Brigitte Schwaiger

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Im Gespräch | 05 08 2010

Brigitte Schwaiger

"Was wahr ist, streut nicht Sand in die Augen ..."
Aus Anlass des Ablebens der Schriftstellerin wiederholt Ö1 ein Gespräch, das Michael Kerbler Ende Juni 2007 mit Brigitte Schwaiger geführt hat

Ingeborg Bachmanns Prosa und Lyrik war der Schriftstellerin Brigitte Schwaiger, die Ende Juli 2010 leblos in der Neuen Donau in Wien treibend entdeckt worden ist, Stütze und Trost.

"Was wahr ist, streut nicht Sand in die Augen ... / was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab", so lautet das Post Scriptum, das Brigitte Schwaiger an den Schluss ihres letzten Werks, "Fallen lassen", setzte - die Anfangszeile von Ingeborg Bachmanns Gedicht "Was wahr ist".

Und die letzten Zeilen ihres Buches, das von ihren Erfahrungen in und mit der Psychiatrie handelt, lauten: "Das Sonnenlicht verscheucht die Stimme, ich gehe hinüber auf den anderen Gehsteig (...) soll ich in eine Depression kippen oder durchhalten und mir sagen: Ich bin fröhlich."

Es geht in "Fallen lassen" vor allem um Brigitte Schwaiger. Dennoch kann diesem Buch die Allgemeingültigkeit nicht abgesprochen werden. Darauf verweist schon der Klappentext unmissverständlich: "Es geht in diesen Texten nicht nur um ihre eigene Befindlichkeit, ihre (Schwaigers) Depressionen und Süchte, ihren persönlichen Zustand also, sondern auch um den Zustand der österreichischen Psychiatrie".

Das, was das tagebuchähnlich strukturierte Buch so lesenswert macht - so man sich darauf einlässt - ist die beklemmende Perspektive, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt, die nur allzu schnell jedem widerfahren kann.

Brigitte Schwaiger, die im Jahr 1977 mit ihrem Roman "Wie kommt das Salz ins Meer" einen großartigen Erfolg bei Publikum und Literaturkritik erzielte, schildert in "Fallen lassen" ihre Zeit als Patientin im psychiatrischen Krankenhaus auf der Baumgartner Höhe in Wien-Steinhof. Ein Schlüsselsatz: "Vom Sozialhilfeempfänger zum deklariert psychisch Kranken ist es oft ein direkter Weg. Sozialhilfe braucht ein Mensch, weil er oft seelisch nicht mehr in der Lage war, gewisse Arbeiten zu tun."

Brigitte Schwaiger hat mit "Fallen lassen" ein "schonungslos offenes Resümee einer seit dreißig Jahren andauernden psychischen Erkrankung mit allen ihren Symptomen wie Depressionen, Wahrnehmungsstörungen und zahlreichen Selbstmordversuchen verfasst", schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin "Spiegel" damals.

Michael Kerbler: "Brigitte Schwaiger und ich hatten im Frühsommer 2007 vereinbart, dass wir einander zu einem sehr persönlichen Gespräch treffen wollen, in dessen Mittelpunkt Möglichkeiten der Bewältigung der Lebensangst und die Suche nach Zukunftsperspektiven stehen. Nicht nur für Brigitte Schwaiger, sondern für jeden Menschen, der sich angesprochen fühlt. Dieses Gespräch hat für mich auch nach Brigitte Schwaigers Fortgehen nichts an Gültigkeit verloren - ganz im Gegenteil."

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