Gedanken für den Tag
"Dem Tod in die Arme tanzen" - Zum 150. Todestag von Arthur Schopenhauer. Von Cornelius Hell
22. September 2010, 06:57
Der von Nietzsche, Richard Wagner, Tolstoi, Thomas Mann, Hermann Hesse und auch Samuel Beckett hochverehrte Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) war zu Lebzeiten ein verkannter Einzelgänger. Er ist einer der schärfsten Kritiker des Christentums und ein radikaler Pessimist, der überzeugt ist, dass der Welt ein unvernünftiges Prinzip zugrunde liegt. Für ihn schwingt das Leben "gleich einem Pendel, hin und her zwischen Schmerz und Langeweile". Und jede Hoffnung ist nur Illusion: "Der Lebenslauf eines Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt."
"Schopenhauer ist ein Sprachkünstler. Daraus entspringt sein Denken. Wegen der Sprache allein muß man ihn unbedingt lesen." Kein geringerer als Franz Kafka hat so über ihn gesprochen. Schopenhauers Sprache ist genährt von intensiver Lektüre internationaler Literatur - schließlich konnte er Englisch, Französisch, Italienisch im Original lesen. Sein Denken setzt bei einer fundamentalen Erfahrung ein, die den Menschen ausmacht: Der Verwunderung, dem Staunen über die Welt; und er versteht es, die philosophischen Grundfragen abseits der akademischen Gelehrtensprache zu formulieren.
Was Schopenhauers Denken so plastisch und farbig macht, ist aber auch, dass er nicht einfach abstrakte Theorien formuliert, sondern sich intensiv mit den aufkommenden Naturwissenschaften auseinandersetzt. Schon bei ihm kann man lesen, "daß unser Denken nichts Anderes ist, als die organische Funktion des Gehirns". In ähnlicher Weise hat er romantische Liebesvorstellungen demaskiert, die gerade in seiner Zeit hoch in Kurs standen - alles nur der Geschlechtstrieb, meint Schopenhauer. Mit dem hat er sich besonders auseinandergesetzt, weil er für ihn das Grundprinzip der Welt repräsentierte: Den blinden universalen Lebensdrang. Und auch im Menschen ist dieser Wille gleichsam der Herr und der Intellekt nur der Knecht.
Schopenhauer ist ein radikaler Desillusionierer und Ent-Täuscher, aber er weiß auch um das metaphysische Bedürfnis des Menschen. Die große Alternative zum Wollen, die Entlastung vom Leben und Leiden, findet er vor allem in der Kunst, und ganz besonders in der Musik. "Die Pulsschläge der Tonkunst haben nicht aufgehört zu schlagen durch die Jahrhunderte der Barbarei und ein unmittelbarer Widerhall des Ewigen ist uns in ihr geblieben, jedem Sinn verständlich und selbst über Laster und Tugend erhaben", schrieb Schopenhauer. Und er wusste, wovon er sprach: Er besuchte nicht nur Konzert, Opern und Theater, sondern er spielte auch selbst Musik - nach frühem Aufstehen und anstrengender Denk- und Schreibarbeit nahm er täglich seine Flöte, bevor er sich ein ausgiebiges Mittagessen gönnte. Auch das macht Schopenhauer faszinierend: Er nahm das Leben nicht nur auf vielfältige Weise war, sondern es spiegelt sich auch in seinem Denken.
Service
Das Werk von Arthur Schopenhauer ist in mehrere Ausgaben erschienen, u. a. gibt es eine Taschenbuchausgabe im Suhrkamp und im Diogenes Verlag. Auch einzelne Schriften liegen in verschiedenen Ausgaben vor.
Die Sendung stützt sich vor allem auf folgende Werke, die zum 150. Todestag erschienen sind:
Arthur Schopenhauer: Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen Pessimisten. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Volker Lütkehaus. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine Sammlung von Zitaten aus ganzem Werk, nach Themen geordnet; im Vordergrund steht die Lebenskunst. Der Herausgeber ist ein ausgewiesener Schopenhauer-Experte.
Arthur Schopenhauer: Senilia. Gedanken im Alter. Herausgegeben von Franco Volpi und Erst Ziegler. Verlag C.H. Beck, München 2010
Schopenhauers letztes Notizbuch (1852-60), erstmals vollständig veröffentlicht.
Volker Spierling, Kleines Schopenhauer-Lexikon. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003/2010
Zahlreiche Themen Schopenhauers werden, alphabetisch geordnet, in Zitat und Kommentar erschlossen - gut geeignet als Einführung in Schopenhauers Denken.
Robert Zimmer: Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine gut geschriebene neue Biografie, die Entstehung und Entwicklung des Denkens von Schopenhauer mit seiner Biografie und zeitgenössischem Denken in Beziehung setzt.
Rüdiger Safranski: Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987/2010
Die Neuauflage einer "klassischen" Philosophen-Biografie von Safranski, die das Spezifische des Schopenhauerschen Denkansatzes herausarbeitet.
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