Gedanken für den Tag

"Ideen zur Verbesserung der Welt" von Kurt Remele

Kurt Remele ist Professor für Ethik und Gesellschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz.

"Die Bedürfnisse der Armen müssen Vorrang haben gegenüber dem Verlangen der Reichen nach Luxus, Arbeiterrechte gegenüber der Profitmaximierung, die Erhaltung der Umwelt gegenüber unkontrolliertem industriellem Wachstum und Produktion, die Grundbedürfnisse befriedigt, gegenüber jener, die militärische Güter erzeugt." Diese klare gesellschaftspolitische Prioritätensetzung stammt von Papst Johannes Paul II.

Der Sozialethiker Kurt Remele hat die katholische Soziallehre als ernst zu nehmende, gesellschaftskritische Unterweisung zur Weltverbesserung neu entdeckt. Zu denken gibt, dass das Wall Street Journal die Kapitalismuskritik der katholischen Soziallehre immerhin einmal als "aufgewärmten Marxismus" bezeichnet hat. Das ist freilich überzogen, weist aber auf den "utopischen Realismus" dieser Lehre hin, die einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Marxismus verwirklichen möchte. Zu erfahren, wie dieser näher aussieht und welche Folgen sich daraus für das persönliche Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse ergeben, ist eine durchaus spannende Sache. Kurt Remele erzählt davon in dieser Woche. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Gregory Baum und die vorrangige Option für die Armen

Wir haben uns am zweiten Tag der theologischen Konferenz vom offiziellen Mittagessen davongeschlichen und in einem von Edinburghs Supermärkten ein paar Sandwiches gekauft. In einem kleinen Park haben wir uns auf eine Bank gesetzt. Mein Gesprächspartner, der deutsch-kanadische Theologe Gregory Baum, war schon mit Kardinälen und Päpsten auf einer Bank gesessen und zwar als theologischer Berater, als so genannter Peritus, auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Am Ende unseres Gesprächs schenkte mir Baum, der in Toronto und Montreal Theologie gelehrt hatte, sein damals neuestes Buch. Es trug den ungewöhnlichen Titel, "Amazing Church" - "Erstaunliche Kirche".
 
Das "erstaunlich" im Titel von Baums 2005 erschienenem Werk bezieht sich auf die Tatsache, dass sich die katholische Kirche für den heute 87-Jährigen im Rückblick auf sein langes Lebens als erstaunlich reformwillig erwiesen hat. Besonders wichtig für Baum ist die Tatsache, dass sich die Kirche heute viel stärker als früher als Anwalt der unterdrückten, ausgebeuteten, an den Rand gedrängten Menschen versteht. Diese in den Befreiungstheologien entstandene "vorrangige Option für die Armen" hat nicht nur das theologische Denken Gregory Baums geprägt, sondern auch die katholische Soziallehre entscheidend beeinflusst. Den Blick nach unten zu richten und die Gesellschaft aus der Perspektive der Armen wahrzunehmen, ist meiner Meinung nach eine wertvolle Idee und ein entscheidender Impuls, die Welt zu verbessern.
 
Auch Johannes Paul II. hat sich diese Idee und diese Option zu Eigen gemacht. Als der Papst im Jahre 1984 Gregory Baums Heimat Kanada besuchte, stellte er in einer Ansprache in Toronto wörtlich fest: "Die Beseitigung der Not der Armen muss Vorrang haben vor den Luxusbedürfnissen der Reichen, Arbeiterrechte vor der Profitmaximierung, die Erhaltung der Umwelt vor unkontrolliertem industriellem Wachstum, die Befriedigung von Grundbedürfnissen vor der Güterproduktion für militärische Zwecke."

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