Daniel Kehlmann

Daniel Kehlmann - PICTUREDESK.COM/CARO/WAECHTER

Streitfall Medienrecht

Von der Kunstfreiheit nicht gedeckt

Eine Häufung von medienrechtlichen Urteilen, die nicht nur von den Betroffenen mit Unverständnis aufgenommen worden sind: Was steckt da dahinter? Ist Österreich wirklich zum Land mit beschränkter Meinungsfreiheit geworden, wie der Star-Autor Daniel Kehlmann es ausgedrückt hat? Sind die Mediengerichte gar von der neuen Medienrealität überfordert?

Fritz Jergitsch vom Satireportal "Die Tagespresse" drückt es so aus: "Ich würde auf jeden Fall unterschreiben, dass die Kunst und Meinungsfreiheit in diesem Jahr Einschnitte erlebt hat. Ich führe das zurück auf eine konservativere Grundstimmung in der Bevölkerung, die sich auch auf die Richterschaft niederschlägt." Das führe dann zu Urteilssprüchen wie jenem, der Jergitsch ereilt hat: Er hat die berühmten Wirtshausbriefe verschickt und ist deswegen von der FPÖ geklagt worden. Das waren Briefe mit dem Logo der FPÖ als Persiflage auf die schwarz-blaue Wirtshaus-Prämie in Niederösterreich, darin ist von einer "Panierquote" die Rede und von einem öffentlich einsehbaren Onlineregister - quasi ein Pranger für "nicht heimatverbundene Wirtshäuser".

Satirischer Brief als Namensklau und Täuschung

Ganz offensichtlich Satire, aber der Oberste Gerichtshof sah das anders. Namensklau und Täuschung des Publikums, so die Begründung. "Die Tagespresse" hat deswegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen, "weil die Täuschung ein essentielles Stilwerkzeug der Satire ist. Und wir wollen uns das nicht nehmen lassen und sind deswegen zum EGMR gegangen", so Fritz Jergitsch. Bis der EGMR entscheidet, wird es freilich Jahre dauern.

Anwältin Maria Windhager hofft, den Gang nach Straßburg in einem anderen Fall noch vermeiden zu können, wobei das schwer abschätzbar ist. Sie vertritt den Kabarettisten Florian Scheuba, der in seiner satirischen Kolumne im "Standard" dem Chef des Bundeskriminalamts, Andreas Holzer, "rätselhafte Untätigkeit und folgenschwere Arbeitsverweigerung" nachgesagt und zugleich angemerkt hat, man müsste Holzer eigentlich ein Denkmal setzen. Denn ohne den BKA-Chef wäre das Ibiza-Video mit all seinen Folgen für die Innenpolitik nie gemacht worden, schrieb Scheuba.

"Lupenreine Satire" als üble Nachrede

Wieder Satire, aber das Oberlandesgericht Wien hat Scheuba rechtskräftig wegen übler Nachrede verurteilt. Anwältin Windhager versteht es nicht. "Meines Erachtens eine lupenreine Satire. Also ich tu mir wirklich sehr schwer mit diesem Urteil und kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie der Bedeutungsinhalt in dieser Causa festgelegt worden ist. Ich lese es einfach komplett anders. Es kommt bei mir anders an. Ich halte diese strenge Rechtsprechung für sehr problematisch."

Peter Zöchbauer, der Anwalt der Gegenseite, sagt dazu: "Es geht auch noch als Satire durch, dass man Holzer vielleicht ein Denkmal setzen muss. Aber das, was überbleibt, ist - nämlich als Anlass für die Satire - die Tatsachenaussage, er ist pflichtwidrig untätig geblieben und das vorsätzlich. Das war der Ausgangspunkt der satirischen Übertreibungen. Und dieser Ausgangspunkt ist eine Tatsachenaussage, die wahr oder unwahr sein kann, und in dem Fall war sie eben unwahr, wie das Beweisverfahren ergeben hat."

Zöchbauers Job war es, die Satire zu entkleiden, wie er es nennt. Und die Gerichte sind ihm gefolgt. Das Erstgericht hat Scheuba freigesprochen, die folgenden drei Instanzen haben ihn verurteilt.

Richter machen Star-Autor Kehlmann stutzig

Star-Autor Daniel Kehlmann, der Scheuba gut kennt und der dessen Fall auch im Gerichtssaal verfolgt hat, irritiert nicht, dass der Schuldspruch zweimal bestätigt worden ist, wie er im #doublecheck Interview sagt. "Also wenn Sie mich jetzt fragen, macht mich das stutzig, dass mehrere Richter zum gleichen Urteil kommen? Dann kann ich wirklich mit großer innerer Sicherheit sagen: Das macht mich wirklich nur stutzig, was die Richter angeht - und nicht, was die Frage angeht, ob man Florian Scheuba nicht doch etwas vorwerfen kann."

Das würde er mit absoluter Sicherheit mit Nein beantworten, sagt Kehlmann. Er habe sich mit dem Fall wirklich beschäftigt und auch mit Juristen gesprochen, "auch die Leute von Amnesty International zum Beispiel sind entsetzt". In einem Kommentar im "Falter" zum Scheuba-Urteil hat Kehlmann zuletzt mit Blick auf die Richterschaft von einem "Furor der Justiz gegen jede Art von politischem Spott" geschrieben.

Ex-Richter Hinger sieht keinen "politischen Bias"

Der Schriftsteller vermutet, dass das milieubedingt sein könnte. "Ein Milieu, das eine ganz grundsätzliche Folgsamkeit und Unterwürfigkeit gegenüber jeder Art von Obrigkeit für selbstverständlich hält. Und für die sind Journalisten und Kabarettisten und Satiriker etwas dermaßen Fremdes, dass sie sozusagen grundsätzlich unter einem Verdacht stehen, einfach so unbotmäßige Leute zu sein. Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder einfach nach Gutdünken die Chefitäten kritisiert?"

Einspruch, sagt dazu Reinhard Hinger. Er hat über Jahrzehnte als Richter gearbeitet und war auch Mediensprecher des Oberlandesgerichts Wien, seit Jänner ist Hinger im Ruhestand. "Die relativ kleine Population der Richterinnen und Richter in Österreich hängt wirklich auch politisch nicht im luftleeren Raum. Aber dass da ein politischer Bias dahinter steht oder auch nur unbewusst eine gesellschaftliche oder eine soziologische Veränderung des Richterinnen Pools stattgefunden hat, das sehe ich nicht und das glaube ich nicht."

"Die hören Cookie und denken an Kaffeepause"

Auch Fritz Jergitsch geht mit der Richterschaft hart ins Gericht. Er sieht eine weltfremde Rechtssprechung, speziell in Zusammenhang mit Social Media - "wo zum Beispiel ein Like auf Facebook schon als üble Nachrede ausgelegt werden kann. Einzig und allein deswegen, weil ein Like auf Facebook theoretisch die Reichweite von diesem Posting steigern könnte. Und ich finde solche Entscheidungen, die werden nach meiner Auffassung getroffen von einer Richterschaft, die keine Ahnung und kein Gespür für diese Technologien hat. Die hören das Wort Cookie und denken an die Kaffeepause." Das betreffe nicht alle Richter, aber speziell bei den wegweisenden Urteilen, "da greift man sich ja auf den Kopf", so Jergitsch.

Ott-Rundumschlag vor Spionage-Anklage

Ein Symptom dieser Entwicklung sei auch die Klage von Egisto Ott gegen die Kabarettistin Marina Lackovic, sie nennt sich Malarina. Und sie hat Ott in einem Posting einen ehemaligen russischen Agenten genannt. Ott - für den die Unschuldsvermutung gilt und gegen den es seit wenigen Tagen die lange erwartete Anklage unter anderem eben wegen Spionage für Russland gibt - hat Lackovic und andere geklagt. Die Kabarettistin will sich wehren. "Ich möchte auf alle Fälle mich da jetzt nicht einschüchtern lassen und finde generell die Stimmung momentan etwas - verändert würde ich einfach sagen." Bei aller Wehrhaftigkeit klingt eine gewisse Vorsicht durch.

Auch "profil"-Chefredakteurin Anna Thalhammer, die schon früh in der Causa Ott recherchiert und berichtet hat, bekam es mit dem Gericht zu tun. Sie hatte ein kritisches Posting zu Ott geteilt und musste das löschen, weil Ott sich nach dem "Hass im Netz"-Gesetz in seiner Menschenwürde verletzt sah, das Gericht gab dem statt.

Fehlt Mediengerichten die Medienkompetenz?

Florian Klenk, "Falter"-Chefredakteur, legt seine Kritik breiter an. "Ich habe den Eindruck, dass den Mediengerichten ein bisschen die Medienkompetenz fehlt. Sie tun sich schwer zu unterscheiden Was ist Satire, was ist eine knallharte Recherche? Was ist Hassrede, Was ist Spott eines Hofnarren? Und wenn man in diesen medienrechtlichen Verfahren sitzt, hat man oft den Eindruck, dass den Richtern das Big Picture fehlt. Wer sitzt denn da gerade vor Gericht? Sitzt der Politiker vor Gericht? Sitzt da ein Kabarettist vor Gericht, sitzt ein Rentner vor Gericht - und es wird alles über einen Kamm geschoren."

Klenk ist heuer verurteilt worden, weil er einen Impfgegner und Aktivisten aus dem rechtsextremen Milieu in einem Posting als "Rechtsextremisten" bezeichnet hat. Nicht weil das eine falsche Zuschreibung wäre, sondern weil Klenk mit dem Posting nicht auch gleich den Wahrheitsbeweis geliefert hat. Der Allgemeinheit sei der Hintergrund von Martin Rutter, um den es da geht, nicht bekannt, befand der Richter.

"Ich hätte die Bewertung 'Rutter ist ein Rechtsextremist' begründen müssen", so Klenk. Das sei absurd. "Weil wenn etwas in der Zeitung steht, wenn etwas auf der Plattform des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands steht, als Richter zu sagen, das ist nicht allgemein bekannt, dann meint er damit in Wahrheit, er selbst hat's nicht gewusst. Und das ist ein Problem, wenn man den Wahrheitsbeweis erbringt, aber der Richter einfach sagt, das ist nicht allgemein bekannt."

Das DÖW und der schmale Grat der Deutung

Stichwort Dokumentationsarchiv - kurz DÖW. Das steht im Dauerclinch mit der FPÖ, weil es unter anderem auch den Rechtsextremismus-Bericht herausgegeben hat, im Auftrag der Regierung. Und die FPÖ kommt darin nie gut weg. "Pseudowissenschaftlich" haben die Freiheitlichen das DÖW deshalb genannt - und ein Gericht hat das als zulässige Wertung durchgehen lassen. Das DÖW sei quasi auch ein Player auf dem Feld der Politik, da müsse man solche Zuspitzungen aushalten. Meinungsfreiheit.

Vor wenigen Tagen wiederum ist der oberösterreichische FPÖ-Landesparteisekretär Michael Gruber vom Handelsgericht in Wien verurteilt worden: Er hatte behauptet, das DÖW habe mit wissenschaftlicher Arbeit nichts zu tun. Das Dokumentationsarchiv hat wegen Kreditschädigung geklagt, und der FPÖ-Mann musste widerrufen. Gruber hat das an einem Freitag um 22.59 Uhr in einer Aussendung getan. Ein beliebter Versuch, gerichtliche Niederlagen zu verstecken.

Wertung versus Tatsachenbehauptung als Kern

Die beiden Beispiele zeigen, wie schmal der Grat zwischen Wertung und Tatsachenbehauptung sein kann. Der langjährige Richter Reinhard Hinger wagt eine kleine Spekulation, wie er ausdrücklich betont. "Die abstrakte Frage, ob die Wörter 'pseudowissenschaftlich' und 'nicht wissenschaftlich' identisch sind und oder nicht identisch sind und deswegen gleich oder verschieden zu beurteilen sind, ist sehr diffizil. Ganz ausgeschlossen ist nicht, dass man zum Ergebnis kommt, 'pseudowissenschaftlich' sei doch nur ein bisschen näher bei der Wissenschaft als die klare Aussage, dass sie 'nicht wissenschaftlich' sei."

Ratschläge an seine aktiven Kolleginnen und Kollegen verbietet sich Hinger, denn er weiß aus seiner Richterzeit: "Diese Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung ist sozusagen des Kern in dieser ganzen Geschichte. Das ist ein schmaler Grat, immer gewesen." Es heißt nicht von ungefähr: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Nur: den Bedeutungsinhalt, den legen irdische Richterinnen und Richter fest, und da können sich eben rätselhafte Tätigkeiten häufen.

Kritik an Behörden könnte verunmöglicht werden

Dass Österreich ein Land der beschränkten Meinungsfreiheit sei, wie das Daniel Kehlmann nach dem Scheuba-Urteil kommentiert hat, will Maria Windhager so nicht unterschreiben, aber eine grundlegende Problematik sieht sie schon: "Wie werden wir in Zukunft Missstände in der Behörde aufzeigen - dass eben zu wenig passiert oder dass es zu langsam ist oder dass da nichts weitergeht? Wie können wir überhaupt noch formulieren, wenn wir damit rechnen müssen, dass das dann so interpretiert wird, dass das eine üble Nachrede ist?" Behördenkritik, so Windhager, könnte durch so eine Spruchpraxis verunmöglicht werden.

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