Wanted: Superassistenz mit Katalin Zanin
30. Jänner 2025, 15:06
Trendl: Willkommen bei Wanted – Superassistenz. Ein Podcast, gestaltet von Franz Joseph-Huainigg und Marietta Trendl. Mit der Hilfe von persönlicher Assistenz können viele Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen. Es ist allerdings oft schwierig, Assistentinnen und Assistenten zu finden. Franz Joseph-Huainigg sitzt selbst im Elektrorollstuhl und wird künstlich beatmet. Auch er lebt und arbeitet mit der Unterstützung von persönlichen Assistent:innen. Um diese zu finden, lädt er Persönlichkeiten zum Bewerbungsgespräch. Am Ende entscheidet dann eine Challenge, ob die Bewerbung erfolgreich ist. Heute zu Gast ist Katalin Zanin. Die gebürtige Ungarin hat vor mehr als 40 Jahren die inklusive Tanzgruppe „Ich bin O.K.“ gegründet. Jetzt hat sie über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben.
Huainigg: Jetzt wird dein Buch bald erscheinen. Was kann man da erwarten? Was steht da drinnen?
Zanin: Viele Anekdoten. Ich bin 55 Jahre alt. 50 Jahre begleite ich Behinderung. Und sehr viele tolle Sachen sind in meinem Leben passiert. Als Kind bin ich immer so erzogen worden, schau nicht hin, das tut man nicht. Schau nicht hin, das sind arme Menschen. Schau nicht hin, das sind nicht gesunde Menschen. Also dieser „Schau-nicht-hin“ hat mich dann irgendwie zerstört. Ich habe gesagt, ich möchte hinschauen. Und das Buch ist eine Einladung. Schauen Sie hin. Der Opernball, wir haben ihn wieder eröffnet, das ist selbstverständlich geworden. Schau hin und eine Einladung, weiterhin was zu machen ist.
Huainigg: Also ich glaube, wir sind ein gutes Team. Das Buch, das du geschrieben hast – ich kenne das Manuskript – es ist wunderbar geschrieben, über die Zeit hinweg, wie sich auch die Situation von Menschen mit Behinderung verändert hat, wie man umgeht miteinander. Und es hat sich auch viel verändert, von den Einrichtungen her, von der Therapie her, selbstbestimmtes Leben, Inklusion. Und das beschreibst du sehr schön. Spürst du auch, dass sich da etwas ändert in der Gesellschaft? Das Mitleid, wie spürst du das, ist das doch immer sehr präsent, auch in den Medien, oder sinkt das?
Zanin: Also ich bin als gebürtige Ungarin, hier als Ausländerin angenommen worden. Ich bin hierhergekommen, ich wollte mich gerne anpassen, an diese Kultur. Und ich habe gespürt, ungefähr dieselbe Situation als Ausländerin, wie als behinderte Person. Es hat schon angefangen, dass mich jeder mit „Du“ angesprochen hat. Das hat mir so wehgetan, „Du unterschreiben“, „Du nichts verstehen“. Ich habe gesagt, ich kann noch nicht Deutsch, aber ich verstehe es. Bitte sagen Sie zu mir „Sie“. Weil „Du“ ist schon ein bisschen kindisch. Und ich habe gespürt, die Inklusion, jetzt sagen sie öfter – besonders wenn sie mich sehen – zu behinderten Personen nicht „Du“ sondern „Sie“. Und ich sehe das positiv, dass die Personen, besonders bei „Ich bin O.K.“ auch diese gesunde Distanz haben. Nicht so umarmen. Die Inklusion war in meiner Familie selbstverständlich, aber nicht in der Schule, da waren wir schon getrennt. Das hat sich auch geändert. Also ich sehe positives schon. Was ich noch nicht sehe, dass ist das Wirtschaftliche. Also dass im Kindergarten, wo von „Ich bin O.K.“ fünf, sechs Leute, als Kindergartenassistentinnen arbeiten, kriegen sie noch keinen Lohn, sondern Taschengeld. Also in der Wirtschaft ist es sehr wichtig, etwas zu entscheiden. Badeschiff ist ein Muster. Wir haben drei, vier junge Leute, die Koch oder Kellner gelernt haben, die sind dort aufgenommen, mitbegleitend, nicht wegen Mitgefühl. Also die Wirtschaft, sogar in meiner großen Familie, ich habe vier Geschwister, sie haben gesagt, „wenn die kommt, da reden wir nicht über Behinderung, sie ist Fanatikerin der Inklusion“. Ich habe gesagt, das ist für mich normal, aber was ist schon normal? Der wunderbare Dr. Peter Radtke, der war auch ein Vorbild für mich, der hat immer gesagt, was ist schon normal? Ich kämpfe bei der Inklusion, in der Wirtschaft, bei dem Kindergarten und dann in der Gastronomie. Ich war jetzt deshalb in Ungarn. Es gibt in Ungarn jetzt auch eine Hotelkette, die macht Kellner- und Kochausbildungen, aber niveauvoller, nicht nur wischiwaschi, abwaschen oder Kartoffeln schälen, sondern echte Kochrezepte. Und unsere Mitglieder, die haben Ausdauer und lieben arbeiten. Die Liebe zum Arbeiten, diese Leidenschaft, verschwindet langsam, aber bei Menschen mit Behinderung wird es noch größer. Ja, wir sind leidenschaftlich im Leben da und arbeiten gern.
Huainigg: Da gebe ich dir recht. Man muss die Fähigkeit und das Potenzial von Menschen mit Behinderung sehen und wenn sie auch die Möglichkeit bekommen zur Arbeit, einersinnvollen Beschäftigung nachzugehen, dann sind sie sehr motiviert dabei und dann bekommt das Unternehmen auch tolle Mitarbeiter:innen, die engagiert arbeiten und motiviert sind. Das Badeschiff ist ein großes Vorbild, wo Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mitarbeiten, einen Lohn bekommen und kein Taschengeld, so soll das sein in der Wirtschaft.
Zanin: Wo ich dann als zweites Gedanken habe, die Bildung. Ich versuche bei „Ich bin O.K.“ 14 Kurse zu geben. Wir bilden nicht Tänzer und Schauspieler aus, aber wir geben wie eine Volkshochschule eine Bildung. Du hast sicher Ballett besucht, musiziert oder gesungen, und du bist nicht Schauspieler geworden, aber du hast eine Grundbasis, Atemtraining bekommen. Und wir haben Atem-, Stimmhygiene-, Schauspiel-, Tänzerisch- und Moderntanz-Ausbildung.
Huainigg: Du kommst ja aus dem medizinischen Bereich und die Ursprungsidee von „Ich bin O.K.“ war ja auch etwas Gesundheitliches, so die Atem-, die körperliche Bewegung. Und ich kann mich erinnern, ganz am Anfang war eine Veranstaltung von „Ich bin O.K.“ in der Staatsoper und da war ein langer medizinischer Vortrag, wie wichtig das ist. Und dann hat sich „Ich bin O.K.“ viel weiter in Richtung Kunst und Kultur weiterentwickelt. Dein Sohn und deine Schwiegertochter haben in diese Richtung weitergemacht haben, wie siehst du diese Entwicklung?
Zanin: Sie haben gesehen, dass ich kämpfe, wer übernimmt. Also es ist doch 30 Jahre, 20 davon habe ich ehrenamtlich gemacht, finanziell reingesteckt, es war für mich wie ein drittes Kind, da zählst du nicht die Stunden und so. Und mein Mann war Gott sei Dank großartig, er hat Musik gemacht, nicht hinter mir, sondern neben mir. Und als Attila und Hana gesagt haben, wir übernehmen „Ich bin O.K.“ habe ich gesagt: „Nur nicht Mitleid, Mitgefühl“. Und das haben die, also das freut mich. Und sie haben es weiterentwickelt. Ich bin im Hintergrund, für finanziellen Subventionen und pädagogische Fragen, Ausbildung, weiter im Hintergrund. Ich habe noch nicht ganz gelernt, loszulassen, ich glaube bis 80 schaffe ich das Loslassen vielleicht, aber ich mische mich nicht ein. Das habe ich schon gelernt. Ich mische mich nicht ein, die sind selbstständig, ausgezeichnet. Was ich nicht mehr gemacht habe, das ist wirklich für die Jugend, mit 15 Pädagogen, die sind großartig. Die Hingabe dieser Menschen, die Energie ist spürbar. Die haben „Ich bin O.K.“ getrennt. Wir haben 130-140 Mitglieder. Davon 30 ohne Behinderung, also mehr arbeiten. Die sind am Vormittag in der Arbeit oder Schule, am Nachmittag kommen sie in verschiedene Kursen. Und ich habe immer einmal im Jahr ein Theaterstück gemacht. Aber die haben seit acht Jahren die „Company“ mit 15 Leuten der Meisterklasse und die haben dann alle zwei Jahre Premiere. Also die Leute, die viermal in der Woche eine Probe haben, haben die Möglichkeit, Professionalität zu lernen und mit professionellen Tänzern zusammen auf der Bühne zu sein. Die Company ist das Werk von Attila und Hana. Ich denke immer wirtschaftlich, vier Leute sind angestellt und davon zwei mit Behinderung.
Huainigg: Du hast dich ja auch sehr für Menschen mit Behinderung eingesetzt, auch in den Medien. Zum Beispiel die Aktion Mensch, die es damals gegeben hat, die die gemeinrätliche Kommission gegründet hat, da warst du ja auch sehr stark beteiligt.
Zanin: Ich war die Geschäftsführerin, anschließend hatte ich einen Nervenzusammenbruch. Das ist, wenn alle fünf Parteien dir sagen, was Inklusion ist. Da war sehr schwer. Also es waren die Gemeinderäte König, Stubenvoll, Rauch-Kallat und noch mehrere Leute. Ich habe gesagt, okay, ich setze mich ein für gehörlose Menschen, dass im Theater Sitze gebaut werden, wo sie hören oder lesen können. In der Staatsoper gibt es sechs oder sieben Monitore, wo sie die Texte lesen können. Dann für blinde Menschen. Also ich gehe sehr gern ins Kino mit einem Menschen, der nicht sehen kann, er sieht mehr als ich. Der Fritz, er ist vom Blindeninstitut, der ist mein Kinopartner. Der ist 50 Jahre alt und der hat jetzt mit mir den Oppenheimer-Film angeschaut, also die Atombombe. Ich habe gar nicht gedacht, so viel habe ich nicht gesehen, was er mir dann erzählt hat. Also dieses Sehen mit den anderen Augen oder ohne Augen, das hat mich fasziniert. Bei Körperbehinderung, da weiß ich anatomisch, was ich machen muss; Atemtraining, Kondition, alles. Bei Down-Syndrom, diese grenzenlose Liebe, die ich gerne annehme. Nehmen und Geben und lernen wir gemeinsam Grenzen zu setzen. Die einzige wo ich einmal in der Situation selber sehr verzweifelt war, da habe drei Tage in Gugging bei einem Training teilgenommen. Es war die Unsicherheit wegen einer sehr dummen Frage wegen Sterilisation behinderter Menschen. Ich bin nicht Sexualpädagogin und der liebe Doktor Schmutzer, großartiger Sexualtherapeut, hat mich gefragt, was ich tun würde, mit einem Mädchen mit Down-Syndrom, wenn es heiraten würde. Sterilisieren oder nicht sterilisieren lassen? Das hat mich diese drei Tage beschäftigt. Und ich habe gesagt: Über andere Körper entscheiden: Ich nicht. Jeder hat das Recht auf Sexualität. Aber ich war psychisch durcheinander, warum habe ich nicht sofort Nein gesagt? Da war ich nicht sehr stark. Und dann war diese gute Aktion Mensch-Kampagne, die hat viel erreicht, positives. Rampen, Rollis gebaut, Toilettenschlüssel auf den Autobahnen. Diese ganz einfachen Dinge haben wir geschafft.
Huainigg: Die Aktion Mensch hat mich auch über Umwege in die Politik gebracht. Es war verbunden mit Fernsehspots. Die habe damals gesehen als Jugendlicher, oder studiert habe ich. Das waren einfach so Naturbilder, Wiesen, Blumen, Bäche, schöne Bilder, Schmetterlinge. Und am Ende ist gestanden: „Behinderte sind auch Menschen“. Und ich habe gedacht, da kommt ja kein Mensch mit Behinderung vor, was ist das?. Und ich habe mich wahnsinnig geärgert darüber. Und dann war, ich habe damals in Kärnten gelebt und da war eine Präsentation dieser Aktion Mensch. Und ich bin dann von Kärnten nach Wien gefahren und war dabei. Und dann auf der Bühne ist die Maria Rauch-Kallat gesessen, die das auch stark mitbetrieben hat. Von der gemeinderätlichen Behindertenkommission. Und ich bin da in der ersten Reihe gesessen und habe immer aufgezeigt und es kritisiert. Die wollten das groß präsentieren. Und ich habe mich immer zu Wort gemeldet und Kritik geübt und gesagt, dass es so nicht geht. Ich bin dann gar nicht mehr zu Wort gekommen. Die haben mich dann übergangen und andere gefragt. Aber bei der Veranstaltung habe ich auch die Maria Rauch-Kallat kennengelernt und bin mit ihr ins Gespräch gekommen. Und habe sie hat gemerkt, wie ich denke und hat dem auch einiges abgewinnen können. Und wir sind dann immer im Gespräch geblieben und sie hat mich als kritischen Geist immer wieder gefragt. Und das schätze ich an ihr sehr, dass sie da ein offenes Ohr gehabt hat. Und letztendlich hat sie mich ja auch viele Jahre später dem Wolfgang Schlüssel vorgeschlagen, mich ins Parlament zu holen als Abgeordneter. Also obwohl ich die Aktion Mensch sehr kritisiert habe, hat sie mich dann auch in die Politik geführt. Wie hast du das erlebt?
Zanin: Maria Rauch-Kallat, ich bewundere sie als Mutter von einer blinden Tochter. Claudia, die Tochter, ist jetzt vierzig. Sie war die Erste, die Skifahren gelernt hat, mit Tandem. Und sie hat den Opernball eröffnet. Also als Mutter hat sie wirklich erreicht, eine selbstständige, tolle, glückliche Tochter zu erziehen. Ich habe sie als Mensch sehr, sehr gerne. Sie weiß, dass wir befreundet sind und sie schätzt uns beide. Wir sind die kritischen, charmanten Geiste der Inklusion.
Huainigg: Du hast dich ja indirekt beworben, als persönliche Assistentin. Aber vielleicht machen wir noch einen Test. Am Ende des Podcasts ist immer eine Challenge und ich habe mir eine besondere Challenge überlegt. Du hast die Tanzgruppe „Ich bin O.K.“ groß gemacht und gestartet und Tanzen ist deine lebensbegleitende Leidenschaft. Und ich habe mich gefragt, vielleicht können wir ein gemeinsames Tänzchen machen?
Zanin: Ja, sehr gern. Möchtest du lieber Wiener Walzer oder lieber ungarischen Csardas?
Huainigg: Ach ja, wir können was Ungarisches probieren. Ich kann mich nicht selbst bewegen. Du müsstest den Joystick greifen.
Zanin: Ja, es ist ja diese Art, ja, das ist das drehen. Links. Genau. Eins und zwei, genau. Und links. Und links. Eins und zwei. Und jetzt ein ungarisches Lied: Es ist schön, wenn jemand blaue Augen hat, aber es macht nichts, wenn er dunkle Augen hat, ja?
Huainigg: Ok super, vielen Dank. Das war ein schönes Erlebnis.
Zanin: Ich danke dir.
Trendl: Vielen Dank fürs Zuhören. Die nächste Folge Superassistenz kommt am 5. März. Katalin Zanins Buch mit dem Titel „Ich bin voll O.K. Weinen, lachen, tanzen“ ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.