Mascha Kaléko

PICTUREDESK.COM/ULLSTEIN BILD

Tonspuren

Mascha Kaléko, Poetin der Heimatlosigkeit

Mit Charme und Humor, mit kokett ausgespielter Erotik und einen Blick für das soziale Elend ihrer Zeit wird die junge Lyrikerin Mascha Kaléko im Berlin der Weimarer Republik zur bedeutendsten Dichterin der Neuen Sachlichkeit.

Sie ist 22, als sie ihre ersten Gedichte veröffentlicht, so genannte Gebrauchslyrik, wie Bertolt Brecht sie einforderte. Mascha Kaléko macht sich mit ihrer Poesie neben Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder Joachim Ringelnatz einen Namen. Die Gedichte handeln von Liebe, Abschied und Einsamkeit, von finanziellen Nöten, von Sehnsucht und von Traurigkeit. Sentimentalität lässt die 1907 in Galizien geborene Poetin in ihren Werken niemals aufkommen.

„Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.“

1974: Die Dichterin Mascha Kaléko verbringt Tage und Wochen in ihrer Wohnung in der Gaza Road im Zentrum Jerusalems und geht kaum mehr unter die Leute. Zu wem auch? Freunde hat sie hier keine mehr. Der Sohn ist gestorben, Steven, mit 31 Jahren, in New York.

„Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben“, heißt es in ihrem Gedicht Memento. Doch wie? Zurückgezogen. Ohne einen Gefährten. Auch ihr Mann ist tot, Chemjo Vinaver, den sie in Berlin geheiratet hat, mit dem sie in die USA emigriert und später nach Israel übersiedelt ist.

„Ich finde es so gemein von mir, überlebt zu haben.“

Schreibt sie an die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz in Berlin. Im Juli 1974 verlässt Mascha Kaléko schließlich doch ihre Jerusalemer Wohnung. Die Sommerhitze hat sie dort nie ertragen. Sie fährt zur Kur ins Engadin, anschließend nach Zürich. Berlin wird sie nur kurz sehen. In Zürich wird sie sterben.

1959 war sie mit ihrem zweiten Mann, Chemjo Vinaver, nach Jerusalem gekommen. Der Komponist und Dirigent forschte dort über traditionelle chassidische Musik. Sie sind geblieben. Mascha Kaléko wollte es nicht.

Die paar leuchtenden Jahre

In Jerusalem war sie vor allem Erinnerung. An die junge Frau, die in Berlin in den frühen Dreißigerjahren neben Tucholsky, Kästner oder Ringelnatz Furore gemacht hat. 1933 war ihr erster Gedichtband erschienen: Das lyrische Stenogrammheft. 26 Jahre war sie alt, aber unbekannt war sie nicht. Mascha Kalékos Gedichte sind zuvor schon in Zeitungen erschienen und wurden wie aktuelle Kommentare zur Lage gelesen. Gebrauchslyrik nannte das Bertolt Brecht.

„Die paar leuchtenden Jahre“ nennt sie die Berliner Zeit später im Exil, diese fünf Jahre von 1928 bis 1933, in denen sie das erste Mal heiratet, den Philologen Saul Kaléko, schreibt, Erfolg hat und Geld verdient, respektiert wird - nicht einfach als Fräuleinwunder, sondern als junge Frau, die etwas zu sagen hat.

Ein Vierteljahrhundert später, in Jerusalem, sieht das Leben ganz anders aus. Sie sei vierundzwanzig Stunden im Dienst, notiert sie einmal: als Pflegerin, Köchin, Dienstmädchen. Nur sie selbst sei sie nie. Und nun, 1974, der Sohn ist tot, der Mann ist tot, sie selbst empfindet sich lange Zeit schon als tot, kommt ihr noch einmal in den Sinn, nach Berlin zurückzugehen. Noch einmal denkt sie daran, dort anzuknüpfen, wo vor über vierzig Jahren alles begonnen hat.

1956, als sie, damals noch aus New York kommend, das erste Mal nach ihrer Emigration Deutschland besuchte, wollte sie sich eine Rückkehr noch nicht vorstellen. Rowohlt hatte Das lyrische Stenogrammheft wieder aufgelegt. Mascha Kaléko hatte Angebote vom Rundfunk und von Zeitungen - es war fast wieder wie vor 1933.

Der abgelehnte Fontane-Preis

1959 sollte ihr der Fontane-Preis zuerkannt werden. In der Jury saß der Dichter Hans Egon Holthusen, ein damals nicht unbedeutender Mann im deutschen Kulturbetrieb, Gastprofessor an mehreren amerikanischen Universitäten, Leiter des Goethe-Instituts in New York. Und ehemals Mitglied der SS. Ausgerechnet von dem wollte Mascha Kaléko keinen Preis entgegennehmen.
„Wenn es den Emigranten nicht gefällt, wie wir die Dinge hier handhaben, dann sollen sie doch fortbleiben“, sagte der Generalsekretär der Akademie der Künste, Herbert von Buttlar, zu Mascha Kaléko.

1974 schließlich ein neuer Versuch, nach Deutschland zurückzukehren. Doch in Zürich wird Magenkrebs diagnostiziert. Berlin wird zur Utopie. In Kalékos Leben ist es nie geradeaus gegangen: eine Jüdin aus Galizien, dem Armenhaus der k. und k.Monarchie. Dort, in Schidlow, wurde sie unter dem Namen Golda Malka Aufen am 7. Juni 1907 geboren. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wanderte die Familie aus Angst vor Pogromen nach Frankfurt am Main aus, 1918 dann übersiedelte sie nach Berlin.

Das bisschen Ruhm ist schnell verblasst

1926 lernte Mascha den um zehn Jahre älteren Philologen Saul Kaléko kennen. Zwei Jahre später heirateten sie. Und ein Jahr danach wurden in der Zeitschrift Der Querschnitt Mascha Kalékos erste Gedichte veröffentlicht. Die fanden sich dann auch im ersten Gedichtband Das lyrische Stenogrammheft, erschienen 1933. In dem Jahr, in dem in Deutschland Adolf Hitler an die Macht kam.

Sie blieb in Deutschland, bekam ein Kind, von dem Saul Kaléko zuerst annahm, es sei von ihm. Die Beziehung zu Chemjo Vinaver hielt sie geheim, 1937 schließlich kam es zur Klärung. Sie ließ sich scheiden, heiratete Vinaver und kümmerte sich um die Auswanderung. Mit Chemjo Vinaver und dem Sohn Steven ist sie im September 1938 in die USA emigriert, nach New York. Für den Musiker Vinaver gab es dort ein Publikum, für die Lyrikerin Mascha Kaléko zuerst nicht, später - ein kleines. Das bisschen Ruhm ist schnell verblasst.

New York, dann Jerusalem, der Tod des Sohns, des Manns, die Vereinsamung. Mascha Kaléko stirbt am 21. Jänner 1975 im Alter von 67 Jahren. Beigesetzt wird sie auf dem Israelitischen Friedhof am Friesenberg in Zürich. Grabreden hat sie sich verbeten.

Gestaltung

  • Peter Zimmermann