Gedanken für den Tag
"Lob des Zweifels und der Hoffnung" von Martin Urban
18. Juni 2010, 06:57
Martin Urban ist Wissenschaftspublizist in München.
Der Diplomphysiker, Gründer und langjährige Leiter der Wissenschaftsredaktion in der Süddeutschen Zeitung widmet sich in seinem "Ruhestand" auf durchaus anregende Weise theologischen, philosophischen und psychologischen Themen. Seine jüngsten Bücher tragen nicht von ungefähr Titel wie "Warum der Mensch glaubt. Von der Suche nach dem Sinn", "Wer leichter glaubt, wird schwerer klug. Wie man das Zweifeln lernen und den Glauben bewahren kann" oder "Die Bibel - Eine Biographie".
Gleichnisse
"Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis .", heißt es am Ende von Goethes Faust. Der Wanderprediger Jesus hat zu den Menschen in Gleichnissen gesprochen. Diese sind eben deshalb unvergänglich, weil man sie immer wieder neu deuten kann. Viele fromme Christen glauben, die Sätze der Bibel seien wörtlich zu verstehen. Das ist ein Irrtum. Um die Bibel in ihrer Vielschichtigkeit zu begreifen, bedarf es im Gegenteil zusätzlichen Wissens. Ein Beispiel:
Der Evangelist Markus berichtet von einer Griechin aus Syrophönizien, die Jesus gebeten habe, einen bösen Geist von ihrer Tochter auszutreiben. "Jesus aber sprach zu ihr: Lass zuvor die Kinder satt werden; es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnehme und werfe es vor die Hunde." "Hunde" war damals ein Schimpfwort für "Heiden". Das schroffe Wort von den Hunden wird verständlicher, wenn man weiß, dass die Juden Galiläas, die Kinder Israel also, die Brotlieferanten des reichen heidnischen Tyros in Syrien waren.
Zum Gleichnis wird die Geschichte allerdings erst, weil sie zeigt, dass Jesus kein Prinzipienreiter war sondern die individuelle Not sah und darauf einging. Möglicherweise wusste er von dem Zusammenhang zwischen Hunger und "Besessenheit", also psychischen Störungen. Die Frau gab sich nämlich nicht mit der Antwort Jesu zufrieden, ging auf sein Bild von den Hunden ein und erwiderte: "Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde unter dem Tisch von den Brotsamen der Kinder." Jesus ließ sich anrühren und antwortete ihr: "Um dieses Wortes willen geh hin, der böse Geist ist von deiner Tochter ausgefahren."
Service
Buch, Martin Urban, "Die Bibel. Eine Biographie", Verlag Galiani
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