begriff Mondsüchtige für Geisteskranke. Der wird heute nicht mehr wirklich verwendet. Er ist ein bisschen aus dem Sprachgebrauch, glaub ich verschwunden, mondsüchtig. Im englischen „lunatic“ ist auch noch Luna, der Mond, drinnen. Den Zusammenhang zwischen Geisteskrankheit und Mond, das gab es immer schon. In der damaligen Theorie war das einfach verankert. Deswegen haben wir auch 28 Zimmer pro Stockwerk. Das ist eben mehr oder weniger ein Mondkalender. Weil einen Kreis in 28 Teile teilen macht man nicht einfach aus Spaß an der Freude, sondern da hat man irgendeinen Sinn dahinter. Weil anbieten würden sich eher eben 16, 32, diese 2, 4, 8, das kann man leicht teilen. Aber in 28 Teile teilen ist nicht so leicht. Da muss man ein bisschen etwas konstruieren. Es kann sein, dass er das deswegen rund gebaut hat, damit er diesen Mondzyklus darstellen kann, um dem Patienten zu helfen dadurch.
Manche meinen, der Narrenturm erinnere an ein Panoptikum. Einen Gefängnisbau, bei dem man Gefangene von einem zentralen Punkt aus überwachen kann. Ist an dieser Theorie etwas dran?
Nein, das stimmt definitiv nicht. Es erinnert daran, auch mit diesem Oktogon am Dach und der runden Form. In der Praxis stimmt‘s aber überhaupt nicht, weil die Zellen der Patienten nach außen gerichtet sind. Sie sind an der Außenfassade. Sprich, sie haben Fenster ins Grüne gehabt. Was sehr schön ist. Die Pfleger und Wärter waren allerdings in der Mitte vom Gebäude. Nur war dann noch ein Gang und zwei Türen dazwischen, bevor man zu den Patienten schauen konnte. Von der Wärterwohnung sieht man eine verschlossene Tür. Das war es. Das kann man gerne ausprobieren. Sich hier hinstellen, da sieht man nichts. Also zum Überwachen ist das völlig unpraktisch. Das war auch einer der Gründe, warum man den Narrenturm später schließen wollte. Weil er sehr unpraktisch erbaut wurde und nicht einfach die Patienten zu überwachen war.
Der Narrenturm war deshalb so revolutionär, weil er ein eigenes Spital für psychisch erkrankte Menschen war. Zuvor wurden psychisch Kranke meist von ihren Familien gepflegt. Dies geschah oftmals im Verborgenen, weil man sich der Kranken schämte. Einige landeten auch im Armenhaus oder im Gefängnis. Der Narrenturm hat fünf Stockwerke mit je 28 Zellen. Jedes Stockwerk war eine eigene Abteilung.
Zum Beispiel der erste Stock war die Abteilung für die damals so genannten Militär-Irren. Heute würde man Kriegstraumata sagen dazu. Die waren alle in einer eigenen Abteilung untergebracht. Im Erdgeschoss waren die ruhigen Patienten, das waren Melancholiker zum Beispiel, die man dort untergebracht hat. Und bei den Ekelerregenden, auch Unreinen oder Wütende und Tobende, da waren zum Beispiel auch Alkoholiker dabei. Also auch Alkoholismus war damals schon als psychische Krankheit eingestuft und die wurden hier behandelt. Also Entziehungskur könnte man heute sagen dazu. Oder auch andere psychische Erkrankungen. Welche Diagnosen das genau waren, das lässt sich heute nicht mehr feststellen. Aber die halt eine Gefährdung für die Öffentlichkeit dargestellt haben, sprich auf der Straße irgendwelche Sachen zerstört haben. Diese damaligen Bezeichnungen muss man im historischen Kontext immer sehen, dass solche Bezeichnungen damals einfach die Norm waren. Das war jetzt aber nicht besonders abwertend gemeint. Genauso wie der Narr ursprünglich auch nichts Negatives ist. Wenn man auf das Wort Narrenfreiheit kommt, was eigentlich was Positives ist. Der Hofnarr, der war der Einzige am Königshof, der dem König widersprechen durfte. Also eigentlich eine positive Rolle hatte ursprünglich. Das sind dann so Begrifflichkeiten, die sich im Wandel der Zeit ändern. Die Bedeutung auch davon. Wenn man das jetzt heute sieht, eben ekelerregend oder wütend und tobend, klingt das etwas eigenartig aus heutiger Sicht. Weil damit verbindet man eher was Irrationales, irgendwas Schlimmes, was Negatives. Aber das waren so typische Diagnosen damals. So wie allgemeiner Irrsinn für Dinge, wo man nicht wusste, woran der leidet.
Dank der österreichischen Bürokratie ist bis heute vieles über ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen bekannt. Einige Informationen lassen sich in den Obduktionsberichten nachlesen. Dadurch, dass die Obduktionsbefunde nämlich auch seit, glaube ich, 1817 durchgehend aufgezeichnet sind und natürlich auch in der Irrenanstalt im Narrenturm viele verstorben sind, dadurch, dass viele auch mit Neuro-Syphilis eingeliefert wurden als Geisteskranke, die sind halt irgendwann verstorben und die sind alle obduziert worden. Und da steht immer dabei, aus welcher Abteilung die kamen und aus der Irrenanstalt. Und da kann man anhand dieser Obduktionsbefunde dann auf die Krankengeschichten schließen, weil da auch immer sehr viele biografische Daten dabeistehen. Mit Beruf, Alter, Herkunft, Name und so weiter. Also da kann man einiges ablesen. Nicht aus den Krankenakten, weil die sind zum Teil verschwunden, aber über Sekundärquellen, über Umwege, kommt man zu den Krankengeschichten.
Eine Legende rund um den Wiener Narrenturm betrifft einen Ausbruchsversuch. Ein Insasse soll beim Versuch zu türmen, in einem Kamin stecken geblieben sein.
Ich kenne die Geschichte, aber ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass es stimmt. Also, weil die Kamine sehr eng sind. Ich habe die gesehen, gerade durch die Restaurierung. Jetzt ist ja sehr viel aufgemacht worden, also Wände geöffnet und Sachen rückgebaut worden. Und ich glaube, diese Kaminöffnungen hatten einen Durchmesser von 30 cm. Wie man da drin steckenbleiben kann als erwachsener Mensch, weiß ich nicht.
Je nach den finanziellen Möglichkeiten des Kranken, sah die Unterbringung aus, sagt Eduard Winter.
Im Allgemeinen Krankenhaus wurden die Patienten in vier Klassen eingeteilt. Die erste Klasse, das kostete, glaube ich, einen Gulden pro Tag die Behandlung. Die waren aber teilweise, also, da muss man vielleicht noch ein bisschen weiter ausführen: Die K&K-Irrenanstalt war ja nicht nur der Narrenturm. Es gab ja noch im Lazarett einzelne Zimmer und es gab auch im Allgemeinen Krankenhaus einzelne Zimmer. Und zwar vor allem für die Bessergestellten. Die teureren Zimmer, die gab es im Narrenturm auch, aber es gab auch welche im Allgemeinen Krankenhaus. Diese sogenannten Einguldenzimmet oder Guldenstöckl, wie es auch heißen hat. Da war das eigentlich quer durch die Gesellschafsschicht. Wirklich allzu viele Fallbeispiele und Krankenakten gibt's nicht mehr, aber bei denen, die man findet, finden sich auch Adelige dabei. Es gab einen ungarischen Adeligen, der eben wegen Alkoholismus hier eingeliefert wurde. Mehrfach.
Eduard Winter gibt uns einen Einblick in den Alltag eines Insassen der damaligen Zeit.
Vorgesehen war es für ein bis zwei Patienten. Es gibt aber Berichte, dass er teilweise überbelegt war, dass manchmal auch drei Patienten in einer Zelle waren.
Und wie hat so eine Zelle ausgesehen?
Das war ja wie so ein Torteneck, kann man sich das vorstellen, nur ohne Spitze, weil da eben der Rundgang ist, wo man dazu kommen muss. 11 bis 12 Quadratmeter für ein bis zwei Patienten, das ist gar nicht so wenig, wenn man sich das vergleicht, wie viel Platz man heute im modernen Spital für ein Krankenbett hat, da sind 11 Quadratmeter nicht so wenig. Es gab Holzpritschen oder Betten, für die Unreinen gab es Strohsäcke oder die Wütenden, Tobenden, damit sie sich nicht verletzen können am Holzrahmen. Dann gab es, je nach Bezahlklasse gab es dann auch noch ein Nachtkästchen oder auch nicht, und es gab einen Abort in jeder Zelle.
Stimmt das, dass die Militär-Irren in der Früh einen Morgenappell hatten, dass sie quasi ein bisschen an ihr militärisches Leben noch zurückerinnert wurden?
Ja, das habe ich auch gelesen. Da gibt es einige Quellen, die das erwähnen. Das war auch Teil der Therapie, dass die halt eben das, was sie kennen, weiterführen, um vielleicht sie wieder irgendwie zu heilen. Und es wurden auch Kriegsinvalide zur Aufsicht verwendet, so als Torwächter zum Beispiel.
Weiß man ein bisschen was über den Alltag der Insassen oder der Bewohner?
Ja, tatsächlich, man findet das in alten Reiseberichten auch und in Unterlagen und auch veröffentlicht teilweise die Anstaltsordnung vom Allgemeinen Krankenhaus und auch vom Narrenturm. Da haben wir auch die original Speisepläne gefunden, was sie zum Essen bekommen haben. Also das war ganz streng geregelt mit in der Früh um 8 Uhr aufstehen und dann gibt es Frühstück und dann Beschäftigungstherapie zum Teil, manche Patienten wurden auch zu kleineren Arbeiten herangezogen. Also es gab diese 4 Klassen, die ich vorhin schon erwähnt habe, und die 4. Klasse, die wurde gratis behandelt. Die wurden aber dafür auch als billige Arbeitskräfte verwendet, wenn sie dazu körperlich dazu in der Lage waren. Die mussten dann Wasser holen oder solche Dinge zum Beispiel oder mithelfen in der Küche und ähnliche Sachen Und das war ganz genau streng reglementiert, wie dieser Tagesablauf auszusehen hat. Ich glaube, es gab sogar teilweise mal Zeiten, wo man Zigaretten rauchen konnte oder Pfeife rauchen. Es gab ein eigenes Raucherzimmer angeblich, weil das sonst streng verboten war aufgrund der Brandgefahr. Aber damit halt die Raucher doch zum Rauchen kommen, gab es eine Rauchstunde am Tag, wo man sich dann irgendwo in ein Raucherzimmer setzen konnte und Pfeife und Zigaretten raucht.
Durften die Insassen in den Hof damals?
Jein. Also die Ruhigen ja, die durften sogar in den Garten. Es gab Gartenanlagen, links und rechts nach Geschlechtern getrennt. Und da konnten sie sich frei aufhalten. Sie konnten sich auch in den Gängen frei bewegen, also die waren nicht in den Zellen eingesperrt. Ganz am Anfang gab es nicht mal Türen. Die Originaltüren sind erst von Johann Frank eingebaut worden. Ganz am Anfang gab es gar keine Türen, dann gab es Gittertüren. Die konnten sich am Gang in ihrer Abteilung frei bewegen, die mussten nur am Abend, ich glaube, 18 Uhr war Bettruhe, da mussten sie im Bett liegen.
1795 wurde Johann Peter Frank Direktor des Allgemeinen Krankenhauses und damit auch des Narrenturms. Einer seiner Reformen betraf die Verpflegung der Patienten.
Der hat dann auf eine Zentralküche im Krankenhaus umgestellt. Davor wurde das von den Wirtshäusern geholt, das war aber dem Krankenhausdirektor ein Dorn im Auge. Verständlicherweise, weil die Qualität nicht immer gleichbleibend war und man teilweise sich nicht aussuchen konnte, was es gab. Er hat dann eine Zentralküche eingerichtet. Und im Narrensturm gab es in jedem Stockwerk auch einen kleinen Küchenbereich, wo für die Abteilung gekocht wurde.
Johann Peter Frank war es auch, der einer beliebten Freizeitbeschäftigung der Wiener ein Ende setzte: dem sogenannten Narrenschauen.
Die Wiener dürften das ja durchaus genossen haben, des Sonntags zum Narrenschauen die Wände hochzuklettern, weshalb man die unteren beiden Etagen, den historischen Pläne folgend, recht bald mit glattem Putz versehen haben soll, dass das nicht mehr der Fall ist.
Genau das stimmt, das geht auch auf den Johann Peter Frank zurück, der hat wirklich sehr viele Reformen im Gesundheitswesen überhaupt durchgesetzt und auch im Allgemeinen Krankenhaus. Und der hat auch im Narrenturm die untersten zwei Stockwerke, wie du gesagt hast, verputzen lassen, damit die nicht mehr hinaufkönnen, und hat auch Mauern rundherum errichten lassen, dass man nicht mehr so leicht zum Gebäude dazukommt. Weil, wie gesagt, in den unteren Stockwerken waren eher die, würde man sagen, für die Schaulustigen langweiligen Patienten, nämlich Melancholiker, ruhige Patienten. Die sind im Zimmer gesessen, haben nichts gemacht. Depressive Patienten. Es ist nicht wirklich spannend für einen Schaulustigen, einen depressiven Patienten zu beobachten. Da passiert ja nichts. Und dementsprechend sind sie hinauf geklettert, weil die schwereren Fälle waren in den oberen Stockwerken. Und zwar aus Lärmgründen, weil die nämlich auch viel schreien. Und wenn die im Erdgeschoss sind, die Patienten, die schreien, hört man das im ganzen Turm. Wenn die aber im obersten Stock sind, hört man es nur in dem oberen Stock. Haben wir ausprobiert, das stimmt.
Habt ihr runterschrien?
Ja. Man muss das alles nachprüfen. Wenn man schon von Ort ist, kann man das auch ausnutzen.
Die Konstruktion des Narrenturms lässt sich mit einem Schlagwort, das Gegenteil von gut ist gut gemeint, zusammenfassen. Joseph II. hatte viele gute Denkansätze, um beispielsweise die hygienische Situation nachhaltig zu verbessern. In der Umsetzung hapert es allerdings gewaltig, wie Eduard Winter erzählt:
Es gab zum Beispiel in jedem Zimmer einen eigenen Abort, der an ein Kanalsystem angeschlossen war. Deswegen sind auch die Mauern hier so dick, weil die voller Rohre sind. Da sind auch Rohrsysteme eingebaut. Einerseits für die Luftheizung, mit der man versucht hat das Gebäude zu heizen, andererseits für das Kanalsystem. Das Problem war, dass die Umsetzung nicht ganz ideal war und dass die Fäkalien nicht wirklich abgeflossen sind im Keller, also in diesem Kanalbereich, sondern sich dort gestaut haben, weil es kein Gefälle gab. In den Zellen selber gab es ein Gefälle, die haben alle einen leichten Neigungswinkel Richtung Gang, dass man das schön auswaschen kann. Man braucht nur Wasser reinschütten und das fließt dann automatisch. Wenn man in der Zelle steht und Richtung Fenster schaut: In diesem Eck, da war immer der Abort. Das ist dann ins Kellergeschoss gegangen und hätte dort zum Alserbach fließen sollen. Aber dort unten ist es irgendwo gescheitert und dann hat man das zugemacht, auch schon nach 1-2 Jahren, weil es so gestunken hat. Also es muss unglaublich gestunken haben, weil die Fäkalien nicht abgeflossen sind. Und dann hat man einen Eimer verwendet: Einen Kübel reingestellt und der ist dann einmal am Tag ausgeleert worden. Also man hat versucht die hygienischen Maßnahmen und die hygienischen Zustände zu verbessern, es hat am Anfang halt nicht alles so 100%ig funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat.
Auch beim Heizen des Gebäudes gab es wesentlich mehr Probleme als gedacht.
Ja, also die Idee war ja eigentlich eine gute Idee, mit Heißluft das ganze Gebäude zu beheizen. Da gab es im Keller vier Heizkammern, die dann eingeheizt worden sind, und es hätte dann die Luft im Gebäude zirkulieren sollen. Nur hat das halt nicht funktioniert, weil die Luft allein nicht sich dann im Kreis bewegt, wenn man sie nicht dazu bringt, sondern die steigt dann gerade in die Höhe, die warme Luft. Und dementsprechend sind da einige Zellen sehr warm gewesen, die anderen dafür sehr kalt. Und die, die warm waren, da ist dann auch der Rauch mitgekommen. Eine schöne Selchkammer war das im Endeffekt. Und deshalb hat man das nach einer Saison wieder eingestellt und auf Kohlebecken umgestellt.
Schon in den 1820ern wurde eine Schließung des Narrenturms überlegt, da der Bau für den Spitalsbetrieb ungeeignet war. Nach Umbauarbeiten wurde er noch 1866 als Nervenanstalt für psychisch Kranke geführt. Danach wurden die Patienten und Patientinnen in andere Anstalten übersiedelt. Nach der Schließung des Narrenturms als Nervenheilanstalt wurden die Räumlichkeiten anderweitig genutzt.
Die Ersten, die sich angesiedelt haben, waren die Handwerker aus dem Allgemeinen Krankenhaus. Die haben Werkstätten gebraucht, Lagerräume. Das wollte man auch teilweise ein bisschen aus dem Krankenhaus weghaben, auch aus hygienischen Gründen. So Hufschmiede, Pferde und so weiter, das ist im Krankenhaus nicht so optimal. Jauchegruben auch nicht, die hat man auch schon früher entfernt. Und da haben sich erst einmal die Handwerker angesiedelt. Dann hat man den Turm genutzt für Notfallquartiere auch. Es wurden auch Krankenbetten hier immer noch hineingeschoben. Aber nur kurzfristig. Je nachdem, welche Abteilung gerade irgendwo ein Krankenzimmer gebraucht hat, hat man das hier teilweise mitgenutzt. Unter anderem auch die Gebärklinik, weswegen es manche mit der Geburtsurkunde und dem Geburtsort „Narrenturm“ gibt. Das haben wir auch gefunden, das ist sehr spannend. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts hat man hier Dienstwohnungen für Krankenschwestern eingerichtet oder auch für Bedienstete aus dem Allgemeinen Krankenhaus. Für den Portier zum Beispiel, das waren dann Dienstwohnungen. Und später auch für Ärzte.
Die 1870 im Narrenturm eingerichtete Schmiede kann besichtigt werden. Sie ist in einer der Zellen im Erdgeschoss untergebracht. Direktor Johann Peter Frank begründete 1796 die Anatomisch-Pathologische Sammlung. Einige Präparate standen sogar in seinem Büro. Die Sammlung dient seit über 200 Jahren der Dokumentation und der Forschung von Krankheiten. Seit 1971 ist diese Sammlung im Narrenturm beheimatet. Im Zuge der Neueröffnung im September 2021 wurde die Schausammlung komplett neu gestaltet, interaktive Elemente wie Touchscreens kamen dazu. Doch wie gelang der Spagat zwischen Wissenschaft, Pietät und Besucherinteresse?
Das ist gar nicht einfach. Der Tod und Krankheit, das ist einfach ein sehr heikles Thema. Und das ist ja aus der Gesellschaft mittlerweile komplett verdrängt, das sieht man nicht. Die Spitäler sind alle abgeschlossen. Tod und Krankheit sind verschwunden aus der Gesellschaft, das wird nicht mehr wahrgenommen. Das war vor 200 Jahren noch etwas anders, da sind noch Leute viel früher verstorben. Da war die Sterblichkeitsrate bei Kindern noch wesentlich höher. Das hat sich deswegen gewandelt, weil eben mit solchen Präparaten geforscht wurde. Sprich, der medizinische Fortschritt geht eigentlich auch auf solche Präparatesammlungen zurück, weil man da das erste Mal die Möglichkeit hatte, sich das anzuschauen und auf mehrfach anzuschauen. Und das jetzt modern zu präsentieren, war eine gewisse Herausforderung. Aber wir haben da zum Glück schon ein bisschen Erfahrung gehabt, also mussten nicht alles neu erfinden, sondern da haben sich auch schon andere darüber Gedanken gemacht gehabt. Und das Wichtige ist, dass man das möglichst wissenschaftlich präsentiert. Sprich, es soll kein Gruselkabinett sein, wo man hingeht und sich einfach nur einzelne Fälle anschaut. Dass man durchgeht und schaut, ist ja an und für sich nichts Schlimmes. Aber die Schaulust ist dann schon wieder etwas problematisch. Und dementsprechend muss man darauf achten, das möglichst neutral und klinisch zu präsentieren. Deswegen ist unsere Schausammlung auch relativ einfach gehalten. Auch von den Farben her, dass das Design ein bisschen in den Hintergrund rückt und wir dann wirklich die Krankheit darstellen können. Also wir haben auch nicht immer nur ein Objekt zu einer Krankheit, sondern immer gleich mehrere Varianten davon. Und dazu wissenschaftlich fundierte Texte, wo die Krankheit so gut es geht in den Möglichkeiten, die man in einer Ausstellung halt hat, erklärt wird, dass die Besucher, die kommen, hoffentlich sich wirklich die Krankheiten anschauen und sich für die Krankheiten und auch für die Therapieformen, die möglich sind interessieren und nicht deswegen kommen, weil sie Leichenteile schauen wollen. Also das versuchen wir zu verhindern, so gut es geht.
Seit 2012 ist die Sammlung im Narrenturm Teil des Naturhistorischen Museums. Der Besuch der Schausammlung ist ab 14 Jahren empfohlen. Wichtig ist Eduard Winter, die Besucher nicht alleine zu lassen. Es gibt Führungen durch die Ausstellung und viele erklärende Texte. Der Kustos empfiehlt sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen, sich auf den Besuch im Narrenturm vorzubereiten. Die Beschäftigung mit der eigenen Vergänglichkeit sei unausweichlich, wenn man menschliche Exponate betrachtet. Aufgrund der Sanierung des Narrenturms war die pathologisch-anatomische Sammlung einige Jahre nicht zugänglich. Bei den Arbeiten, die 2012 begannen, gab es aber so manche Entdeckung. Auch im Innenhof des Narrenturms.
Da wurde der komplette Hof aufgegraben, sprich, da wurden die alten Kanalsysteme freigelegt wieder. Da kann man immer noch theoretisch unterirdisch bis zum Alserbach gehen. Es gibt ein paar Gittertüren dazwischen, aber theoretisch ist der Weg noch bis zum Alserbach da. Beim Blitzableiter haben wir gefunden, dass der tatsächlich wie ein moderner Blitzableiter verbunden war im Hof unten, das ist verlegt worden, es ist ein Kupferblitzableiter. Das hätte man theoretisch sogar noch verwenden können, wenn man es wieder hergerichtet hätte. Das war aber dann doch etwas zu unsicher, es ist eine moderne Blitzschutzanlage eingebaut worden, das ist doch besser. Die ganze Hoffassade ist saniert worden, die Fenster sind saniert worden. Das war ganz spannend, dass da wirklich mehrere Umbauphasen auch entdeckt wurden, wo eben Zwischenmauern eingezogen wurden, die gar nicht original waren, dass teilweise die Fenster umgebaut wurden, das wurde alles immer wieder adaptiert regelmäßig. Weil es einfach praktisch war. Es gab Türöffnungen, die einfach später irgendwo einfach in den Gang geschlagen wurden, wenn man dort eine Tür gebraucht hat zum Beispiel. Weil es halt ganz praktisch war. Vor allem, weil jeder Handwerker hat sich dann so einen eigenen Bereich abgeschottet gehabt, aber da mussten halt überall Zugangstüren gemacht werden. Es wurde auch archäologisch begleitet das Ganze. Und es wurde sogar ein römisches Brandgrab gefunden im Hof aus der römischen Zeit. Das war halt hier irgend so ein Gräberfeld einmal.
Spannend, der Turm war ja vorher recht gelblich. Zumindest hab ich ihn so noch als Studentin in Erinnerung. Und ihr habt aber herausgefunden, die Originalfarbe ist wirklich schön strahlendes Weiß, und ihr habt ihn neu gestrichen.
Jawohl, das ist nämlich auch sehr, sehr praktisch gewesen. Dadurch, dass es eigentlich nie wirklich renoviert wurde, sondern immer nur so ein bisschen adaptiert oder bisschen da was umgebaut und meistens nur drübergemalt wurde, ist an vielen Stellen der Originalverputz und auch die Originalfarbe noch erhalten gewesen unter diesen ganzen Dreckschichten und zusätzlichen Anstrichen, was immer da drübergekommen ist. Das wurde dann chemisch analysiert und die genaue Zusammensetzung wieder herausgefunden. Und jetzt erstrahlt er auf einmal in so einem Weiß, wir haben auch mit einem Gelb gerechnet. Also wir waren ein bisschen überrascht, wie dann die Bauforscher gekommen sind: Das ist die Originalfarbe. Hm, schau an! Aber es ist ganz hübsch geworden, finde ich. Das Weiß passt ganz gut eigentlich.
Für die Zukunft des Narrenturms hat der Kustos Edward Winter einige Ideen, sowohl pädagogisch als auch architektonisch.
Ich hoffe, dass wir nicht nur die Ausstellung unten, die jetzt neu gemacht ist, sondern auch in Zukunft die Sammlungsräume vielleicht noch etwas renovieren, verbessern können. Dass wir auch unsere Studiensammlung, die für die Ärzte und Medizinstudenten gedacht ist, überarbeiten und neu aufstellen. Das könnte auch noch irgendwann in Zukunft passieren. Das ist nicht zwingend notwendig, aber das wäre ein schönes Projekt. Vielleicht lässt sich sogar mal das Oktogon herstellen. Das wäre etwas, das ich mir wünschen würde, dass man den Narrenturm wieder komplett herrichtet, wie er 1784 war, inklusive dem Oktogon am Dach. Ich weiß, das ist etwas aufwendig und sehr geldintensiv. Aber das wären so Dinge, die man vielleicht noch in Zukunft machen könnte. Und auch, dass wir das Vermittlungsangebote jetzt wieder ausweiten. Wo die Schausammlung neu gemacht ist, kann man jetzt wieder ein bisschen Schwerpunkt auf die Vermittlungsprogramme legen. Dass wir nicht nur so Überblicksführungen anbieten, sondern wir haben auch so viele Themenführungen, die wir gerne umsetzen. Zum Thema zum Beispiel Gynäkologie und Geburtshilfe, da bieten wir jeden Samstag während der Öffnungszeiten zum Beispiel eine Spezialführung zu dem Thema an. Weil wir auch sehr viele Sammlungen zu diesem Thema übernommen haben. Also die von der Semmelweißklinik, die hat eine Lehrsammlung für die Hebammen, die haben wir übernommen. Die wird jetzt auch wieder neu aufgestellt, also da sind so Sachen. Sonderausstellungen, da gibt es einiges, was man machen kann.
Herzlichen Dank nochmals an den Kustos der anatomisch-pathologischen Sammlung des Narrenturms, Eduard Winter. Wir danken ihm für eine äußerst facettenreiche Schilderung der freakigen Seiten des Narrenturms. Zum Abschluss der heutigen Episode noch ein paar Infos: Der Narrenturm ist für Besucher und Besucherinnen von Mittwoch bis Samstag geöffnet. Die genauen Öffnungszeiten sowie den Link zur Website entnehmen Sie bitte den Shownotes. Auf Wiederhören, bis zum nächsten Mal, sagen Christoph Dirnbacher und Sandra Knopp.