
MARCELLA RUIZ CRUZ
Ö1 Talentebörse
Anna Poell, Bildende Kunst
In Kooperation mit den österreichischen Kunstuniversitäten präsentiert Ö1 junge Kunst-Talente Österreichs. Anna Poell studiert Kunst, Raum und Installation an der Akademie der bildenden Künste Wien.
28. Juli 2025, 07:55
Es geht mir nicht darum, klare Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen: über Materialität, über Nähe und Distanz, über die Grenzen von Körper, Raum und Identität.
Geboren: 1990 in Vöcklabruck
Aktuelles Studium: Kunst und Raum | Installation, Univ.-Prof. Nora Schultz, Akademie der bildenden Künste Wien
Mein größter Erfolg: Diese Frage beantworte ich in eineinhalb Jahren.
Was ist Kunst und was nicht?
Kunst ist für mich Prozess, Ausdruck, Werkzeug und Erfahrung – ein Zusammenspiel von Material und Form. Sie entsteht in den Zwischenräumen: zwischen Körper und Systemen, zwischen Natur und künstlichem Eingriff, zwischen Wahrnehmung und Illusion. Kunst bedeutet für mich, tagelang mit einem Raum zu sein, sich aufeinander einzulassen, ihn zu erleben, zu verstehen, seine Oberflächen zu spüren und seine Strukturen zu begreifen. Es ist ein langsames Verstehen – ein Dialog zwischen Ort und Handlung. Wenn Arbeiten und Raum ineinander aufgehen, wenn sich Skulptur an den Raum anpasst und der Raum sich auf die Skulptur einstimmt– dann beginnt Transformation. Kunst ist für mich genau dieser Raum: ein Ort der Veränderung, der Öffnung, der Berührung.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Kunst war für mich stets präsent – in jeder Lebensphase zeigte sie sich auf unterschiedliche Weise. Schon früh war ich auf der Suche nach Räumen, in denen ich arbeiten konnte. Ein schöner Zufluchtsort war die Holzwerkstatt meines Großvaters: ein organisiertes Chaos, gefüllt von Material, Werkzeugen und Holzspäne als würden sie den Raum bewohnen – und gleichzeitig war es ein Raum, der erstaunlich viel Platz ließ. Mein weiterer Weg führte über die Architektur. Mich interessiert, wie wir Räume wahrnehmen, welche Fragen ein Raum offenlässt und wie er sich – gedanklich – über seine physischen Grenzen hinaus erweitern lässt. Zugleich ist Raum für mich nicht neutral sonder mit soziale, politische und geschlechtliche Zuschreibungen geformt. Materialien sind ein wichtiger Bestandteil meine Arbeit und spiegeln aktuelle Themen, Begegnungen und Erfahrungen wider. Derzeit verbinde ich häufig transluzente mit schweren Materialien – inspiriert von meiner Partnerin Marcella Ruiz Cruz. Organische, industrielle, gefundene oder konstruierte Stoffe verlieren ihre ursprüngliche Funktion und bilden neue, hybride Formen. Die Spuren dieser Prozesse machen Berührung sichtbar als ein kontingentes Ereignis: niemals abgeschlossen, immer im Prozess begriffen.
Kommt Kunst von können, müssen oder wollen?
Das Müssen kommt mit der Auseinandersetzung der jetzigen Welt. Das Wollen ist die Vision, der Drang, der innere Druck, Raum zu schaffen. Das Können entsteht durch Wiederholung, durch Scheitern, Erfolge.
Wo würden Sie am liebsten ausstellen/auftreten/inszenieren?
Mich interessieren Räume, die erzählen – Orte, die Geschichte spürbar machen und gleichzeitig offen für Transformation sind. Räume, die nicht neutral sind, sondern Teil der Arbeit werden, die einen verschlucken und in denen Skulpturen, Körper und Architektur miteinander verschmelzen. Besonders faszinieren mich Zwischenräume und öffentliche Orte, die geprägt sind von Spuren, Geschichten und sozialen Dynamiken. Orte und Gegebenheiten, die eine Arbeit ergänzen und nicht nur den Rahmen dafür bilden.
Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?
Ich würde sehr gerne weiterhin mit all den wunderbaren Menschen zusammenarbeiten, mit denen ich bereits gearbeitet habe – und zugleich offen bleiben für viele neue Begegnungen. Es gibt so viele inspirierende Personen, Kollektive, Offspaces, und Veranstalter:innen etc., die Räume schaffen für Veränderung und Transformation. Besonders interessiert mich auch der Austausch zwischen verschiedenen künstlerischen Disziplinen – eine Zusammenarbeit, in der neue Formen und Perspektiven entstehen können.
Wie viel Markt verträgt die Kunst?
Der Kunstmarkt kann Sichtbarkeit schaffen und wichtige Projekte ermöglichen, birgt aber auch die Gefahr der Vereinnahmung. Gerade in Zeiten gekürzter Förderungen ist es umso wichtiger, Räume für Vielstimmigkeit zu bewahren. Ich sehe den Markt nicht als Gegensatz, sondern als Teil eines größeren Ökosystems – solange Kunst darin ihre Eigenständigkeit bewahren kann.
Und wie viel Kunst verträgt der Markt?
Kunst eröffnet neue Perspektiven und Denkräume. Ob dafür immer ein Markt notwendig ist, bleibt offen.
Was ist etwas völlig Unvernünftiges, das Sie trotzdem sofort tun würden, wenn Geld keine Rolle spielt?
Ich hätte viele vernünftige Ideen - aber unvernünftig wäre wohl das Schönste: ein Haus zu bauen, das einzig meiner Steinsammlung gewidmet ist, ähnlich dem von Luigi Lineri. Jeder Stein hätte seinen Platz, seine Geschichte, sein eigenes Kapitel im Raum. Oder ein Haus, das sich in Themenräume gliedert: jeder Raum eine Welt für sich. In einem Zimmer etwa würden überdimensionale Keramikhunde stehen, wie Skulpturen durch die man sich hindurchbewegt.
Welche Vision haben Sie für Ihre Arbeit – oder für sich selbst – in zehn Jahren, die Sie (noch) niemandem erzählt haben?
Diese Frage fällt mir schwer zu beantworten – besonders mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage. Ich sehe mich auch in Zukunft als Kunst-schaffende Person, aber es gibt Momente des Zweifelns: Reicht das aus? Braucht die Welt nicht etwas ganz anderes – vielleicht etwas Dringlicheres – von mir? In meiner idealen Vorstellung habe ich die Möglichkeit, große Arbeiten zu verwirklichen. Ich arbeite in einem Atelier, das voller Skulpturen und Erinnerungen ist und in dem überall Fundstücke hängen, wachsen, aus jeder Ecke hervorkommen. Ich widme mich ganz meiner künstlerischen Praxis und habe zehn Katzen. Und vor allem: Ich habe Zeit. Zeit mit meinen Lieblingsmenschen, Zeit zum Arbeiten, Zeit zum Leben.
Glauben Sie, dass Ihre Arbeit in Zukunft von künstlicher Intelligenz ersetzt werden könnte – und warum (nicht)?
Teile davon vielleicht – etwa die Abformung oder die Visualisierung. Aber nicht die Intuition im Umgang mit dem Material, nicht das Körperliche, nicht der Zufall. Die Erfahrung im Raum, das Gefühl von Präsenz, von Berührung – das ist kein abgeschlossenes Ereignis, sondern ein vielschichtiges Verhältnis zwischen Körper und Raum. Und genau das bleibt zutiefst menschlich. Meine Arbeit ist körperlich, flüchtig, abhängig von Spuren.
Wann und wo sind Sie das letzte Mal unangenehm aufgefallen?
Es genügt manchmal schon, einfach man selbst zu sein um an Orten Spannungen zu erzeugen - nicht weil man provozieren will, sondern weil man mit bestimmten Erwartungen oder Normen nicht übereinstimmt oder mit ihnen bricht.
Was wünschen Sie sich, dass Ihre Kunst bei anderen auslöst?
Dass meine Arbeiten Räume öffnen, für Wahrnehmung, Irritation, Reflexion und Berührung und Transformation auslösen; dass sie anregen, das Verhältnis von Raum, Körper und Beziehung neu zu denken. Es geht mir nicht darum, klare Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen: über Materialität, über Nähe und Distanz, über die Grenzen von Körper, Raum und Identität. Wenn Materialien sich begegnen, sich durchdringen und verändern, wünsche ich mir, dass auch die Betrachter:innen sich auf diese Prozesse einlassen – auf das Unfertige, das Fluide, das Fragile.