Im Gespräch

"Wer schweigt, genießt nicht. Guter Sex braucht Aussprache". Michael Kerbler spricht mit Elia Bragagna, Sexualtherapeutin

Fehlinformationen in den Medien gaukeln Frauen wie Männern Normen über sexuelle Attraktivität vor, die eher zu Sexualstörungen als zu einer sinnlichen Sexualität führen. Eine der Folgen: Sexualstörungen bei jungen Frauen, die man früher eher bei den Frauen ab dem Wechsel erwartet hätte, nehmen dramatisch zu. Jede dritte Frau reagiert lustlos, jede fünfte beklagt Erregungsstörungen oder leidet an schmerzhaftem Geschlechtsverkehr.

Sexuell attraktiv sein zu müssen, bedeutet für die Männer, Leistung zu erbringen; der Körper hat zu funktionieren. Kein Wunder, dass zum Beispiel jeder fünfte junge Mann mit Versagensängsten, jeder siebente mit Lustlosigkeit und jeder 15. mit Erektionsstörungen reagiert. Liegt die Ursache dieser Entwicklung, wie Univ.-Prof. Franz X. Eder meint, darin, dass "die Sexualität heute zum Konsumprodukt und Opium für das Volk verkommen ist"?

"So wie es momentan anscheinend darum geht, ultimative Konsumchancen zu verwirklichen, so geht es offenbar vielen auch im Sexuellen darum, ultimative Fitness zu erreichen: Durch tantrischen Sex, durch Virtualisierung, durch Prothesen und Pillen etc. Auf all diese Arten wird uns vorgegaukelt, es gäbe stets einen noch besseren Sex, und das eine Erlebnis wäre nur die Vorstufe zum nächsten", meint Univ.-Prof. Franz X. Eder. Geht durch die Sexualisierung fast aller Lebensbereiche die Begierde verloren? Faktum scheint: "Je größer die Sexualisierung, desto schwächer die Sexualität." Aber was bleibt dann von der sexuellen Befreiung? Der Ver-Lust?

Die Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna setzt auf das Gespräch als wichtige Voraussetzung für erfüllte Sexualität. "Wichtig ist, den eigenen Körper zu kennen, stolz auf ihn zu sein und die Dinge ohne Scham auszusprechen. Würdevolle Sexualität, bei der ich mich nicht schäme, braucht Aussprachen."

Von Zeitgeist und Lebensstil geht in der westlichen Welt die größte Bedrohung für erfüllte Sexualität aus, meint Elia Bragagna. Michael Kerbler spricht mit der Therapeutin.

Service

Buch-Tipps
Franz X. Eder, "Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität", beck'sche Reihe, Verlag C.H. Beck, München (ISBN 978 3 406 57738 3)

Ariadne von Schirach, "Der Tanz um die Lust", Taschenbuch im Goldmann Verlag, München (ISBN 9783442155026)

Allan und Barbara Pease, "Warum Männer immer Sex wollen und Frauen von Liebe träumen", Ullstein, Berlin (ISBN 9783550086847)

Hellmuth Karasek, "Ihr tausendfaches Weh und Ach. Was Männer von Frauen wollen", Hoffmann und Campe, Hamburg (ISBN 978-3-455-40193-6)

Elisabeth Badinter, "XY - Die Identität des Mannes", aus dem Französischen von Inge Leipold, deutsche Ausgabe im R. Piper Verlag, München

Hans-Joachim Maaz, "Die neue Lustschule. Sexualität und Beziehungskultur", Verlag C.H. Beck oHG, München 2009 (ISBN 978 3 406 59115 0)

Meredith Haaf/Susanne Klinger/Barbara Streidl, "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht", 1. Auflage 2008, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg (ISBN 978-3-455-50075-2)

Sendereihe