Gedanken für den Tag

Von Carla Amina Baghajati. "Poetisches zum Ramadan". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Der Fastenmonat Ramadan ist über seine religiöse Bedeutung hinaus tief in den Kulturen muslimischer Gesellschaften verwurzelt. So hat der Ramadan als Motiv auch in die Literatur Eingang gefunden. In Prosawerken liefert er häufig einen Hintergrund für menschliche Konflikte, der Widersprüche zwischen ethischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit noch schärfer in Szene setzt, gerade darum aber mit manchmal unbequemen Erkenntnissen konfrontiert. In der Poesie zeigt sich eine starke mystische Ausrichtung. Werte wie soziale Gerechtigkeit, Spiritualität, Geduld, Freiheit, Versöhnung und Dialog können über den Ramadan und seine Ideale thematisiert werden.

Die in dieser Woche von Carla Amina Baghajati ausgewählten und präsentierten Texte rücken jeweils einen der genannten Werte ins Zentrum. Von Yunus Emre bis zu Assia Djebar und Orhan Parmuk spannt sich der literarische Bogen und öffnet den Blick auf muslimische Denkens- und Lebensweise zum Ramadan.

Der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der vor kurzem seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, versteht es in seinem Roman "Das schwarze Buch" die alte Frage nach dem "Wer bin ich und wohin geh' ich" als Identitätssuche in einer globalisierten Welt zu schildern, in der Elemente eines Kriminalromans mit Motiven der Mystik verschwimmen, Kultur des Ostens und des Westens eine undurchdringliche Einheit in verwirrender Vielfalt bildet. Zu lesen ist sein Roman geradezu als Geistesgeschichte des Suchens, in der sich die alten sufitischen Motive - die vierzigtägige Einkehrpraxis oder das Bild des Spiegels - mischen mit der Moderne. Was das mit Ramadan zu tun hat? Ramadan als Zeit des Innehaltens, des sich selbst bewusst Werdens mit seiner gleichzeitigen sozialen Komponente des gesellschaftlichen Ausgleichs ist Suchen und Streben nach Balance, Identität als einer von Gott geschenkten Möglichkeiten gerecht werden, sich selbst gerecht werden. Orhan Pamuk schreibt:

Und so hatte sich Mevlana (damit ist Mevlana Rumi, der bekannte Dichter gemeint) nach Damaskus begeben und begonnen, in den Straßen der Stadt nach seinem Geliebten zu suchen. Er hatte jede Straße, jeden Raum betreten, hatte in jede Schenke, in jeden Winkel, unter jeden Stein geschaut, so dass nach einer gewissen Zeit das Suchen an sich wichtiger als das Finden geworden war. Nicht das Finden, sondern die Verfolgung des Ziels war wichtiger und nicht der verlorene Geliebte, sondern die als Vorwand benutzte Liebe trat in den Vordergrund. Die Wahrheitsfindung des wandernden Derwischs und das den Gradstufen zum Erlangen der endgültigen Weisheit entsprechende Erleben wurden kurz beschrieben: Sie entsprachen den verschiedenen Stufen des vierzig Tage währenden Fastens und Entbehrens. So war das Verstehen des Dichters, dass er selbst es war, den er suchte, ein dem gleichen Buch entnommenes Beispiel für das Sichauflösen im Absoluten.

Service

Buch, Orhan Pamuk, "Das schwarze Buch", Fischer Taschenbuch

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Titel: GFT 120721 Gedanken für den Tag / Carla Amina Baghajati
Länge: 03:49 min

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