Salzburger Nachtstudio
Vandalismus: Sinnloser Akt oder politischer Protest? Eine kulturgeschichtliche Betrachtung zur neuen Zerstörungswut. Gestaltung: Anna Masoner und Marlene Nowotny
24. November 2010, 21:00
"Vandalismus" dient dazu, soziale Schichten zu stigmatisieren. Eine Unterschicht wird konstruiert. Oft weist der Vandalismus auch auf eine fehlende berufliche Perspektive, ökonomische Benachteiligung und Ausschluss von gesellschaftlichen Prozessen hin. Das galt für tatenlos herumlungernde Jugendliche im 18. Jahrhundert genauso, wie es heute für die Jugend vielerorts gilt. Die Pariser Vororte sind vom Phänomen dieser Gewalt besonders betroffen.
Vor 250 Jahren sollte die Sachbeschädigung noch durch gesunde Arbeitsangebote an der frischen Luft verhindert werden. Krankhafte Auswüchse, wie Sachbeschädigung und Aneignung des öffentlichen Raums, sollten so unterbunden werden. Bereits damals wurden die erste Schritte gesetzt, das Phänomen "Vandalismus" zu pathologisieren.
Doch nicht alles, was im öffentlichen Raum von Unbekannten verändert wird, muss als Vandalismus bezeichnet werden. Es kann auch als kritische Rückaneignung des öffentlichen Raums verstanden werden. Die Kulturwissenschaften überdenken so den Vandalismus im Zusammenhang mit Political Correctness und Mainstream. Das stigmatisierende Wort Vandalismus, wird für die Forscher/innen um die Soziologin und Psychologin Uta Brandes zu "Fandalismus" umgedeutet: vom verbrecherischen Akt zur bewussten Umgestaltung.
Entscheidend ist immer, wogegen sich der zerstörerische Akt richtet. Für den Historiker Alexander Demandt ist eine Gewalt gegen Kultur eine gesteigerte Form von Gewalt gegen Menschen. Kulturvandalismus bedeutet für ihn somit die "Beschädigung oder Beseitigung von Kunstwerken und Denkmälern in einem größeren politischen, ideologischen oder ökonomischen Kontext, in der Absicht oder mit der Folge einer Bewusstseinsänderung." Es ist der gewaltsame Versuch, Erinnerungen zu zerstören oder zu verändern, um Platz für neue Ideologien zu schaffen.
Der neueste Auswuchs des Vandalismus hat nichts mehr mit materieller Zerstörung zu tun. Er findet im Internet statt. Wo Daten gelöscht und Informationen mutwillig entfernt werden. Meist um das Gelöschte durch das eigene Werk, das eigene Wort zu ersetzen. Wie im Fall von Wikipedia. Diese Handlungen können politisch, religiös oder philosophisch motiviert sein. Es kann auch blanke Zerstörungswut dahinterstecken. Was sagt der Umgang mit dem Phänomen Vandalismus über die Gesellschaft selbst aus? Muss es immer als mutwillige Sachbeschädigung gedeutet werden? Ist der Vandalismus eine politische oder apolitische Erscheinung? Lässt sich sogenannter Vandalismus auch als positive Aneignung des öffentlichen Raums im Sinne eines demokratischen Prozesses denken?
Interviewpartner/innen:
Maren Lorenz, Historikerin, Universität Hamburg
Kurt Imhof, Soziologe und Medienwissenschaftler, Universität Zürich
Reinhard Kreissl, Soziologe, Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien
Sighard Neckel, Soziologe, Universität Wien
Uta Brandes, Soziologin und Designtheoretikerin, International School of Design, Köln
Marwan Mohammed, Soziologe, Centre des Recherches Sociologiques sur le Droit et les Institutiones Pénales, Paris
Robert Castel, Soziologe, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris
Alexander Demandt, Althistoriker, Freie Universität, Berlin
Alexander Halavais, Informations- und Medienwissenschaftler, Quinnipac University, Hamden USA
Service
Maren Lorenz: Vandalismus als Alltagsphänomen, Verlag Hanburger Edition: 2009
Uta Brandes (Hrsg.): Fandalismus. Von Vandalismus zu Fandalismus, Verlag Walther König: 2009
Kurt Imhof: Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne IN: Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft Band 01 (Hrsg. Carsten Winter, Andreas Hepp und Friedrich Krotz), VS Verlag für Sozialwissenschaften: 2008
Robert Castel: Negative Diskriminierung. Jugendrevolten in den Pariser Banlieus (aus dem Französischen übersetzt von Thomas Laugstien), Verlag Hamburger Edition: 2009
Alexander Demandt: Vandalismus. Gewalt gegen Kultur, Siedler Verlag: 1997
Sendereihe
Playlist
Jingle "Wegweiser"
Länge: 00:03 min
Wegweiser
Ausführender/Ausführende: vom Programmsprecher
Länge: 00:55 min