Gedanken für den Tag
"Migration und Religion" von Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof
4. September 2010, 06:57
"Geh aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will" (1 Mose 12, 1).
Wenn Menschen ihre Heimat verlassen haben, welche Bedeutung hat dann Religion für sie in der neuen Heimat? Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker spricht in den "Gedanken für den Tag" über den Glauben, der mitgeht und trägt, auch und gerade wenn sich Menschen mit den Herausforderungen und Veränderungen, die der Aufbruch in eine neue Heimat mit sich bringt, konfrontiert sehen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.
Kein Chinese lebt in China so chinesisch wie in Chinatown in New York, heißt es. Zuwandernde aus Vietnam werden in Los Angeles plötzlich katholischer, als sie es in ihrer alten Heimat jemals gewesen sind. Die Religion verändert sich auch durch die Migration. Das ist ein langer Prozess, der mehrere Generationen umgreift. Bisher hat man gemeint, dass Religion nur in der ersten Generation der Zuwandernden eine besonders große Rolle spielt. Noch ist alles Neue fremd, da ist es erklärbar, dass die "tragbare Heimat" der Religion ganz besonders wichtig wird. In der zweiten Generation dann leben die Zugewanderten zwischen zwei Welten, der Herkunftsgesellschaft in dem Land, aus dem die Familie gekommen ist, dessen Sprache sie oft nicht mehr kennen und dessen Kultur ihnen fremd geworden ist, und der Aufnahmegesellschaft, deren Sprache sie erst gelernt haben oder noch lernen und deren Kultur ihnen noch fremd ist. In der dritten Generation, so war zu hören, werde die religiöse Bindung abnehmen, höchstens im privaten Rahmen werden die Menschen manchmal noch die Feste der Kindheit feiern. Das "Problem Religion" würde sich so quasi von selbst erledigen, es braucht nur ein bisschen Zeit. Aber das ist ein Irrtum. Gerade die dritte Generation zeigt heute oft ein neu erwachtes Interesse an der Kultur und der Religion der Herkunftsfamilie. "Was die Kinder vergessen möchten, das wollen die Enkel erinnern", lautet die kurz gefasste Formel dazu. Religion verschwindet nicht, im Gegenteil. Daher ist es besonders wichtig darauf zu achten, wie über Religion geredet wird und was Menschen über andere Religionen wissen. Dabei stellt sich immer wieder heraus, dass gerade die Begegnung mit der unbekannten Religion dazu herausfordert, über die eigene nachzudenken.
Als Abraham, der erste Migrant der Bibel, in das neue Land kommt, baut er an einer Eiche einen Altar. Er will seine Religion, die dort fremde, leben. Es wird bestimmt auch Altäre anderer, einheimischer Religionen gegeben haben. Aber keiner davon wird verboten oder gar zerstört. Es ist Platz genug da, das Gespräch beginnt.
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