Im Gespräch
"Zwischeneuropa". Michael Kerbler spricht mit Hugo Portisch, Journalist
28. Juni 2012, 21:00
"Was jetzt?" So hat zu Jahresbeginn Hugo Portisch, einer der bedeutendsten lebenden österreichischen Journalisten, sein Pamphlet betitelt, in dem er die zentralen Fragen über die Zukunft in einem weiterhin geeinten Europa analysierte. Europa, wohl als Wirtschaftsunion gegründet, dürfe - so Portisch - als politische Union nicht scheitern.
Was aber ist in der aktuellen Situation von den europäischen Staaten zu leisten, damit die Zentrifugalkräfte nicht die Oberhand gewinnen? Was muss und kann getan werden, um die Bürger Europas wieder stärker in den demokratischen Meinungsbildungsprozess einzubeziehen? Wie sieht Portisch etwa die Zukunft der demokratischen Systeme Europas? Wird es mehr direkte Bürgerbeteiligung geben (müssen)? Welche Rolle spielen die Parlamente der Nationalstaaten? Wird die Aufsplitterung der Parteienlandschaft und die Erstarkung außerparlamentarischer Gruppierungen der Zivilgesellschaft den demokratischen Diskurs stärken oder schwächen?
Diese Fragen sind mit Blick auf das europäische Wertefundament zu stellen. Werte, die Europa seit zweitausend Jahre tragen. Und die durch die Fragestellungen, mit denen Sokrates die Bürger Athens zum Nachdenken anregen, ja zwingen wollte, Gestalt annahmen. Etwa: Was ist die Wahrheit? Was ist Gerechtigkeit? Was das Gute? Dem ist in der aktuellen politischen Phase eine entscheidende Frage hinzuzufügen: "Was macht Europa aus?"
Mit seinen Fernsehproduktionen Österreich I und II hat Hugo Portisch das Geschichtsbewusstsein einer ganzen Nation geprägt. Die Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg, die er gemeinsam mit dem ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger erstellte, sorgte für weltweites Aufsehen. Kissinger hat damals das Europa nach dem Wiener Kongreß 1815 als "Zwischeneuropa" bezeichnet.
Zweihundert Jahre später könnte sich erweisen, dass sich Europa - aus gänzlich anderen Gründen - in einem solchen Stadium wiederfindet.
Service
Hugo Portisch: "Was jetzt", Ecowin Verlag
Eberhard Sandschneider: "Der erfolgreiche Abstieg Europas. Heute Macht abgeben, um morgen zu gewinnen", Carl Hanser Verlag
Oskar Negt: "Gesellschaftsentwurf Europa. Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen", Steidl Verlag
Thomas Strobl: "Ohne Schulden läuft nichts. Warum uns Sparsamkeit nicht reicher, sondern ärmer macht", dtv Verlag
Colin Crouch: "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus: Postdemokratie II", Suhrkamp Verlag
Gerhard Schulze: "Krisen. Das Alarmdilemma", Fischerverlag
Norbert Schreiber, Lojze Wieser (Hg.): "Europa was nun? Träume und Traumata", Edition Geist und Gegenwart, Wieser Verlag