Gedanken für den Tag

Von Andreas Muhar. "Was ich alles nicht weiß" - Wissenswertes über das Nichtwissen. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Die Integration verschiedener Wissensarten ("Expertenwissen", "Laienwissen") bei der Lösung von Nachhaltigkeitsfragen ist einer der Forschungsschwerpunkte von Andreas Muhar, Professor an der Universität für Bodenkultur Wien.

In den "Gedanken für den Tag" setzt er sich rund um den Beginn des neuen Schuljahres mit dem "Nichtwissen" auseinander. Dieses sei nämlich oft besser als sein Ruf, so Muhars provokante These.


Die Produktion von Nichtwissen

Die wichtigste Aufgabe jeglicher Forschung ist es, Wissen zu produzieren. Dabei wird Nichtwissen zu Wissen transformiert. Die Erkenntnistheorie ist ein wichtiges Teilgebiet der Philosophie und beschäftigt sich mit der Frage der Wissensproduktion.

Wie aber entsteht eigentlich das Nichtwissen? Kommt es quasi aus dem Nichts heraus oder wird es irgendwie gemacht? Wir werden wohl mit viel Nichtwissen geboren und vergessen auch im Lauf des Lebens immer etwas. Wenn wir durch Lernen, durch Forschung, durch Beschäftigung mit einer Fragestellung immer mehr Wissen anhäufen, geht uns dann irgendwann einmal das Nichtwissen aus? Ist es schon jemals vorgekommen, dass ein Forschungsinstitut gesagt hat, wir sperren jetzt zu, weil wir schon alles über unser Forschungsfeld wissen?

Wahrscheinlich ist es genau umgekehrt: Je mehr wir uns mit einer Sache beschäftigen, desto mehr entdecken wir, was wir alles noch nicht wissen. Erst das gewonnene Wissen ermöglicht uns, wieder neue Fragen zu stellen, Unbekanntes anzudenken.

Vor hundert Jahren hat Albert Einstein die Relativitätstheorie entwickelt und damit die Physik revolutioniert. Das, was seine Erkenntnisse offen gelassen haben, beschäftigt seither Generationen von Physikern, und jedes neue Experiment in den riesigen und aberwitzig teuren Kernforschungszentren bringt uns zwar ein Stück weiter, eröffnet uns aber auch stets neue, immer komplexere Fragen. Jede technische Innovation führt zu neuen sozialen und ethischen Fragen. Vor der Entwicklung der Atomtechnologie musste sich niemand den Kopf über die ethischen Konsequenzen ihrer Anwendung zerbrechen.

Forschung produziert also nicht nur Wissen, sondern immer auch Nichtwissen; ich kann nicht einmal sagen, ob das ein Nullsummenspiel ist. Die Menschheit hatte wohl noch nie so viel Wissen wie heute, aber sie hatte wohl auch noch nie so viel Nichtwissen.

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Titel: GFT 120905 Gedanken für den Tag / Andreas Muhar
Länge: 03:49 min

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