Gedanken für den Tag

"Arbeiter-Bilder" von Johanna Schwanberg

Johanna Schwanberg ist Kunstkritikerin und Universitätsassistentin für Kunstwissenschaft und Ästhetik in Wien und Linz.

Arbeit und Erwerbslosigkeit:
Eine ältere Frau steht in blauem Sakko und karierten Hosen auf einem Betonsockel. Im Hintergrund ein runder Fabriksbau - einst eine der größten Chemiefabriken in der ehemaligen DDR. Heute ist die Fabrik in Wolfen, die mit 8000 Arbeiterinnen der Betrieb mit dem größten Frauenanteil der DDR war, zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Die meisten der ehemals beschäftigten Frauen sind arbeitslos.

Neben dem Foto hängt ein zweites. Es zeigt das gleiche Motiv. Allerdings steht auf dem Sockel keine Frau, sondern eine Bronzestatue. Dabei handelt es sich um das 1964 im Stil des sozialistischen Realismus errichtete Denkmal "Die Chemiearbeiterin". Die Frau auf dem ersten Foto stand damals als junge Arbeiterin für die Skulptur Modell. Jetzt ersetzt sie als lebende Plastik das Bronzedenkmal, das vor ein paar Jahren entfernt wurde und somit nicht nur real sondern auch symbolisch die Lücke verkörpert, die die gesellschaftlichen Umbrüche im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands mit sich brachten. Entstanden ist dieses Foto-Diptychon im Rahmen einer Recherche, die die österreichische Künstlerin Isa Rosenberger gemeinsam mit dem Frauenzentrum in Wolfen 2005 realisierte.

Isa Rosenberger ist nicht die erste Künstlerin, die Arbeitslosigkeit zum Thema eines Kunstwerks machte. Schon seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Künstlerinnen und Künstler wie Georges Grosz, Max Beckmann oder Käthe Kollwitz den existentiellen Folgen der Arbeitslosigkeit ein unverkennbares Gesicht verliehen.
Ich finde das Projekt der Otto-Mauer-Preisträgerin 2008 aber so spannend, weil Rosenberger nicht nur darstellt und anklagt. Vielmehr bezieht sie die arbeitslosen Frauen in ihr Kunstwerk mit ein. Sie kontrastiert die Opferrolle mit einem anderen Bild, indem sie die Erwerbslosen trotz ihrer schwierigen Situation als aktiv Handelnde zeigt. Gemeinsam mit der Künstlerin entwerfen sie im Laufe der mehrwöchigen Zusammenarbeit selbst ein neues Denkmal in Form von sechs Fahnen. Darauf schreiben sie Sätze mit Perspektiven wie "Versuche wagen" oder "Bunt nicht Grau".

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