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Im Gespräch | 26 02 2004
Jiri Grusa
Michael Kerbler spricht mit dem Schriftsteller und Diplomaten Jiri Grusa
27. Oktober 2025, 12:24
Jiri Grusa, der ehemalige Präsident des internationalen PEN-Clubs, hatte, wie er selbste sagt, drei Diktaturen erlebt. Die der Nazis, danach die der tschechischen Kommunisten bis 1968, und dann jene unter Sowjetherrschaft nach Niederschlagung des so genannten "Prager Frühlings". Grusa bewegte sich in drei Lebenswelten, was sich unter anderem darin ausdrückte, dass er Mitglied des tschechischen, des deutschen und des österreichischen PEN-Clubs war; dass er tschechischer Botschafter in Deutschland war (von 1990 bis 97); und dass er seit 1998 tschechischer Missionschef in Österreich war. Jiri Grusa, stammte aus einer böhmischen Beamtenfamilie in Pardubice. Er studierte an der Prager Karls-Universität Philosophie und Geschichte. Ein Jahr nach der Promotion zum Dr.phil. gründete er 1963 die Zeitschrift Tvár ("Das Gesicht"), die erste nicht kommunistische Literaturzeitschrift, bei der auch sein Freund Václav Havel mitarbeitete. Eine Abrechnung mit der stalinistischen Ära bedeutete das Ende von Tvár. Der Prager Frühling brachte zwar neue Hoffnung, doch folgten nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes Berufs- und Publikationsverbote und Verhaftung. 1981 wurde Grusa während eines Auslandsaufhaltes gegen seinen Willen ausgebürgert, zwei Jahre später erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie nur ganz wenige Literaten - etwa sein Landsmann Milan Kundera - wechselte Grusa die Arbeitssprache. Die Gedichtbände "Der Babylonwald" (1991) und "Wandersteine" entstanden auf Deutsch. Jiri Grusa sagte dazu: "Das war vielleicht die wichtigste Erfahrung meines Lebens. Meine Befreiung kam durch das Schreiben außerhalb der eigenen Sprache. Ich bin ein Beweis dafür, dass die Herkunft nicht die Zukunft bestimmt." Als PEN-Präsident woltle er besondere Akzente setzen. Er wollte sich nicht nur für die Freiheit des Wortes einsetzen, sondern auch für die "Freiheit von Hass", betonte Jiri Grusa nach seiner Wahl. In einer Welt, in der die Schwarz-Weiß-Rhetorik zunehme, müssten Schriftsteller eine vermittelnde Ausdruckswiese pflegen, sagte der tschechische Botschafter in Österreich. Er werde sich außerdem dafür einsetzen, dass auch kleine Sprachen die Chance bekämen, sich auf internationaler Bühne zu äußern. Michael Kerbler sprach mit Botschafter Jiri Grusa über wichtige Stationen seines Diplomatenlebens, über sein Aufgabengebiet im PEN-Club, über den Stellenwert der Literatur und der Schriftsteller, und das kulturelle Erbe Europas.
Jiri Grusa verstarb 2011 in Bad Oeynhausen.
