Zeitsoldatinnen der deutschen Bundeswehr

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Punkt eins

Neue Soldaten per Losverfahren?

Deutschland streitet über die Wehrdienstreform. Gäste: Brigadier Erich Cibulka, Berater, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft; Thomas Wiegold, Journalist mit Schwerpunkt Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Die Wehrpflichtdebatte in Deutschland sorgt für Koalitionsstreit und süffisante Schlagzeilen: "Mit Wehrpflichtlotto gegen Putin?" hieß es etwa in der neuesten Ausgabe des ARD-"Presseclubs". Hintergrund der Debatte ist die Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Bundeswehr personell rasch aufzustocken.

Ein neues Wehrdienstgesetz soll der Truppe jährlich Zehntausende neue Rekruten bescheren und bereits 2026 in Kraft treten. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob sich das alleine über Freiwilligkeit erzielen lässt, wie es der Minister vorsieht. Zum Streit innerhalb der rot-schwarzen Koalition - und zu einer kurzfristig abgesagten Pressekonferenz - führten Vorschläge, wonach zusätzlich zur geplanten Musterung der Jahrgänge ab 2008 ein Losverfahren darüber entscheiden soll, welche jungen Männer tatsächlich eingezogen werden oder nicht. Ein Verfahren, das bei der Bundeswehr übrigens in den 1960er Jahren bereits zum Einsatz gekommen war.

Manche Beobachter halten das Losverfahren durch das Zufallsprinzip für gerecht, andere sehen das Prinzip der "Wehrgerechtigkeit" verletzt. Schließlich sei es ein starker Eingriff in die Grundrechte, sein Land mit der Waffe verteidigen zu müssen - und daher ungerecht, diese Pflicht per Los zuzuteilen und nicht auf alle abzuwälzen.

Jenseits juristischer und ethischer Fragen wird in Deutschland auch über ganz pragmatische Herausforderungen diskutiert: Es gibt keine so genannten Kreiswehrersatzämter mehr, also Dienststellen der Bundeswehr, in die alle jungen Männer - vor Aussetzung der Wehrpficht 2011 - bestellt wurden, um sie medizinisch auf Tauglichkeit zu prüfen. Die dafür nötigen Ärzte gibt es ebenso wenig. Schließlich scheint die Bundeswehr nicht einmal mehr über den nötigen Datenbestand zu verfügen, um zu wissen, wen sie überhaupt an welcher Adresse zur Musterung einladen könnte.

Boris Pistorius verspricht, diese logistischen Defizite bis 2027 beseitigen zu wollen. Die Zeit drängt um so mehr, als der deutsche Bundesnachrichtendienst-Präsident, Martin Jäger, kürzlich davor gewarnt hat, dass Russland NATO-Territorium bereits vor 2029 angreifen könnte: Man "stehe schon heute im Feuer", in Europa herrsche "bestenfalls noch ein eisiger Friede", so Jäger. Nicht zuletzt angesichts dieses Szenarios wird die Bundeswehr ab 2027 5.000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren, um die NATO-Ostflanke zu stärken.

Auch in Österreich soll eine Wehrdienstkommission bis Ende des Jahres Vorschläge machen, wie das Land auf die veränderte Bedrohungslage reagieren soll: etwa mit der Verlängerung des Wehrdienstes von derzeit sechs auf acht Monate und der Wiederaufnahme regelmäßiger militärischen Trainings für Milizsoldaten.

Wehrdienstreform hin oder her - wie steht es aber mit dem mindset der Deutschen angesichts der immer wieder kehrenden hybriden Bedrohungen durch Russland? Laut einer Studie des Berliner Forschungsinstitutes "Cemas" (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) lehnen rund 57 Prozent der Befragten die Aussage ab: "Ich würde mein Land militärisch verteidigen, wenn es angegriffen würde." Rund ein Fünftel zeigt sich unentschlossen. 41 % der Befragten haben Angst vor einem neuen Krieg.

Ist die Aufstockung der Bundeswehr für Sie ein Zeichen der Abschreckung an Russland, so wie es der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius versteht? Wären Sie bereit, die Freiheit in Österreich mit der Waffe in der Hand zu verteidigen? Welche Bedeutung hat die Neutralität Österreichs angesichts der dauernden Drohgebärden Russlands? Oder fühlen Sie sich durch das Russland Putins gar nicht bedroht?

Alexander Musik diskutiert mit Brigadier Erich Cibulka, Berater des Generalstabschefs des Bundesheeres, sowie mit dem Journalisten und Blogger (https://augengeradeaus.net) Thomas Wiegold über die deutsche Wehrpflichtdebatte, ihre Wirkung auf Österreich und die Wehrpflicht-Regelungen in anderen Ländern Europas. Wie immer sind Sie eingeladen mitzudiskutieren: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at.

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