Leseprobe
Neues aus österreichischen Verlagen. "ich bin in der Anstalt - Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk". Von Friederike Mayröcker. Es liest die Autorin. Redaktion: Edith-Ulla Gasser
3. Oktober 2010, 23:45
"ich bin in der Anstalt" nennt Friederike Mayröcker, die "Grande Dame der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur", ihre neue Prosaschrift. Es ist ein Buch der Betrachtungen von Körperlichkeit und Körperempfinden, ein Tasten nach den ständig sich verschiebenden Grenzen von Innen und Außen, ein Versuch ihrer Auflösung im Moment des Schreibens. Mayröcker ist dabei radikal nicht zuletzt mit sich selbst: "ich habe die Staubkrankheit, in Eschen laufend, ich wache auf mit dem Wort ZWISCHENGEBIRGE, wir fahren im Lift abwärts und ich ziehe 1 grünes Haar aus dem Ärmel seines schwarzen Mantels, Nixe mit grünen Haaren, der alte grüne Steingutteller mit den grünen Seerosenblättern, vor Wochen auseinandergebrochen, wieder geklebt, aus groszelterlichen Beständen oder weiter zurück, etwas wie Wollust über die Seerosenblätter zu streichen, imaginiere, wie sie, die längst Hingegangenen, ihre Speisen darauf verzehrt hatten, vermutlich Kuchenstücke, Bäckereien, denn es gab kein Leid in der Tiefe ihrer Schritte, ich heize, neige (dazu), überstürzt zu handeln, zu antworten, in Eschen laufend, und trug grünes Reisig unter den Augen, nämlich Rousseau, 'ich liebe es, mich mit Nichtigkeiten zu befassen, 100 Sachen anzufangen und keine zu Ende zu bringen, oder den ganzen Tag wirr und planlos zu vertändeln', mit grünen Ziegenblättern, etc." (aus: "ich bin in der Anstalt - Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk").
Die Biografieforscherin Birgit Rühe-Freist schreibt über die 1920 in Wien geborene Friederike Mayröcker: "Ihre Texte entziehen sich dem rationalen Zugriff, sind ein poetisches, oft melancholisches Gespinst, sind Träume, die uns bezaubern - und befreien. Doch sie kennt Zweifel an ihrer lebenslangen Schreibbesessenheit: '... ich habe alles verloren, vertan, versäumt, ich habe die falsche Richtung eingeschlagen, vielleicht ist Sprachästhetik, um die es mir seit den Anfängen gegangen ist, die falsche Zielsetzung gewesen, in dieser von Ungeheuerlichkeiten erschütterten Zeit.'."
Mehr als achtzig Titel hat sie veröffentlicht - Lyrik, Kurzprosa, Hörspiele, Kinderbücher, Romane. Unzählige Auszeichnungen und Preise würdigen ihr Lebenswerk.
Service
Friederike Mayröcker, "ich bin in der Anstalt - Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk", Suhrkamp Verlag