
Gisela Getty
Fotografie
Gisela Gettys Abschied von der Zwillingsschwester
Sie galten als Ikonen der 1968er-Bewegung, verkehrten in der Münchner Bohème, begeisterten in Rom Federico Fellini und waren mit Leonard Cohen, Bob Dylan und Dennis Hopper befreundet. 1949 erblickte das Zwillingspaar Gisela Getty und Jutta Winkelmann, geborene Schmidt, im beschaulichen Kassel das Licht der Welt. Von dort aus zog es das Paar in die weite Welt. Doch nicht nur als Protagonistin des Jetset der 1960er und 1970er Jahre machte Gisela Getty auf sich aufmerksam, auch als Filmemacherin und Fotografin trat die heute 76jährige bereits früh ins Rampenlicht. 1969 wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester als Teil des Kasseler Filmkollektivs bei den Kurzfilmtagen Oberhausen ausgezeichnet. Nun präsentierte Gisela Getty im Rahmen der Berlin Art Week das Fotoprojekt "Ashes to Rishikesh", das unter die Haut geht.
27. September 2025, 12:06
Ihre Wangen sind eingefallen, ihr Gesicht ist aschfahl, die Augen sind geschlossen. Wer in das Gesicht einer Sterbenden blickt, so die Fotografin und Filmemacherin Gisela Getty, beobachte einen Prozess der Transformation. Über Monate hat Gisela Getty das Sterben ihrer Zwillingsschwester Jutta Winkelmann mit deren Einverständnis fotografisch begleitet. 2017 erlag Winkelmann ihrem Krebsleiden. Im Rahmen der diesjährigen Berlin Art Week waren die Bilder erstmals öffentlich zu sehen. "Meine Schwester hat bis kurz vor ihrem Tod an einem Buch gearbeitet, in dem sie sich mit ihrer Erkrankung auseinandersetzt", erinnert sich Gisela Getty. "Nachdem sie die Angst überwunden hatte, meinte sie, dass dieses Buch zu sehr von Verzweiflung durchdrungen sei. Sie wollte etwas Schönes machen, das den Leuten Mut macht. Da sie selbst keine Kraft mehr hatte, hat sie mich gebeten, ihren Wunsch umzusetzen. So ist die Arbeit 'Ashes to Rishikesh' entstanden."
Tor zur Transformation
Viele Jahre kämpfte Jutta Winkelmann gegen den Krebs, zuerst wurde bei ihre Brustkrebst, dann Knochenkrebs diagnostiziert. Winkelmann entschied sich gegen eine Chemotherapie und in den letzten Monaten ihres Lebens gegen Morphium. Die Schmerzen, die sie empfunden haben muss, sind schwer vorzustellen. Auf den Bildern, die Gisela Getty über Monate geschossen hat, wird das Verschwinden des Körpers dokumentiert. Am Ende ihres Lebens wiegt Jutta Winkelmann weniger als 30 Kilo, ihr ausgemergelter Körper löst beim Betrachten Beklemmungsgefühle aus.
Zuweilen erinnern Gisela Gettys Schockbilder an die dokumentarischen Fotografien der US-amerikanischen Starfotografin Nan Goldin, die am Höhepunkt der Aids-Pandemie erkrankte Freunde mit der Kamera begleitet hat. Goldin wie auch Gisela Getty mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, den Tod als Spektakel auszuschlachten, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ein Einwand, den Gisela Getty nicht gelten lässt. "Natürlich sind manche der Bilder schockierend, oder vielleicht sogar eine Zumutung, aber wir leben eben in einer Gesellschaft, in der das Sterben verdrängt wird. Die Menschen sterben in Krankenhäusern, weggesperrt und hygienisiert - vor allem haben die westlichen Gesellschaften keinen geistigen Zugang mehr zum Sterben."
Der Tod als Tabu
In Deutschland betrug im Jahr 2024 das Durchschnittsalter 44.9 Jahre, in Österreich 43,6 Jahre. Dennoch, so Gisela Getty, werde der Tod, der Fluchtpunkt jedes Lebens, in einer überalterten Gesellschaft zunehmend tabuisiert. Ein Paradox, dem Getty mit ihrem Fotoprojekt "Ashes to Rishikesh" etwas entgegensetzen will. Im titelgebenden indischen Rishikesh wurde Jutta Winkelmanns Asche in den Ganges gestreut.

Rishikesh
Gisela Getty
Gisela Getty betont, dass sie mit ihrem Projekt Hoffnung stiften will:
Wenn man sich diesen Bildern stellt und sich zunächst erschreckt und durch diesen Schrecken durchgeht, erweitert sich das Bewusstsein und man sieht etwas anderes durchkommen.
1968 und die Abschaffung der Privatsphäre
In den 1960er Jahren wurden Gisela Getty und Jutta Winkelmann, bekannt als Getty-Twins, zu Ikonen der 68er-Bewegung. Das Leben der beiden erinnert an ein Filmskript. Gisela heiratete den Milliardärssohn John Paul Getty III, später zog das Zwillingspaar mit Rainer Langhans in einen so genannten Harem.

Die Zwillingsschwestern Gisela und Jutta 1973 in Rom
Claudio Abate
Zur Erinnerung: Langhans erlangte einst als Mitglied der Kommune 1 in Berlin große Popularität. Mit Bildern aus Deutschlands bekanntester WG machten Magazine wie "Spiegel" und "Stern" in den 1960er Jahren Auflage. Begleitet wurde diese Aufmachergeschichten von Headlines wie "Sie teilten Männer und Drogen". Sie zielten offensichtlich darauf ab, den voyeuristischen Appetit des Spießers zu stillen.
"Erst blechen, dann sprechen" soll an der Eingangstür der legendären Berliner Kommune 1 gestanden haben. Der große Universalgelehrte Alexander Kluge interpretierte dies einst als Antizipation des Reality-TV. Die Kommunarden schafften nicht nur die starren Sitten der Nachkriegsgesellschaft, sondern auch die Privatsphäre ab, konzedierte Kluge einst. In diesem Sinne scheint es folgerichtig, dass die Vertreter dieser Generation des Aufbruchs auch das eigene Sterben zum öffentlichen Ereignis machen.
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Berlin Art Week - Gisela Getty: Ashes to Rishikesh