Im Gespräch

"Wettstreit der Werte". Michael Kerbler spricht mit Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

Während des Wahlkampfes um das Amt des Bundespräsidenten wurden verschiedentlich Kommentare publiziert, in denen der Stellenwert dieser Position heruntergeschrieben wurde. Der Präsident der Republik: ein "Grüß-Gott-August", ein "Frühstücksdirektor". Faktum ist, dass der erste Mann im Staat als einziger Repräsentant direkt vom Volk in ein Amt gewählt werden kann. Und nicht etwa von der Bundesversammlung, also der gemeinsamen Versammlung von Parlament und Bundesrat. Dann wäre das Ergebnis wahrscheinlich so vorhersehbar wie die Kür des Bundespräsidenten in unserem Nachbarland Schweiz.

Wahlen, formulierte einmal der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, Wahlen sind im Grunde genommen kein Votum für politische Parteien mehr, sondern bestenfalls ein Votum für die Verfassung. Wenn knapp 54 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung am 25. April von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, dann hat an jenem Sonntag eine Mehrheit auch für die bestehende Verfassung votiert. Und diese stattet das Staatsoberhaupt nicht nur mit symbolischer Macht, sondern durchaus mit politischen Gestaltungsmöglichkeiten aus. Der Präsident kann eine Person seines Vertrauens mit der Regierungsbildung beauftragen, das muss nicht der Chef der stimmenstärksten Partei sein. Der Präsident kann die Unterschrift unter ein Gesetz verweigern, die Bestellung eines Ministers ablehnen.

Dr. Heinz Fischer hat sich in der Vergangenheit als "Brückenbauer" und als "ruhender Pol" empfohlen, als ein über den Parteien stehender Präsident. Diese Positionierung verschafft dem wiedergewählten Staatsoberhaupt genügend Spielraum, in den nächsten sechs Jahren zu wichtigen Fragen klar und unmissverständlich Position zu beziehen, wenn er sein Versprechen, ein mutiger Präsident sein zu wollen, erfüllen möchte.

In der nächsten knappen Stunde geht es um Themen, die möglicherweise Mut, in jedem Fall aber Beharrungsvermögen verlangen: etwa die Forderung, weitreichende Kontrollmechanismen für die Finanzwelt einzuführen, den europäischen Einigungsgedanken in Zeiten der griechischen Staatskrise zu bewahren und die Demokratie, die nicht zu einem Anhängsel des Kapitalismus verkommen darf, nachhaltig zu sichern.

Das Gespräch mit Bundespräsident Heinz Fischer wurde in der Wiener Hofburg aufgezeichnet.

Service

Richard Wilkinson und Kate Pickett, "Gleichheit ist Glück - warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind". Aus dem Englischen von Edgar Peinelt und Klaus Binder, Tolkemitt-Verlag bei Zweitausendeins, Berlin

Pierre Rosanvallon, "Demokratische Legitimität - Unparteilichkeit, Reflexivität, Nähe". Aus dem Französischen von Thomas Laugstien, Hamburger Edition

Ralph Dahrendorf, "Die Krisen der Demokratie - ein Gespräch", C. H. Beck, München

Klaus Dörre, Stephan Lessenich, Hartmut Rosa, "Soziologie - Kapitalismus - Kritik, eine Debatte", Reihe Wissenschaft des Suhrkamp Taschenbuch-Verlags, Frankfurt am Main

Felix Ekardt, "Wird die Demokratie ungerecht? - Politik in Zeiten der Globalisierung", Beck'sche Reihe des C. H. Beck-Verlags, München

Jeremy Rifkin, "Die empathische Zivilisation: Wege zu einem globalen Bewusstsein". Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, Waltraud Götting und Xenia Osthelder, Campus Verlag, Frankfurt am Main

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