
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
August 2025
Ö1 Buch des Monats: "Thomas Mann"
Tilmann Lahmes Buch "Thomas Mann. Ein Leben" ist das Ö1 Buch des Monats.
28. Juli 2025, 10:57
Auf dem Umschlag das obligate Bild des Dichters aus dem kalifornischen Exil: graues Sakko, weiße Hose, weiße Schuhe, in der Hand die Schiebermütze. Halb bürgerliche Farblosigkeit, halb Gustav Aschenbach am Lido von Venedig. Dieses Bild ist sehr aussagekräftig, denn Tilmann Lahme konzentriert sich in seinem Buch auf jenen Aspekt, dem sich die Thomas Mann-Biografik stets mit eingezogenem Kopf gewidmet hat: die Homosexualität. Genauer gesagt: dem Kampf gegen ein Begehren, das Mann selbst ein Leben lang pathologisiert hat.
Nun kann man zurecht fragen: was kümmert uns das? Muss die Sexualität eines Schriftstellers ausgeleuchtet werden, um das zu verstehen, was uns wirklich etwas angeht, nämlich die Literatur? Das muss sie natürlich nicht, nur im Falle von Thomas Mann ist das Interesse dadurch begründet, dass hier ein Dichter permanente Selbsterforschung betreibt, zuerst in seinen Tagebüchern, und der daraus mit spärlicher Fiktionalisierung literarische Texte hervorbringt.
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Kampf gegen ein Begehren
Anders gesagt: Thomas Mann ist in all seinen Texten, er ist geradezu gleichzusetzen mit seinen Texten, nicht allein mit Figuren darin, weil diese Texte, egal, ob es sich um Romane oder um Novellen handelt, der Sprache gewordene Kampf gegen eine Krankheit namens Homosexualität sind.
In Thomas Manns frühen Jahren galt Homosexualität im medizinischen Bereich als Erkrankung, die man glaubte, heilen zu können. Der berühmteste Proponent dieser Denkrichtung war der Psychiater und Neurologe Richard von Krafft-Ebing, dessen Buch "Psychopathia sexualis" für Mann so etwas wie die Heilige Schrift war. Krafft-Ebing trat dafür ein, Homosexualität nicht mehr als Strafdelikt zu behandeln, weil sie eben eine Missbildung sei, die behandelt gehört.
Eine neue Lesart
Für Tillman Lahme ist das der Kern der Mannschen Selbstdisziplinierung und auch Selbstverachtung, wenn den Dichter das Begehren übermannte, vor allem aber der Selbstbeobachtung und Selbstanalyse, die Mann in seinen Tagebüchern geradezu manisch betrieb. Er war so besessen von sich selbst als sexuelles Wesen, dass er die Kämpfe mit den eigenen Begierden und Phantasien auf seine Figuren projizierte. Das ergibt dann eine neue Lesart, vor allem in Hinblick auf das Verständnis von Ironie als Maskierung einer großen Abgründigkeit.
Service
Tilmann Lahme, „Thomas Mann. Ein Leben“, dtv
Gestaltung
- Peter Zimmermann