Gedanken für den Tag
von Michael Krassnitzer. "Vom Ende der Unschuld" - zum 100. Geburtstag des Schriftstellers William Golding
20. September 2011, 06:56
Der britische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger William Golding wäre am 19. September 100 Jahre alt geworden. All seinen Werken ist ein pessimistischer Grundtenor eigen, dennoch handelt es sich um Allegorien auf grundlegende menschliche und gesellschaftliche Konflikte, reich an Anleihen aus der christlichen Symbolik und der Mythologie. Sein Hauptwerk "Herr der Fliegen" dreht sich um die Gegensätze von Zivilisation und Barbarei, Demokratie und Gewaltherrschaft, Individuum und Gruppe, Rationalität und Emotionalität - und ist ein Plädoyer für ethisches Handeln.
Über ein halbes Jahrhundert später hat dieses Werk nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt, ist Michael Krassnitzer überzeugt.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.
Willam Golding gilt als großer Pessimist, der nur das Schlechte im Menschen sah. "Der Mensch produziert Böses so wie Bienen Honig", sagte der Schriftsteller, an seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg anknüpfend. Der Kriegsveteran, der als einfacher Matrose an der Versenkung des deutschen Schlachtschiffes Bismarck und als Marineoffizier an der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 beteiligt war, sah Grausamkeit und Bösartigkeit nicht nur auf Seiten der Nazis, sondern auch auf der eigenen Seite.
Sein bedeutendstes Werk, "Herr der Fliegen", kann so interpretiert werden, dass der Mensch von Natur aus böse ist: Sobald der dünne Lack der Zivilisation einmal abgeblättert ist, fällt die Menschheit zurück in die Barbarei. Goldings zweites Buch "Die Erben" erzählt davon, wie der intellektuell überlegene Homo sapiens die als gutherzig und naturverbunden geschilderten Neandertaler gewissenlos ausrottet. Die menschliche Niedertracht zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk.
Doch William Golding wehrte sich Zeit seines Lebens gegen den Vorwurf des Pessimismus. In seiner Nobelpreisrede bezeichnete er den Menschen sogar als "Wunder der Schöpfung". "Es ist so, dass Pessimismus stets deutlicher hervortritt", sagte er ein anderes Mal: "Wenn man blaue und rote Fäden zu einem Knäuel zusammenwickelt, dann wird auch das Rot deutlicher sichtbar."
Ich glaube, da hat Golding recht: Das Böse sticht deutlicher ins Auge als das Gute, weil es nun einmal eine ungeheure Faszination auf uns ausübt. Nicht unbedingt, weil wir so böse sind. Oft ist man doch von dem am meisten angezogen, das einem am meisten widerstrebt. Wären wir durch und durch böse, so wären wir besessen vom Guten. Oder?
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Sendereihe
Playlist
Titel: GFT 110920 Gedanken für den Tag / Michael Krassnitzer
Länge: 03:50 min