ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Jänner 2025
Lydia Davis: „Unsere Fremden“
Lydia Davis Buch „Unsere Fremden“ ist das Ö1 Buch des Monats.
29. Dezember 2024, 16:00
Mit Gattungsbeschreibungen kommt man bei der US-amerikanischen Autorin Lydia Davis nicht weiter. Am Cover steht zwar „Stories“, doch es handelt sich auf keinen Fall um klassische Short Stories. Manchmal sind es so Kürzestgeschichten, oft aber auch gar keine Geschichten mehr, eher Situationen oder Bilder. Diese Literatur zeigt sich hochgra-dig informiert über die Methoden der Avantgarde und agiert etwa mit Listen, mit Montage, Reduktion oder Spiel. Die meisten Texte sind in Ich-Form verfasst, aber auch hier gibt es keine Einheitlichkeit, keine durchgehende Erzählposition. Die schreibende Instanz kann mitunter auf ironische Distanz gehen und von der „Müden Version“ eines Textes oder von der „ersten Fassung dieser Geschichte“ sprechen.
Bei aller Lakonie und Offenheit gibt es dennoch so etwas wie ein durchgängiges Thema der Stories: Nachbarschaft. Nachbarschaft wird hier in vielen möglichen Varianten gedacht. Die Nachbarn sind die ti-telgebenden Fremden. Da gibt es Einblicke in die Sorgen und Bedürf-nisse einer klein-bürgerlichen Umgebung am Land. Nachbarschaft in-kludiert aber auch Familie oder die Lebensgemeinschaft, ohne die Skurrilitäten, die Missverständnisse und den Alltag der Ehe auszuspa-ren.
Service
Lydia Davis: „Unsere Fremden“, Stories, Droschl Verlag (Aus dem Amerikanischen von Jan Wilm), 312 Seiten