Da capo: Im Gespräch
"Der Stoff der Heimat": Die verlorene Unschuld der Tracht? Michael Kerbler spricht mit Othmar Schmiderer, Dokumentarfilmer und Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Volkskundlerin
11. Mai 2012, 16:00
In seinen Anfängen war der grau-grüne Trachten-Gehrock, den Erzherzog Johann als äußeres Zeichen seiner Anti-Metternich-Haltung getragen hat, ein Symbol des Liberalismus. Im österreichischen Ständestaat und während der Diktatur der Nationalsozialisten wurde die Tracht systematisch politisch instrumentalisiert. In den zurückliegenden Jahren ist es hierzulande zwar gelungen, die Tracht aus der Synonymrolle für "völkische Gesinnung", zu befreien, gänzlich konnte sich das "Gwand" vom Image Lieblingskleidung von rückwärtsgewandten Traditionalisten zu sein, nicht lösen.
Der Ethnologe Dr. Bernhard Tschofen vertritt die Auffassung, dass der politische Missbrauch der Tracht dieser gleichsam eingewirkt ist: "Wer sich Tracht anzieht, verbindet sich automatisch mit der Geschichte einer Idee. Tracht ist sehr wohl Teil der völkischen Geschichte und daher ist auch Reflexion notwendig. In Österreich wird die Tracht den Geschmack des Völkischen nicht mehr loswerden."
Dem entgegenet der Schauspieler Miguel Herz-Kestranek: "Dieser Ansicht widerspreche ich ganz entschieden. Beim Umgang mit der nationalistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit, dem eindeutigen Missbrauch der Tracht, ist Lauterkeit gefordert. Wenn wir ihre Vergangenheit mit einem gereinigtem Gewissen betrachten, werden keine Angriffe auf die Tracht mehr möglich sein, auch keine Vereinnahmung der Tracht." Herz-Kestranek kommt auch in der neuen von Othmar Schmiderer gedrehten Dokumentation "Stoff der Heimat" zu Wort, in der über Ursprung, Einfluss und Funktion der Tracht im 21.Jahrhundert reflektiert wird.
Michael Kerbler hat den Dokumentarfilmer Othmar Schmiderer und Ulrike Kammerhofer-Aggermann - sie leitet das Salzburger Institut für Volkskunde - zum Gespräch über die verlorene Unschuld der Tracht eingeladen.
Service
Der Dokumentarfilm "Stoff der Heimat" erhielt am vergangenen Wochenende beim 60. Trento Filmfestival den Preis des "Museo Usi e Costumi della Gente Trentina" für die beste Dokumentation über Traditionen und Kleidung der Bevölkerung des alpinen Raumes. Der Dokumentarfilm wird zurzeit im Filmhaus Kino in Wien, im "Das Kino" in Salzburg, im "Schubertkino" in Graz, und ab Ende Mai unter anderem im "Kesselhauskino" in Krems gezeigt.