Gedanken für den Tag

Von Julian Roman Pölsler. "Ein neues Leben in der fremden Welt" - Assoziationen zu Marlen Haushofers Roman "Die Wand". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Anlässlich der Deutschland-Premiere seiner Verfilmung des berühmten Romans "Die Wand" der oberösterreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer, greift der Drehbuchautor und Regisseur Julian Roman Pölsler in den "Gedanken für den Tag" Aspekte der vielschichtigen Erzählung heraus und stellt seine persönlichen Assoziationen und Gedanken dazu vor.

In Haushofers Roman "Die Wand" fährt eine Frau mit Freunden übers Wochenende in deren Jagdhaus im Wald. Abends gehen die Gastgeber ins Tal und tauchen am nächsten Morgen nicht mehr auf. Als die Frau nach ihnen sucht, entdeckt sie eine unsichtbare Wand, hinter der es offenbar kein Leben mehr gibt. Mit einem Hund, einer Kuh und einer Katze stellt sie sich den Herausforderungen ihres neuen Lebens.

"Der Film erzählt vom individuellen Wandlungsprozess einer Frau, die durch ein unerklärbares Phänomen gezwungen wird, mit ihrem gewohnten Leben zu brechen und in einer fremden Welt ein völlig neues Leben zu führen", erklärt Regisseur Julian Roman Pölsler.

Die oberösterreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer schreibt in ihrem Roman "Die Wand" über Angst und ihre Überwindung:
 
"Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. Ich bin ganz allein, und ich muss versuchen, die langen dunklen Wintermonate zu überstehen.
Ich habe diese Aufgabe auf mich genommen, weil sie mich davor bewahren soll, in die Dämmerung zu starren und mich zu fürchten. Denn ich fürchte mich. Von allen Seiten kriecht die Angst auf mich zu, und ich will nicht warten, bis sie mich erreicht und überwältigt. Ich werde schreiben, bis es dunkel wird, und diese neue, ungewohnte Arbeit soll meinen Kopf müde machen, leer und schläfrig. Den Morgen fürchte ich nicht, nur die langen, dämmrigen Nachmittage".
 
Marlen Haushofer hat in ihrem Roman "Die Wand" - und nicht nur da - gegen die Angst angeschrieben. Zeit ihres Lebens ist sie das Gefühl nicht los geworden, dass sie mit geschlossenen Augen auf dem Rücken schwimmend auf die großen Wasserfälle zutreibt, die in der Ferne rauschen. Wie ich auch. Die Frage ist: Will ich diese Angst wahrhaben? Was tun mit ihr? Wie ihrer Herr werden? Womit sie überwinden? Wie diesen Tag beginnen, wenn die Angst mit mir aufwacht und alles ins selbe Dunkel taucht. Sie einfach abschütteln? Sie hinunter drücken? Vor ihr davonlaufen, hinein in den Tag? Gegen sie anschreiben? Gegen sie anbeten, wie Christus im Garten Getsemani? Oder gegen sie andenken? Nachdenken, darüber, ob diese Angst mich nicht vielleicht davor bewahrt, blind ins Unglück zu laufen. Nicht Angst zu haben vor einer Angst, die mich nur warnen will vor zu viel Zuversicht, die dem Leichtsinn nahe kommt. Dessen eingedenk sein, was so treffend in einem Liedtext formuliert wurde: "Und es gibt eine Angst, die macht klein, die macht einen krank und allein. Und es gibt eine Angst, die macht klug, mutiger, freier von Selbstbetrug."

Service

Buch, Marlen Haushofer, "Die Wand", List Verlag

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 120123 Gedanken für den Tag / Julian Pölsler
Länge: 03:49 min

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