Gedanken für den Tag

Von Johanna Schwanberg. "Malerischer Dialog mit der Bibel" - Gedanken zum 125. Geburtstag von Marc Chagall. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seit seiner Kindheit war Marc Chagall fasziniert von der Bibel, von der er einmal sagte: "Sie scheint mir noch immer die bedeutendste Quelle der Dichtung aller Zeiten zu sein. Seither suche ich im Leben wie in der Kunst nach ihrem Widerschein."

Anhand einzelner Gemälde beleuchtet die Kunstkritikerin Johanna Schwanberg Marc Chagalls Leben und Schaffen als einer der bedeutendsten Maler der Moderne. Im Zentrum steht dabei Marc Chagalls Auseinandersetzung mit religiösen und existentiellen Themen. Als in Weißrussland geborener jüdischer Maler, der in der Metropole der Avantgarde in Frankreich lebt, versucht Chagall eine Bildsprache zu finden, die sowohl seiner jüdischen Identität als auch der christlichen Kunsttradition gerecht wird.

Liebe

"In der Kunst wie im Leben ist alles möglich, wenn es auf Liebe gegründet ist", war Marc Chagall überzeugt. Naiv oder kitschig ? Keineswegs. Kann nicht die positive Kraft einer liebenden Lebenshaltung tatsächlich manchmal Berge versetzen? Marc Chagall hat sich nicht mit Worten begnügt. Vielmehr hat er Liebe und Lebensfreude in vielen Bildern mittels Farben und Formen zum Ausdruck gebracht. Nicht umsonst gehören seine schwebenden Liebespaare - oft auch in Kombination mit einem Blumenstrauß - zu begehrten Motiven von Hochzeitsbillets.

Der russisch-jüdische Maler hat der Liebe auch in seinem Leben einen großen Platz eingeräumt. Die Beziehung zu seiner Jugendliebe Bella Rosenfeld, die er 1915 heiratet, gehört zu den glücklichsten Ehen der Kunstgeschichte. Die erste Begegnung mit ihr schildert Chagall in seiner Autobiografie "Mein Leben" bilderreich: "Ich öffnete nur mein Zimmerfenster, und schon strömten Himmelblau, Liebe und Blumen mit ihr herein. Ganz weiß gekleidet oder ganz in Schwarz geisterte sie schon lang durch meine Bilder, als Leitbild meiner Kunst."

Bella ist in der Kunst Chagalls allgegenwärtig. Einmal als Venus, einmal als Bathseba, einmal als Sulamith aus dem Hohelied Salomos. Mehr noch als die reale Liebe zwischen dem Maler und seiner Frau fasziniert mich, dass Chagall Bilder von Liebenden geschaffen hat, die über die Zeiten hinweg Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen berühren. Bilder, die in ihrer Farbintensität und der Leichtigkeit ein Gefühl vermitteln, das im Alltag nur selten in zwischenmenschlichen Beziehungen lebbar ist. Wenn allerdings dieses Gefühl des Außergewöhnlichen plötzlich aufflackert - in besonders innigen Momenten mit Menschen, denen ich nahe bin - dann sehe ich Chagalls Gemälde "Über der Stadt" vor mir. Scheinbar schwerelos fliegt hier ein blaugrün gemaltes Paar weit über die Dächer hinweg. Rundherum nichts als Weiß.

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Titel: GFT 120703 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:49 min

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