ILLIR TSOUKO
Radiokolleg Spezial
Border Business
Eine Recherchereise zu Europas neuer Migrationspolitik
14. November 2025, 00:03
Trailer zur vierteiligen Serie "Border Business"
Überfüllte Boote an griechischen Stränden, Stacheldraht an der serbisch-ungarischen Grenze – diese Bilder bestimmten 2015 die Nachrichten. Noch immer wagen Menschen die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer. Allein 2024 gab es dort laut IOM (International Organisation of Migration) mindestens 2.452 Todesfälle. Doch die Bilder sind verschwunden, und das, obwohl Europas Grenzen dichter überwacht werden als je zuvor.
Das Geschäft mit der Grenze
Kameras mit Gesichtserkennung, die in Flüchtlingslagern jeden Schritt registrieren. Algorithmen, die über Asylanträge entscheiden. Drohnen, die Europas Grenzen in Echtzeit überwachen. Die EU verstärkt den Grenzschutz - mit Hochsicherheitslagern und immer neuen Kontrollsystemen. Dahinter steckt nicht nur Politik, sondern auch ein wachsendes Business. Die Serie "Border Business - Das Geschäft mit Europas Grenzen" erzählt, wer investiert, wer profitiert - und wer verliert.
Entwicklungen der vergangenen Jahre hörbar machen
Wir reisen dorthin, wo Europas neuer Migrationskurs entsteht: zu den meterhohen Zäunen in Ungarn, vor das italienische Rückführungszentrum in Albanien, in das Hochsicherheitslager auf der griechischen Insel Samos, auf eine internationale Rüstungsmesse in Athen - und schließlich nach Wien zu hochrangigen Politikern und Ideengebern der Migrationswende. Wir sprechen mit Anwohnern, Politikern, Unternehmern, Betroffenen und Experten. So entsteht ein vielstimmiges Hörstück, das zeigt, wie Europa seine Grenzen neu definiert.
Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos
ILLIR TSOUKO
EU-Grenze als Hochsicherheitszone
Zehn Jahre nach der großen Fluchtbewegung aus Syrien hat sich Europas Grenzlandschaft radikal gewandelt. Wo einst nur Wälder standen, erstrecken sich heute Hochsicherheitszonen mit kilometerlangen Zäunen, überwacht von Drohnen und KI-gesteuerten Kameras. Über 2.000 Kilometer Zaun trennen die EU inzwischen von ihren Nachbarländern, 2015 waren es laut EU-Parlament 315 Kilometer. Auch Flüchtlingslager verwandeln sich in streng kontrollierte Zonen: Zugang erfolgt nur noch mit Chipkarten und biometrischen Daten, das Verhalten der Bewohner wird von intelligenten Systemen erfasst.
Drohnen, Roboter, halbautomatische Luftschiffe
Zwischen 2014 und 2022 hat die Europäische Union mehrere hundert Millionen Euro für Projekte zur Entwicklung von Grenztechnologien bereitgestellt. Finanziert wurden autonome Drohnenschwärme und KI-Systeme, die Daten aus Satelliten, Kameras und Sensoren auswerten sollen - um "potenzielle Bedrohungen" zu erkennen und "illegale Aktivitäten" aufzuspüren. Auch Forschungsprojekte zu Robotern für Grenzpatrouillen, automatisierte Lügendetektoren oder gar Flugobjekte in der Stratosphäre erhielten Mittel - allein in den "Stratobus", einem halbautonomen Luftschiff für Grenzüberflüge, flossen sieben Millionen Euro.
Hinter dieser Aufrüstung steckt ein lukratives Geschäft.
Das immer wieder neu definierte Migrationsmanagement ist längst nicht mehr nur ein politisches Thema - es ist auch ein Markt. Für den Zeitraum 2028-2034 will die Europäische Kommission die Ausgaben für das Grenzmanagement auf 48 Milliarden Euro verdoppeln.
Dennoch sind fliehende Menschen an den Grenzen weiterhin Gewalt ausgesetzt. Investigative Recherchen dokumentieren sogenannte Pushbacks, bei denen Asylsuchende ohne Verfahren in Nachbarländer zurückgedrängt werden, sowie anhaltende Misshandlungen in Lagern, die eigentlich eine neue Sicherheit versprechen. Zugleich wird die Berichterstattung zunehmend behindert: Presseanfragen bleiben in vielen Ländern unbeantwortet, Recherchen in griechischen Flüchtlingslagern sind nur in Ausnahmefällen möglich - und zum neuen Aufnahmezentrum in Albanien haben Journalisten seit der Eröffnung keinen Zutritt. Trotz allgegenwärtiger Kameras bleibt somit, was auf den Fluchtrouten geschieht, der Öffentlichkeit so wenig zugänglich wie selten zuvor.
In der Serie „Border Business - Das Geschäft mit Europas Grenzen“ richten wir den Blick auf ein Europa, das das Asylrecht neu definiert – und dabei ein milliardenschweres Geschäft entstehen lässt. Wem dient das neue System? Wer profitiert, wer verliert – und wer wird dabei eigentlich geschützt?
ILLIR TSOUKO
Gestaltung: Franziska Grillmeier, Anja Troelenberg. Mit Stefanie Reinsperger als Erzählerin. Weitere Stimmen: Barbara Gassner, Roman Blumenschein. Studiotechnik: Fridolin Stolz, Georg Janser. ORF Archiv: Kathrin Stedler, Jakob Steiner. Redaktion: Monika Kalcsics. Eine Ö1 Produktion in Kooperation mit ORF SOUND.
Die vierteilige Serie "Border Business - Das Geschäft mit Europas Grenzen" ist ab 24.11. 2025 im Radiokolleg-Podcast zu hören - auf ORF Sound und überall, wo es Podcasts gibt und wird von 24. bis 27. 11. 2025 im Ö1 Radiokolleg ausgestrahlt.
Die Journalistinnen Franziska Grillmeier und Anja Troelenberg, arbeiten seit Jahren zur europäischen Migrationspolitik, zu den Folgen von Vertreibung und zu politischen Entwicklungen in Südosteuropa. Franziska Grillmeier schreibt u.a. für Zeit Online, Profil oder die BBC. Ihr Buch "Die Insel. Ein Bericht über den Ausnahmezustand an den Rändern Europas" erschien 2023 im C.H.Beck Verlag. Anja Troelenberg lebt in Albanien und arbeitet u.a. für MDR und arte. Gemeinsam mit Deutschlandfunk und Ö1 entwickelte sie 2024 die fünfteilige Politthriller-Serie "Die Botschaft".
