Gedanken für den Tag

"Liebe wächst in Alltagsritzen". Von Christine Hubka

Christine Hubka ist evangelische Theologin, Pfarrerin i. R. und Schriftstellerin.

Rote Rosen und Lebkuchenherz sind mögliche Zeichen für Liebe. Es kann aber auch Liebe sein, wenn der große Bruder zum kleinen sagt: "Du darfst ganz lange nicht mehr in mein Zimmer kommen." Denn Liebe treibt bunte Blüten.
Am Valentinstag und an den darauffolgenden Tagen erzählt Christine Hubka Alltagsgeschichten, die - vielleicht erst auf den zweiten Blick - von der Liebe handeln. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Jojo ist vier, Henni sechs und der große Moritz ist schon neun Jahre alt. Von früh bis spät wirbeln sie herum. Mal miteinander, aber auch immer wieder gegeneinander.
 
Henni und Moritz, die beiden Schulkinder, sitzen konzentriert an einem dreidimensionalen Puzzle. Eine komplizierte Angelegenheit ist das. Ich bewundere sie für ihre Ausdauer. Dem Jojo ist langweilig, weil die Großen nicht mit ihm spielen. Er streift durch die Wohnung. Lustlos. Grantig.
 
Endlich ist der Ball aus den vielen Puzzlesteinen fertig. Stolz präsentieren Moritz und Henni ihr Werk. Dann hängen sie sich an die Turn-Ringe. Nach so viel Konzentration ist Bewegung angesagt. Der mühsam zusammengebaute Ball bleibt unbeachtet im Zimmer der Großen liegen. Niemand bemerkt, wie Jojo sich anschleicht. Er holt das Werkstück aus dem Zimmer der Geschwister und verzieht sich damit in eine dunkle Ecke. "Jojo, was machst du?", schreit Moritz auf einmal und stürzt sich auf den Bruder. Aber es ist zu spät. Die Kugel ist schon zerstört. Die einzelnen Teile liegen verstreut herum. Jojo flüchtet unter sein Bett. Moritz schreit. Henni weint. Die Stimmung bleibt bis zum Abend trüb.
 
Als Jojo schon schläft, stehen die beiden Großen im Bad, putzen die Zähne und unterhalten sich. Henni sagt: "Ich hasse den Jojo." Moritz sagt: "Ich hasse den Jojo auch." Einvernehmlich schweigend putzen sie weiter die Zähne. Nach einer Weile sagt Moritz: "Aber eigentlich können wir ihn gar nicht hassen, er ist doch unser Bruder." Darauf sagt Henni: "Na gut, dann hassen wir ihn nicht. Aber wir lassen ihn ganz lang nicht mehr in unser Zimmer."
 
Liebe verzichtet auf Hass und verschließt Türen nicht für immer. Freilich sind diese besonderen Blüten der Liebe erst auf den zweiten Blick zu erkennen.

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