Gedanken für den Tag

von Gerhard Langer. "Zum jüdischen Purim-Fest oder Nicht jedes Jahr geschieht ein Wunder"

Gerhard Langer ist Professor für Geschichte, Religion und Literatur des Judentums an der Universität Wien.

Die Erzählung von Ester ist eines der faszinierendsten Bücher des Alten Testaments. In ihm ist zum ersten Mal in der Bibel vom Versuch, ein Volk - nämlich das jüdische - zur Gänze auszulöschen, die Rede. Die wunderbare Rettung geschieht durch Weisheit, Gottvertrauen und Eigeninitiative, geführt von einer Frau. Bis heute erinnert das Fest Purim an diese Erzählung. Die jüdische Tradition hat Ester wie ihren Onkel Mordechai auf vielfältige Weise weiterentwickelt, hat die Botschaft jeweils aktualisiert, von den mittelalterlichen Pogromen bis zu Hitlers Vernichtungskrieg weitergesponnen.

Grundlegende Elemente sind heute so aktuell wie damals. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Völkermord begegnen ebenso wie die unerschütterliche Hoffnung auf einen Gott, der im Verborgenen dennoch nicht abwesend ist, der, mit der tatkräftigen Hilfe der Menschen, rettet. Dass gerade Purim oftmals karnevalistische Züge annimmt, ist Ausdruck dieses niemals endenden Hoffens auf eine bessere Welt, die wohl nie ohne Wunder auskommt. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Fasching und Purim

Der jüdische Schauspieler Isaak Löwy erinnerte sich in seiner Schrift "Vom jüdischen Theater" an die Purim-Spiele seiner Kindheit Ende des 19. Jahrhunderts in Warschau. Er schreibt: "Nur zu Purim gab es ein Theater, denn dann klebte Vetter Chaskel einen großen schwarzen Bart auf sein kleines blondes Bärtchen, zog den Kaftan verkehrt an und spielte einen lustigen Handelsjuden - meine kleinen Kinderaugen haben sich von ihm nicht wenden können."

Die Erzählung der Rettung der Juden aus tiefster Bedrohung, wie sie sich im biblischen Buch Ester findet, wurde in der jüdischen Tradition auf mehrfache Weise weiterentwickelt. Im deutschsprachigen Raum gibt es im späten Mittelalter Purimspiele, die oft auf parodistische Weise die Geschichte zum Besten bringen. Wie der Fasching oder Karneval im christlichen Bereich ist natürlich auch Purim eine Möglichkeit, auf humorvolle Weise kritische Stimmen laut werden zu lassen, die Rabbiner und die Großen in der Gemeinde auf die Schaufel zu nehmen. Gleichzeitig wird Geld für wohltätige Zwecke gesammelt. Purimspiele waren bis in die Neuzeit die einzigen dramatischen Aufführungsformen, die innerhalb der jüdischen Gemeinden erlaubt waren. Später entwickeln sich Theaterstücke und musikalische Legenden. An Purim wird gerasselt, geklopft, getrampelt. An ihm, so heißt es schon im Talmud, soll man nicht nüchtern bleiben und solange trinken, bis man nicht mehr unterscheiden kann zwischen den Aussprüchen "Verflucht sei Haman" und "Gesegnet sei Mordechai" (Megilla 7b). Gleich danach wird eine Geschichte erzählt: "Rabba und Rabbi Zera feierten gemeinsam ein Purim. Sie berauschten sich, und Rabba stand auf und schnitt Rabbi Zeras Gurgel durch. Am nächsten Tag erbat er Erbarmen für ihn und belebte ihn (dadurch)." Im nächsten Jahr verweigert Zera wieder Purim mit Rabba zu feiern mit dem Argument: "Nicht zu jeder Zeit geschieht ein Wunder." An diesem Beispiel paaren sich Komik und Tragik, beides aufgehoben in der Kraft der Wunder, ohne die Purim nicht denkbar wäre. Aber Wunder und Rettung darf man nicht provozieren und wer sie einmal erlebt hat, geht vorsichtig damit um.

Service

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110325 Gedanken für den Tag / Gerhard Langer
Länge: 02:41 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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