DYNAMOWIEN/FLORIAN JUNGWIRTH
Ö1 Thementag
Der Wert der Arbeit
Wie gestalten wir unsere Arbeitswelten in Zeiten von Digitalisierung und Multikrisen? Auf der Suche nach Modellen und Antworten in Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
5. November 2024, 23:08
Der schottische Arzt und Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle war sich in seinem Zugang zur Arbeit sicher: „Arbeit ist das Mittel gegen Verzweiflung.“ Wenn es nur so einfach wäre. Der Philosoph Friedrich Nietzsche wiederum sprach von dem „Beruf als Rückgrat des Lebens“. Fragt sich: Meinte er einen „Beruf“ im Sinne einer Berufung oder im Sinne von „Erwerbsarbeit“? Für manche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsexpert:innen wird wohl zweitere Interpretationsmöglichkeit der Aussage Nietzsches die passendere sein. Schließlich muss viel geschafft werden, damit wir etwas haben - am besten immer mehr davon. Wachstum und Konsum zu steigern ist das bekannte Diktum.
Da beides in wirtschaftlichen Krisenzeiten immer schwieriger zu bewerkstelligen ist, soll nun just die künstliche Intelligenz jenes Produktivitätswachstum erzeugen, das die Digitalisierung bisher nicht gebracht hat. In einem Leitartikel der Tageszeitung „Die Presse“ war kürzlich von einem „Maschinensturm in der Teilzeit“ die Rede.
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Diskutieren Sie mit!
Arbeit. Welchen (Stellen-)Wert hat sie in unserem Leben und in unserem Denken? Welchen Wert geben wir ihr? Wie viele Stunden soll die Arbeitswoche haben - 35 oder gar noch weniger? Wie lang soll und darf ein Erwerbsleben dauern? Wie also ist das Pensionssystem in Hinkunft zu finanzieren? Wäre ein Grundeinkommen sinnvoll - wie manche fordern? Soll die Erbschaftssteuer die Entlastung von Arbeit finanzieren? Wie wertet man unsichtbareArbeiten im privaten Bereich auf und warum sind solche noch nicht bezahlt? Soll Arbeit entlastet werden indem jene, die Einkommen aus Vermögen beziehen, einen höheren Beitrag zahlen? Wie können wir Migrationsbewegungen für den Arbeitsmarkt nutzen? Was ist mit der Digitalisierung? Wird sie uns tatsächlich unsere Arbeitsplätze stehlen?
Es gibt eine schier unüberschaubare Zahl an Fragen und Bereichen unseres Lebens, die mit Arbeit in Verbindung stehen und miteinander korrelieren. Unser Privatleben und der Generationendialog. Wirtschaft, Markt und Recht. Demografie, Pensionssystem und Sozialwesen, Digitalisierung, Konsum, Migration und Ökologie.
Einige dieser Bereiche und deren Verbindungslinien werden wir an diesem Ö1 Thementag zur Arbeit - wenn man so will - abarbeiten; mit Studiogästen und mit Ihnen, geschätzte Hörer:innen, diskutieren.
„Müde macht uns die Arbeit, die wir liegenlassen, nicht die, die wir tun.“
AP
Der Vormittag (9.00 - 12.00 Uhr)
Die Arbeit ist so alt wie die Menschheit. Nahezu alle bedeutenden Denker:innen, Forscher:innen und Berühmtheiten aus sämtlichen Bereichen haben sich zur Arbeit Gedanken gemacht. Aristoteles etwa meinte: „Freude an der Arbeit lässt das Werk trefflich geraten.“ Karl Marx beschrieb die Arbeit als „Austausch des Menschen mit der Natur“, und Marie von Ebner-Eschenbach behauptete: „Müde macht uns die Arbeit, die wir liegenlassen, nicht die, die wir tun.“ Anders sah das der französische Literaturnobelpreisträger von 1921, Anatole France, und mit ihm nicht wenige andere: „Die Arbeit“, stellte er provokant fest, sei „etwas Unnatürliches.“ Die Faulheit allein sei göttlich. Und auch Friedrich Nietzsche schlug in die gleiche Kerbe: „In allen Augenblicken, wo wir unser Bestes tun, arbeiten wir nicht.“ Arbeit verhelfe uns lediglich zu diesen Augenblicken.
Wie immer wir zur Arbeit stehen, der überwiegende Teil Menschheit arbeitete von jeher und arbeitet auch in der Gegenwart.
Alle debattieren darüber, wie Arbeit organisiert und entlohnt werden soll - gerade in Wahlzeiten. Und diese Debatten haben immer wieder Veränderungen gebracht:
bei den Rechten der Arbeitenden, ihrer Bezahlung, den Arbeiten selbst, die sie ausführen – je nach Erdteil und politischen Zuständen. Manche arbeiten mehr, manche weniger, manche gern und manche gar nicht; manche hoch bezahlt, manche im Prekariat. Viele freiwillig und trotzdem unbezahlt, manche gezwungen, manche in sklavenähnlichen Verhältnissen.
Zudem gibt es Tätigkeiten, die eindeutig Arbeit sind, jedoch nicht als solche gelten, weil sie unbezahlt verrichtet werden, wie die Erziehung von Kindern, die Pflege von Alten oder zu kochen, zu putzen, zu waschen. Es gibt Tätigkeiten, die für die einen Arbeit, für die anderen Hobby sind, wie freiwillig bei der Feuerwehr oder der Rettung mitzuhelfen, Geflüchtete zu unterstützen oder den Nachbarskindern Nachhilfe zu geben.
Tatsache ist: Es gibt keinen Lebensbereich, in den die Arbeit nicht hineinspielt – in das Privatleben und in den Dialog der Generationen, in Wirtschaft, Markt und Recht, Pensionssystem und Sozialwesen, Digitalisierung, Konsum, Migration und Ökologie. Und über all dem schwebt die Frage nach dem Sinn und dem Wert der Arbeit. Denn wer oder was definiert die Standards für beides? Ein Ö1 Spezial auf der Suche nach Antworten in Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
„In allen Augenblicken, wo wir unser Bestes tun, arbeiten wir nicht.“
PICTUREDESK.COM/DANIEL SCHARINGER
Der Live-Nachmittag (13.00 - 17.00 Uhr)
Wie viel sollten wir jede Woche arbeiten, wie viel Freizeit haben? Sollte das unsere freie Entscheidung sein oder in der Verantwortung des Staats liegen?
Die Antworten auf diese Fragen werden wohl, abhängig von ideologischer Ausrichtung und politischer Überzeugung, unterschiedlich ausfallen.
Einige Proponent:innen der Wirtschaftsforschung, die sich an dem Prinzip der stetig wachsenden Marktwirtschaft orientieren, sehen die Arbeitszeit jedenfalls nicht als Privatsache, auch nicht Vollzeit zu arbeiten als ihre Staatsbürger:innenpflicht. Andere, etwa jene, die ökologische Produktions- und Konsumsysteme anstreben, stellen diese Thesen wiederum infrage.
Weitere Themen werden von Expert:innen aus Sozialwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Ökonomie, Arbeitsrecht und schließlich Politik aufgebracht und debattiert: Was beeinflusst die Arbeitsleistung? Wo liegen die Grenzen der Produktivität, die Grenzen des Schaffbaren? Gibt es den Arbeitsmarkt überhaupt und in ihm einen fairen Preis für Arbeit? Wer bestimmt also den Wert der Arbeit? Zuvorderst, der konkreten Arbeit selbst und deren Nebenkosten, aber auch den Wert der Arbeit als Erfindung und gesellschaftliches Phänomen? Ein Ö1 Spezial mit Studiogästen, Liveberichten von Arbeitenden aus Österreich und Hörer:innen-Beteiligung.
„Auf die Arbeit schimpft man nur so lang, bis man keine mehr hat.“
Der Beruf als Rückgrat des Lebens
Eines scheint gegenwärtig jedenfalls klar: In der Debatte um die Definition von Arbeit, wie sie also seit der Industrialisierung betrachtet wurde und wie wir sie heute bewerten, hat sich nicht zuletzt durch die multikrisenhafte Gegenwart Grundlegendes gedreht - vor allem politisch. Österreich hat die zweithöchsten Sozialausgaben der westlichen Welt – und dennoch wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung stetig. Der Sozialabbau wird beklagt. Eine Erklärung dieser Entwicklung dürfte auch mit dem Wert der Arbeit in Zusammenhang stehen.
Da dieser Ö1 Thementag Arbeit nicht nur von der harten sozialpolitischen, soziologischen oder ökonomischen Seite handeln soll, werden wir Ihnen über den Tag verteilt und in interdisziplinärer Weise, also aus allen Bereichen des Senders - wie gewohnt - überraschende Sendungsangebote machen. Die Literaturabteilung mit einem Essay zum Thema Arbeit, die Moment - Kulinarium-Redaktion etwa mit einem Beitrag zu gemeinsamem Kochen am Arbeitsplatz und auch Wolfgang Ritschl in der Sachbuchsendung Kontext mit Themenbezogenem. Auch das Abendkonzert wird eine Überraschung liefern - mit Musik über die Arbeit in Fabriken - und spätabends dann die Zeit-Ton-Kolleg:innen, die sich mit der „Kompositionsmaschine“ Computer als Arbeiter beschäftigen.
Bisher war auch der Dirigent „ein Facharbeiter, der 20 Jahre Berufsausbildung benötigt“, wie Herbert von Karajan einmal kokett sagte. Und weil es eine große Menge Musik zum Thema Arbeit gibt, Work Songs, Arbeiterlieder etc. wird auch die Ö1 Musikredaktion zwischen den Live-Gesprächen und Beiträgen passende Beispiele präsentieren.
Es wäre schließlich keine Überraschung, würde in den Ö1 Journalen dazwischen und in den Nachrichten das eine oder andere arbeitsbezogene Tagesthema auftauchen. Vielleicht die Arbeit in Zusammenhang mit den Tigerstaaten Asiens, über deren Aufstieg Ephraim Kishon einmal ironisch sagte: „Die Asiaten haben den Weltmarkt mit unlauteren Methoden erobert - sie arbeiten während der Arbeitszeit.“
Hierzulande findet man gern auch Zeitgenoss:innen, die von ihrer Arbeit entnervt sind. Aber wie sagte der US-amerikanische gesellschaftskritische und satirische Autor Sinclair Lewis: „Auf die Arbeit schimpft man nur so lang, bis man keine mehr hat.“