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Kontrolle der Medien, Desinformation, Propaganda
Der Horrorclown und der TikTok-Deal
Der US-Präsident, der in seiner Rede vor der UNO mit Falschinformationen um sich wirft und nebenbei die Propaganda-Plattform TikTok in den USA unter seine Kontrolle bringt. Der Aggressor Russland, für den konzertierte Desinformation längst Teil der Kriegführung geworden ist. Verschwörungskanäle allerorten. Die Medienrevolution hat viele Gesichter, und sie ist voll im Gang. Wir müssen damit umgehen, aber wie?
2. Oktober 2025, 17:17

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Mit einer weiteren Unterschrift von Donald Trump mit seinem dicken Filzstift auf einer Executive Order ist die mächtige Propaganda-Maschine TikTok in den USA von den Chinesen in die Hände der Amerikaner gewandert. Trump-Freund Larry Ellison, er ist mit Datenbanken seiner Firma Oracle zum zweitreichsten Menschen der Welt geworden, gehört zu den TikTok-Investoren, alle sind vom Weißen Haus handverlesen. Trump bekommt sogar einen direkten Vertreter im Vorstand von TikTok, also volle Kontrolle über die Plattform und damit über die Jungen.
Der ermordete Influencer Charlie Kirk habe ihm geraten, mit seiner Wahlkampagne auf TikTok zu gehen, so Trump, und das sei goldrichtig gewesen. Er hatte bei den jungen Wählern starke Zugewinne.
"Mediale Gleichschaltung" bis "Putsch"
Vor dem Hintergrund der Unterwerfung der TV-Networks und der Milliardenklagen gegen noch kritische Medien wie die "New York Times" hat der Digital-Experte Sascha Lobo in einem Kommentar im "Spiegel" von "medialer Gleichschaltung" geschrieben. Der Konnex zur Propagandamaschinerie der Nazis ist ihm bewusst, trotzdem kommt Lobo zu diesem heftigen Befund. Auch der Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen findet ausgesprochen harte Worte für das, was unter Trump abläuft.
"Das ist ja ein nun vorbereiteter Putsch von oben, der im Moment in den USA geschieht. Ein Großangriff auf unabhängige Medien, ein neuer schamloser Pakt zwischen Big Tech und politischer Macht. Dadurch entstehen Beeinflussungsmöglichkeiten, die so mediengeschichtlich in dieser Dimension noch nie da waren", so Pörksen.
Die Verwischung von Lüge und Wahrheit
Es ist eine Revolution, die viele Gesichter hat, aber ein zentrales Ziel: die Verwischung der Grenzen zwischen Fakten und Behauptungen. Der Wissenschaftsvermittler und Physiker Florian Aigner von der Technischen Universität Wien: "Es ist nicht so wie bei Nixon zum Beispiel, bei der Watergate Affäre, wo man gezielt versucht hat, etwas zu verschleiern, etwas zu vertuschen. Man versucht jetzt eigentlich nicht die Wahrheit durch Lüge zu ersetzen, sondern man versucht, einfach den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge zu verwischen. Das sind zwei verschiedene Sachen."
Und das geht an die Substanz der Gesellschaft, sagt die Internet-Expertin Ingrid Brodnig. "Wenn wir uns nicht einmal mehr auf grundsätzliches Wissen einigen können, dann sind wir keine Gesellschaft, sondern dann sind wir eigentlich so lose Fragmente von Menschen, die keine Lösung miteinander mehr finden werden. Und es gibt manche Politiker Politikerinnen, die in ihrer Rhetorik gezielt versuchen, diese gemeinsame Realität aufzulösen."
Schule soll für Medienbildung Platz machen
Es werde versucht, "jede Verlässlichkeit niederzureißen, weil Leute, die nicht wissen, was jetzt eigentlich Sache ist, denen kann man alles einreden. Das ist politisch natürlich praktisch", so ordnet es Florian Aigner ein. Medienpolitik und Schule müssten längst viel intensiver auf diese Entwicklung reagieren. Es gibt Ansätze, es gibt engagierte Lehrerinnen und Lehrer, es gibt Medienkompetenz-Initiativen. Aber zu wenig.
Ingrid Brodnig stellt eine entscheidende Frage: "Wenn Kinder so und so viele Stunden in der Woche in die Schule gehen, was müssen wir weglassen, dass so etwas wie Medienkompetenz noch Platz hat? " Die Welt werde immer mehr über Social Media vermittelt, die Jungen brauchten Werkzeug und Wissen, um einordnen zu können, was da auf sie einprasselt. Eine neue Kulturtechnik sozusagen.
Falschmeldungen nicht gewinnen lassen
Der Journalismus könne dabei helfen, etwa indem fragwürdige Botschaften möglichst schon im Titel eingeordnet werden, denn viele Menschen würden nur die Überschriften lesen, sagt Brodnig. Und es sei wichtig dranzubleiben: "Eine Behauptung, die öfters wiederholt wird, die sickert eher ein, die halten Leute eher für wahr. Menschen bekommen über das Internet Falschmeldungen jede Woche, vielleicht jeden Tag mit. " Da könne man als Redaktion nicht sagen, wir haben vor drei Wochen einen Schwerpunkt dazu gehabt. "Weil erstens haben das nicht alle mitbekommen und die, die es mitbekommen haben, haben es schon wieder vergessen. Das heißt, wenn die Falschmeldung dauernd wiederholt wird, muss Journalismus leider auch dauernd den Faktencheck oder die Einordnung bringen. "
Journalismus muss Rhetorik-Macht verstehen
Ein Punkt ist aus der Sicht von Ingrid Brodnig entscheidend: "Die wichtigste Aufgabe des Journalismus heutzutage ist, die Macht von Rhetorik und manchen rhetorischen Instrumenten zu verstehen." Denn Falschmeldungen seien auch deswegen so erfolgreich, weil sie zum Beispiel Wut auslösen über die andere Seite und weil sie dann dazu führen, dass Leute das eher weiterverbreiten.
Die Macht der Rhetorik, die führt zurück zum ermordeten Charlie Kirk. Er ist nicht nur in den Trauerfeierlichkeiten mit der Staatsspitze und seinen Anhängern, sondern auch in der medialen Berichterstattung als Versöhner rübergekommen, der er mitnichten war. Kirk hat mit Studenten diskutiert, um sie fertigzumachen und das dann im Netz mit Millionen Followern zu teilen. Ingrid Brodnig bewertet das so: "Der wollte den Krawall. Der wollte den Streit, um Leute auf seine heftige Sichtweise zu bringen. " Man müsse sich anschauen, was Kirk gesagt hat, wenn er geredet hat.
Florian Aigner sieht das genau gleich. "Das waren inszenierte Konfrontationen, die in keiner Weise dazu gedacht waren, einander näher zu kommen oder die Meinung des anderen wirklich anzuhören."
Aus für Kimmel-Show "nur Spitze des Eisbergs"
Jimmy Kimmel hat es in seiner Late Night Show gewagt, den Kult um Charlie Kirk zu kritisieren - und er hat es mit Trump und der Behörde zu tun bekommen, die TV-Lizenzen vergibt. Disney als Arbeitgeber hat die Show abgesetzt, das Publikum hat mit Abo-Kündigungen die Rückkehr erzwungen. Diese symbolhafte Episode hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Rede zum Verfassungstag am 1. Oktober angesprochen. Als Warnung vor Willkür, die sich über das Recht erhebt. Der Fall sei nur "die kleine Spitze eines gewaltigen Eisbergs, mit dem die amerikanische Demokratie zu kollidieren droht", so Van der Bellen.

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Late Night Shows politisieren die Jungen
Late Night Hosts wie Jimmy Kimmel und Stephen Colbert habe Trump nicht zufällig im Visier, sagt der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen. "Das ist nun einmal ein Mechanismus todernster Sektenführer. Dass sie die Clowns, die Comedians, das Lachen selbst, auch das hämische Lachen über Trump als Person abschaffen wollen."

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Der Digital-Experte Sascha Lobo weist im SPIEGEL darauf hin, dass es auch hier wie beim TikTok-Deal ums junge Publikum - sprich: nachkommende Wähler und Wählerinnen geht. Amerikanische Comedians und Late Night Talker hätten große Bedeutung für die Politisierung und politische Information der jüngeren Generationen. Clips auf Instagram und TikTok aus diesen Shows gehen regelmäßig viral, das verstärkt diesen Effekt massiv.
Donald Trump und seine Nähe zur Comedy
Den Trump-Leuten ist das bewusst. Und Donald Trump selber sowieso. Sascha Lobo nennt ihn einen dunklen Comedy-Politiker, Peter Klien, dessen Late Night Show "Gute Nacht Österreich" bereits das sechste Jahr im ORF läuft, nimmt diesen Ball auf: "Ja, der dunkle Comedian, könnte man auch sagen, der Horrorclown. Ich glaube, dass er tatsächlich eine gewisse Nähe zur Comedy hat. Das kennt man aus alten Aufnahmen, wo er zu Gast gewesen ist bei Late Night Shows und eigentlich sehr gut abgeschnitten hat. Umgekehrt verträgt er halt gar nicht, dass man ihm so ins Gesicht sagt, wenn man ihn nicht mag."
In der kurzzeitigen Absetzung der Kimmel-Show auf Druck vom Weißen Haus sieht Klien - der spannenderweis e als Satiriker für die "Romy" in der Kategorie TV-Journalismus nominiert ist - einen Super-GAU. Es zeige aber auch, wie man Trump und seine erratische Art von Politik entlarven könne: "Das ist ein Ass, dass man ausspielen kann und das tut dann doppelt weh. Das tut auch einem Trump doppelt weh. Wenn ein Satiriker, der gut ist, der wirklich ins Herz trifft mit seinen Bemerkungen und die Wahrheit herausarbeitet." Journalistisch werde deshalb auch der Kommentar, also die klare Einordnung, immer wichtiger. Von glaubwürdigen Journalisten vertreten, könne der dieselbe Wirkung entfalten.
Erinnerung an die Machtübernahme von Putin
Peter Klien fühlt sich übrigens so wie andere Beobachterinnen durch die Absetzung der Kimmel-Show an das Aus für das russische Satire-Format "Kukly" erinnert. Das heißt übersetzt "Puppen", in der Sendung wurden führende Politiker persifliert. 2002 - also nur zwei Jahre nach der Machtübernahme durch Wladimir Putin war es dann vorbei mit dem Puppenspiel. "Kaum war der Putin an der Macht, ist es ihm schon darum gegangen, kritische Berichterstattung abzudrehen. Das ist für die Leute auch ganz interessant zu sehen, die immer sagen: Na, der hat sich erst gewandelt, der ist erst im Laufe der Jahre auf die böse Seite gekommen. Der war früher so weltoffen und wollte, dass Europa und Russland zusammenwachsen. Ich bin eher von der gegenteiligen Fraktion und glaube, dass er das nie gewollt hat, sondern immer ein in der DDR stationierter KGB-Spion geblieben ist."
Plattform klärt über russische Desinformation auf
Medienkontrolle und Desinformation, darin sind die Russen schon lange Meister. In Österreich mit seinen eher lauen Spionagegesetzen haben sie leichtes Spiel, von der Politik kommen nur Lippenbekenntnisse, kritisiert der Business-Coach Johannes Thun-Hohenstein. Er hat jetzt die Plattform INVED gegründet. Das "Institut zur Verteidigung der europäischen Demokratien".
Die Unterwanderung des Staates durch russische Propaganda und Desinformation - beginnend mit Teilen der Friedensbewegung bis hin zum Krieg gegen die Ukraine heute - müsse bewusster gemacht werden, sagt Thun-Hohenstein. "Vor etwa zwölf Jahren haben diverse Überläufer ehemalige Mitarbeiter von Trollfabriken in Russland im Westen erzählt, wie viel dort passiert und was dort alles läuft und wie stark wir diesen Trollfabriken und Botfarmen ausgeliefert sind. Das wissen wir seitdem. Und was haben wir gemacht? Nichts."
Das, obwohl die offenen und verdeckten Aktivitäten vielfältig und die russischen Helfer zahlreich seien, so Dietmar Pichler, Experte für Desinformation und Chefanalyst der Plattform. "Die russischen Strategen versuchen überall reinzukommen. Sie versuchen, ihre O-Töne ein bisschen in die traditionellen Medien zu bekommen. Sie versuchen, in die Buchhandlungen zu kommen und haben das teilweise auch geschafft. Es gibt sehr, sehr viele Fürsprecher im Westen. Ob man die jetzt Einflussagenten nennt oder einfach nützliche Idioten, ist einerlei." Wichtig sei, dass die Dimension der russischen Einflussnahme endlich bewusst gemacht werde, sagt der Experte Pichler.