Margarete Mitscherlich

DPA/HERMANN WÖSTMANN

Im Gespräch | 04 11 2010

Margarete Mitscherlich

"Ich halte es für eine Zumutung, dass Menschen nicht nur alt werden, sondern auch noch sterben müssen". Michael Kerbler im Gespräch mit Margarete Mitscherlich, Psychoanalytikerin

Margarete Mitscherlich, die Grande Dame der deutschen Psychoanalyse, wendete sich mit großer Entschiedenheit nochmals den zentralen Fragen ihres Lebens zu: dem Vergessen und Verdrängen und der Unfähigkeit der Deutschen, zu trauern; der Emanzipation im weitesten Sinne, also der Befreiung von Denkeinschränkungen, Vorurteilen, Ideologien, aber auch im engeren Sinne der Emanzipation der Frau und ihrer Stellung in der Gesellschaft; den Geschlechterrollen, männlichen und weiblichen Werten.

Zugleich reflektierte Margarete Mitscherlich das Älter- und Altwerden und beschreibte mit großer Offenheit, wie es ihre Sicht auf die Dinge prägte. In einem sehr persönlichen Stück beschrieb sie schließlich mit dem geschulten Blick der Psychoanalytikerin ihr Leben und Lebenswerk. Das Buch trägt den Titel "Die Radikalität des Alters". Es kann als bewegendes Zeugnis lebendiger Zeitgeschichte gelesen werden. "Bin ich eine starrsinnige alte Frau? Bin ich furchtlos? Gewiss nicht, auch wenn mich vieles, was mir früher Angst machte, kalt lässt. Es ist alles nicht mehr so wichtig, ich selber schon gar nicht. Obwohl: Stimmt das?", notierte Margarete Mitscherlich darin. Die Psychoanalytikerin wich auch den unangenehmen Fragen nicht aus: den Fragen nach dem - richtigen - Glauben, nach der Endlichkeit des Menschen und seiner Gebrechlichkeit im Alter. Aber sie drängte auch darauf, die positiven Seiten des Alters zu sehen: z. B. die Lust am Denken.

Margarete Mitscherlich-Nielsen, geboren am 17. Juli 1917 in Dänemark und verstorben am 12 Juni 2012 in Frankfurt am Main, war Psychoanalytikerin, Medizinerin und Autorin zahlreicher Bücher. Im Jahr 1947 traf sie in der Schweiz Alexander Mitscherlich, den sie 1955 heiratete. Mit ihm gemeinsam bemühte sie sich nach dem Krieg um die Wiederbelebung der Psychoanalyse in Deutschland. 1960 war sie Mitbegründerin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, wo sie fortan vorrangig arbeitete, und fungierte viele Jahre als Herausgeberin der Zeitschrift "Psyche". Gemeinsam mit ihrem Mann veröffentlichte Margarete Mitscherlich 1967 das bahnbrechende Buch "Die Unfähigkeit zu trauern". Michael Kerbler hat Margarete Mitscherlich in Frankfurt am Main besucht.

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