Inklusions-Radiokolleg: Haare schneiden, kuscheln und zum Arzt gehen - inklusiv

Waschen, schneiden, föhnen, alles inklusiv. Marietta Trendl hat einen barrierefreien Frisiersalon besucht.

Was für die einen Wellness und Entspannung bedeutet, ist für andere schlimmer als ein Zahnarzttermin. Und manchen fehlt der Zugang zu der Erfahrung. Ina Holub will das ändern. Die Queer- und Fatness-Acceptance-Aktivistin hat vor knapp einem Jahr den inklusiven Haarsalon „Soft & Cut“ in der Wiener Kaiserstraße eröffnet.

Ina Holub:
Es gibt auch in Wien wahnsinnig viele Personen, die nicht in Salons gehen können aus vielerlei Gründen. Weil kein Knowledge über ihre Haarstruktur ist. Weil sie allein durch so was wie gendergenormte Preisgestaltung sich in irgendeine Richtung outen müssen, erklären müssen, gejudged werden. Weil sie gar nicht reinkommen aufgrund von Barrieren, egal ob fat-politisch oder wegen Behinderung oder sowas. Das heißt, es sind so viele Personen, die nie mitgedacht werden.

Der Salon wirkt wie ein wahr gewordener Instagram-Traum. Alles ist rosa. Von den Wänden und der Decke bis zum flauschigen Kunstfellteppich. Sogar der Kühlschrank in der Ecke ist pink. Statt klassischer Drehstühle stehen weiche Sofasessel vor den Spiegeln.

Ina Holub:
Es ist nicht nur, weil's super nice aussieht, das auch. Aber die Farbgestaltung ist bewusst gewählt tatsächlich, wenn das die Farbe ist, die am beruhigendsten auf Personen am Spektrum wirkt. Und basierend auf der Farbe wurde dann eben auch der ganze Salon gestylt. Das war einfach der, der am barriereärmsten für neurodivergente Personen ist.

Die Lounge-Stühle, auf denen geschnitten wird, sind für unterschiedliche Körperformen gemacht. Sie sind größer und bequemer als herkömmliche Friseurstühle. Und belastbarer. Seitlich gibt es keine Lehnen, denn die könnten einengen. Und Personen mit eingeschränkter Mobilität können so leichter Platz nehmen.

Ina Holub:
Das Bad, das WC und alles ist barrierefrei. Auch die Waschstation. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn bei der Waschstation hört es meistens auf. Und diese ist eben so gestaltet, dass sie sehr viele Neigungswinkel hat und kein Sitz davor montiert ist. Das heißt, Personen können zum Beispiel mit einer Gehhilfe, einem Elektrorollstuhl, einem Rohrstuhl da auch selber hinkommen.

Barrierefreiheit ist hier umfassend gedacht und steckt im Detail. Ein blickdichter Vorhang dient der Privatsphäre von Personen, die Hijab tragen. Spezielle Luftfilter und FFP3-Masken schützen Long-Covic-PatientInnen. Bei stillen Terminen muss nicht gesprochen werden. Das freut zum Beispiel Menschen mit Autismus. Die Preise sind genderunabhängig und verschiedenste Haarstrukturen werden kompetent behandelt. Dass das nicht überall selbstverständlich ist, hat Astou Maraszto schon oft erlebt:

Astou Maraszto:
Ist es in Wien so, dass man nicht sehr viele Möglichkeiten hat, sich die Haare schneiden zu lassen. Vor allem mit meiner Haarstruktur. Also ich habe sehr starke Locken. Ohne dass man entweder verschnitten oder verstört rausgeht. Was mir wahrscheinlich am häufigsten passiert ist, ist tatsächlich, dass die Haare einfach falsch geschnitten werden. Ich glaube, dass es auch in der Ausbildung noch nicht so stark vorkommt, dass Menschen unterschiedliche Haarstrukturen haben und nicht nur glatte Haare. Und alles, was davon abweicht, wird dann – ich sag unter Anführungszeichen – als schwierig bezeichnet.

Ausgrenzung und das fehlende Mitdenken mancher Menschen hat Holub auch in ihrer Ausbildung bemerkt. Da hörte sie nie etwas darüber, wie man die extrem glatten Haare von AsiatInnen behandelt oder gekräuselte Afrohaare. Holub ist seit über 15 Jahren Friseurin und kennt das Gefühl, in Salons nicht willkommen zu sein.

Ina Holub:
Ich habe eben auch schon sehr viele ausschließende und diskriminierende Erfahrungen dort gemacht. Auch als weiße Frau, aber trotzdem als fette und homosexuelle Frau. Und dann eben erlebt habe, dass mir gesagt worden ist: Nein, mach diese Frisur nicht, weil dann sieht dein Gesicht noch dicker aus.

Mit ihrem Salon möchte Holub patriarchalen Schönheitsidealen entgegentreten und einen Ort schaffen, an dem sich Menschen gesehen und akzeptiert fühlen.

Ina Holub:
Mittlerweile glaube ich eben auch nicht mehr daran, dass es ein Raum gibt, wo das für alle stimmt. Aber ich hab halt versucht, möglichst viele Personen und möglichst viele Lebensrealitäten mit zu bedenken. Dass die einen möglichst auf sie personalisierten und zugeschnittenen Besuch hatten, der diese Person so gut es eben geht, sag ich immer dazu, abholt.

Maraszto ist inzwischen Stammkunde bei „Soft & Cut“ und mehr als zufrieden:

Astou Maraszto:
Da ist ein großes Vertrauen gewachsen und ich bin wirklich jedes Mal überglücklich rausgegangen. Und eben, ich bekomme das, was ich möchte, und zwar einen guten neuen Haarschnitt.



Flirten und Dating will gelernt sein. Der Verein Senia fördert selbstbestimmte Sexualität von Menschen mit Behinderungen. Dominic Schmid hat nachgefragt.

Oliver:
Ich bin deswegen zum Verein Senia gegangen, weil ich Sex besprechen wollte. Ich wollte Erfahrung machen mit Sex und Verhütung. Das ist ja logisch, dass ich mal mitmachen wollte zu Sex. Ich hab dann auch gelernt, wie man verhütet und wie man damit umgeht.

Dominic Schmid:
Erzählt Oliver. Der damals 21-Jährige kommt 2008 zum Verein Senia, wo er einen Flirt-Workshop besucht. Senia unterstützt Menschen mit Behinderungen dabei, ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben zu können. Das passiert etwa durch Einzelberatungen oder Workshops etwa zu den Themen Slow Dating oder Flirten. Seitdem er zu Senia gekommen ist, ist Oliver selbstbewusster geworden und hat viele neue Freundinnen und Freunde gefunden.

Oliver:
Ich habe auch viele neue besondere Menschen kennengelernt, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Und hab auch einige gute Freundschaften gepflegt. Es ist alles gut gelaufen. Auch im privaten Leben habe ich auch durch Events, Konzerte, über Communities, über Arbeit, auch neue super Leute kennengelernt, dass es nicht nur unbedingt Liebesbeziehungen sind, auch auf freundschaftlicher Basis. J

Dominic Schmid:
Jede Person muss selbst darüber entscheiden dürfen, mit wem sie eine Liebesbeziehung eingeht oder wie sie verhütet. Das sieht auch die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, so vor. Der Verein Senia versucht dieses Recht für Menschen mit Behinderungen umzusetzen, wie Michael Buchberger erklärt. Er ist diplomierter Sozialpädagoge und arbeitet bei Senia.

Michael Buchberger:
Das ist ein Ziel, also dass die Möglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen erweitert werden und sie selbstbestimmt ihre Sexualität leben können, insofern natürlich immer ein Konsens vorhanden ist.

Dominic Schmid:
Dennoch wird Menschen mit Behinderungen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung immer noch abgesprochen. So werden sie häufig als a- oder hypersexuell dargestellt. Somit können sie auch öfter Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Dies zu unterbinden, auch dabei hilft der Verein Senia.

Michael Buchberger:
Wir sind der Meinung, dass Missbrauchsprävention hier ganz wichtig ist. Das schaffen wir eben dadurch, dass wir sensibilisieren, dass wir da Räume aufbrechen, dass wir Aufklärungsarbeit betreiben.

Dominic Schmid:
Damit es eines Tages besser wird, muss aber noch viel passieren, erläutert Michael Buchberger.

Michael Buchberger:
Dass hier ein offener Zugang geschaffen wird, dass dem Thema mehr Beachtung geschenkt wird, dass es vielleicht auch mehr Angebote gibt, mehr Aufklärungsarbeit. Dass auch ein Umdenken in der Gesellschaft passiert, dass das eben ein menschliches Grundbedürfnis ist. Und dass ihnen das zugesprochen und auch zugestanden wird.

Dominic Schmid:
Und Oliver findet, dass wir alle toleranter miteinander umgehen sollten.

Oliver:
Wenn die Welt mit unterschiedlichen Menschen, mit und ohne Beeinträchtigungen, unterschiedlich ist, dass man trotzdem tolerant ist und versteht und nicht denkt: Oh, Gott im Himmel, was für ein Kasperl! Sondern dass man offener zu Menschen ist, mit Toleranz und Liebe. Das ist wichtig.




Inkluenzer – Helen Zangerle über Social-Media-Influencer mit Behinderungen:

Instagram. Jetzt bin ich auch dabei. Wenig begeistert wischte ich mich durch meinen Algorithmus, bis ich auf das Video einer sogenannten Inkluenzerin gestoßen bin:

Video:
Ja und heute habe ich mal eine Liste mit Dingen mitgebracht, die ich mit meiner Hand kann.

Es war ein Video von Matilda Jelitto, eine jungen Berlinerin mit einer Behinderung an ihrer Hand. Nicht genau so, aber ähnlich wie meine Hand.

Video:
Mit Gangschaltung Auto fahren, meine Nägel lackieren, Bratsche spielen, aber ohne musikalisches Talent.

Ab da wurde Instagram endlich spannend für mich. All die Vorbilder, die ich in meiner Jugend vermisst habe, waren hier drinnen. Menschen, die ihre Behinderung als Chance sehen, ihr Leben in die eigene Hand nehmen und damit Barrieren abbauen. Nämlich die Barrieren im Kopf.

Video:
Mein Name ist Raúl Krauthausen, ich bin Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit.

Raúl Krauthausen, der wohl prominenteste Aktivist in der Behinderten-Szene. Er hat die Glasknochenkrankheit, ist kleinwüchsig und nutzt einen Rollstuhl. Er studierte Kommunikation und ist Talkmaster seiner eigenen Show.

Video:
Oh mein Gott, wie machst du das eigentlich so? Also dein Leben leben? Ich stehe auf, ich frühstücke.

Janina Nagel, eine kleinwüchsige Fitnessinfluencerin. Sie postet über Fitness und Mode und klärt über Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung auf.

Video:
Ich würde daran verzweifeln.

Dann wurde ich auf Linus Bade aufmerksam. Ein junger Mann aus Berlin, gelernter Mediengestalter, Aktivist, Inkluencer, Trainer, Schauspieler, Sportler und stolzer Tetraspastiker. Seine Videos sind eigentlich Sketches. Sie sind schauspielerisch und dramaturgisch durchdacht und getränkt mit einem wunderbaren Humor, von dem manche Comedy-Fatzken nur träumen können.

Video:
Wie wäre es eigentlich, wenn Behinderung die Normalität wäre?

Wie wäre es eigentlich, wenn Behinderung Normalität wäre? Er spielt Szenen, er verkörperte PassantInnenm, ÄrztInnen, PolizistInnen, VerkäuferInnen. Die Videos sind meist in einer Doppelconference gehalten. Natürlich spielt Bade alle Rollen selbst. Die Ideen sind überspitzte wirklich erlebte Szenen aus dem Alltag. In einem seiner Videos erklärt Bade seine Behinderung, was so eine Tetraspastik ausmacht. Dazu gehört seine undeutliche Aussprache.

Video:
Moin, ich bin Linus und hab seit meiner Geburt eine Tetraspastik, die durch Sauerstoffmangel verursacht wurde. Folge davon ist, ich kann meine Bewegung nicht so kontrollieren und meine Sprache ist nicht so deutlich.

Das seinen Videos aber nichts an Qualität nimmt, im Gegenteil: Mensch versteht, wenn Mensch verstehen will. Außerdem nehmen das schauspielerische Talent und die Klarheit der Videos alle eventuellen Verständnisprobleme. Und da sind dann auch noch die barrierefreien Untertitel.

Video:
Wegwerfen, wegwerfen. Die sind auch kaputt. Wie? Die sind doch neu! Nee, die waren neu.

Wegwerfen, wegwerfen. Die sind auch kaputt. Was? Die sind doch neu! Nee, die waren neu.
Hier spielt Linus Bade sich selbst beim Ausmisten kaputter Schuhe und eine andere Person, die fragt, warum er denn die erst kürzlich gekauften Schuhe wieder aussortiere.

Video:
Durch meine andere Gangart nutze ich nicht nur meinen Körper enorm schnell ab, sondern auch meine Schuhe. Guck mal, nach drei Monaten kann ich sie aufhängen. Ja, ja, auch eine gute Sache, wenn ich nicht ständig neue Schuhe zu kaufen habe.

Bade antwortet, dass durch seine andere Gangart sich nicht nur sein Körper enorm schnell abnutzt, sondern auch seine Schuhe. Darum braucht er eben fast alle drei Monate neue Schuhe. Tja, behindert müsste man sein!

Video:
Tja, behindert müsste man sein!

Ursprünglich wurde ihm ein geschützter Arbeitsplatz in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung angeraten, erzählt Linus Bade im Interview. Doch damit gab er sich nicht zufrieden.

Linus Bade:
Ich wollte eigentlich immer was Aktives machen. Aber durch meine Behinderung ist es eh schon sehr, sehr schwer, einen Beruf und eine Ausbildung zu finden. Und dann war die höchste Chance, es muss irgendwas mit PC sein. Dann habe ich überlegt, welcher PC-Beruf hat wenigstens noch bisschen Kreativität.

Schließlich wurde er Mediengestalter. Weil für ihn war klar: Mit seiner Behinderung musste es eine digitale Arbeit sein.

Linus Bade:
Ich bin Fachrichtung Digitales. Das heißt, mein Beruf ist, Webseiten zu entwerfen, Webseiten aufzubauen. Alle möglichen Werbeformate für Digital, aber auch Logoentwicklung. Ich kann auch Flyer machen, Plakate.

Er entwickelt Webseiten, alle möglichen Werbeformate, Logos und Flyer. Die digitale Welt bietet also oft mehr Chancen für Menschen mit Behinderung. Schon 2015 rief Linus Bade gemeinsam mit einem Kollegen eine Internetseite ins Leben: ein Handicap-Lexikon. Weil das Wissen über Behinderungen Vorurteile abbaut.

Linus Bade:
Mich hat es einfach unfassbar genervt, immer so viele Vorurteile zu erhalten. Und irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, die meinen es ja nicht böse, sondern sie wissen es nur nicht besser. Und ich wollte aufklären.

Ab da ist es mit dem Aktivismus losgegangen. 2021 wirkte er in Karoline Herfurths Kinofilm „Einfach mal was Schönes“ als Schauspieler mit. Da begann die Liebe zum Schauspiel. Und daraus folgten dann auch Instagram- und Tiktok-Videos. Heute ist Linus Bade ein gefragter Trainer für Schulungen zum Thema Behinderung, Berater in Sachen Barrierefreiheit und Inkluencer bzw. Influencer. Aber solche Bezeichnungen sind ihm nicht wichtig. Generell hält er nicht viel von Bezeichnungen und Schubladisierungen. All seine beruflichen Projekte fließen ineinander, sie ergänzen sich. Ohne die hohe Internetpräsenz hätte er auch nicht die Reichweite für seine Vorträge und Schulungen.

Linus Bade:
Das mit den Workshops und Vorträgen würde sich in der Größe, wie ich das jetzt mache, ohne Social Media finanziell nicht lohnen.

Ohne Social Media würden sich die Workshops und Vorträge in dieser Größe auch finanziell nicht lohnen. Außerdem wäre es ihm auch langweilig, 24 Stunden, sieben Tage die Woche immer das Gleiche zu machen.

Linus Bade:
Ich will auf gar keinen Fall 24/7 dasselbe machen.

Linus Bade ist ein Tausendsassa in jeder Beziehung. In seinen Videos arbeitet er mit viel Witz gegen Vorurteile gegenüber Behinderungen und ganz nebenbei gegen binäre Geschlechtergrenzen: Mal ist er Frau, mal ist er Mann, mal was dazwischen. Vor allem aber ist er Mensch.


Sprechen Sie mit mir, Frau Doktor! Warum Inklusion auch im Bereich der Medizin wichtig ist, berichtet Anna Celine Mark.

Mit ihr solle man sprechen, nicht über sie, wünscht sich Katharina Praniess. Dazu müsse sich das medizinische Personal eben Zeit nehmen. Meistens wird Katharina beim Arztbesuch von persönlicher Assistenz begleitet. Was dazu führt, dass ÄrztInnen statt ihr, der Patientin, die persönliche Assistenz ansprechen. Vor kurzem musste Katharina sowohl zum Röntgen als auch zur Mammografie. Die technische Assistenz, die das Röntgen durchgeführt hat und deren Bruder ebenfalls eine Zerebralparese hat, konnte sich gut auf Katharinas Behinderung einstellen. Anders die Radiologin, berichtet Katharinas Mutter, Karin Praniess:

Karin Praniess:
Da haben wir am Blick schon gemerkt, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten soll. Sie hat dann mich gefragt: Wie soll denn das überhaupt funktionieren? Ich habe dann gesagt: Wie bei jedem anderen, wir werden das schon machen. Und es hat dann auch nicht funktioniert. Das war schon sehr, sehr frustrierend, weil sie uns dann nach Hause geschickt hat mit der Idee: Ja, also das geht halt da nicht, das funktioniert nicht. Gehen Sie halt noch einmal zu der Ärztin und schauen Sie, ob sie nicht ein MRT machen kann. Aber vielleicht geht das ja auch nicht.

ÄrztInnen sowie Pflegepersonal müsse im Umgang mit Behinderungen vernünftig geschult werden. Das hätte auch genannter Radiologin geholfen, empathisch und neugierig auf Katharina zuzugehen, erklärt Karin Praniess.

Karin Praniess:
In der Diagnostik hat sich sicher viel getan. Das Problem ist nur, dass es halt trotzdem zu wenig Ärzte gibt, die da wirklich Spezialisten sind. Und es gibt einfach zu wenig Therapie- und Fördermöglichkeiten. Es ist nicht jede Behinderungsart gleich. Und Menschen mit Behinderungen sind auch ganz, ganz unterschiedlich und brauchen unterschiedliche Behandlungen, die ihren Bedürfnissen entsprechen.

Wichtig sei dabei wiederum der Faktor Zeit. Denn unzumutbar lange Wartezeiten würden zu persönlichen Tragödien führen.

Karin Praniess:
Da gibt es jetzt eine Kampagne, „besser behandelt“, die sensibilisieren soll zu diesem Thema, dass die Wartezeiten sehr lang sind. Also, die Diagnose-Stellung dauert zum Teil bis zu einem Jahr, für kleine Kinder mit Autismus zum Beispiel. Und das ist eine absolute Katastrophe, weil wenn die Therapie nicht gleich beginnen kann, ist das einfach verlorene Zeit.

Momentan sorgt in erster Linie das Engagement einzelner AkteurInnen für mehr Inklusion im Gesundheitswesen.

Karin Praniess:
Ein Positivbeispiel ist der Primar Fellinger, der in Wien und in Linz bei den Barmherzigen Brüdern schon vor 15 Jahren die Gehörlosenambulanzen aufgebaut hat. Und das ist eine Ambulanz, die sich auch Inklusive Ambulanz nennt. Und der Primar Fellinger ist auch in die Wege, das Thema Menschen mit Behinderungen verpflichtend reinzubringen. Das obliegt ja der Universität, Vorlesungen usw. zusammenzustellen. Das heißt, es ist nicht von Ministeriumsseite möglich, das zu verordnen für zukünftige Mediziner, Medizinerinnen, sondern das obliegt immer der einzelnen Uni, ob sie das machen oder nicht.

Und welche Fortschritte im Gesundheitssektor konnte Katharina Parniess innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte als Expertin in eigener Sache und Peerberaterin erkennen?

Leider sehr wenige.

Karin Praniess:
Das kann ich nur bestätigen. Also leider. Ich denke, es braucht ein inklusives Bildungssystem. Ich glaube, mit dem steht und fällt es. Und ich finde es wirklich traurig, dass es Ärzte gibt, die ihr Leben lang noch nie Berührung hatten mit Menschen mit Behinderungen, weil sie eben nicht selbstverständlich in eine inklusive Schule gegangen sind. Unsere Gesellschaft wird nur inklusiver durch inklusive Bildung. Und wenn wir das nicht schaffen, dann braucht es einfach solche Interviews wahrscheinlich noch in 30 Jahren. Und die Themen verändern sich leider nicht.