Radiokolleg - Sterben in Zeitlupe
Die Rekonstruktion einer Kettenreaktion (3). Gestaltung: Barbara Zeithammer
31. Oktober 2012, 09:30
In einer Zeit, in der wir scheinbar "über alles reden können", wird ein Thema kaum angesprochen: das Sterben. Und das, obwohl wir mehr über den Tod wissen, als je zuvor.
Das Sterben beginnt im Grunde noch vor der Geburt; von Beginn an ist es Teil des Lebens: wenn zum Beispiel die Hände oder Zehen gebildet werden, sind sie in einer bestimmten Entwicklungsphase von Schwimmhäuten umgeben. Die Zellen dieser Häute müssen sterben, damit die Finger und Zehen später einzeln bewegt werden können - sie sterben kontrolliert, programmiert. Gleiches passiert bei der Entwicklung des Nervensystems: bei der Entstehung von Milliarden Nervenzellen, geht manchmal auch etwas schief, manche Zellen finden nicht zu ihrem Ziel - auch sie werden in den Tod geschickt. Ohne den programmierten Zelltod gäbe es keine Entwicklung. Das gilt auch für den erwachsenen Menschen: Hautzellen sterben nach etwa zwei bis vier Wochen und fallen als Schuppen ab. Riechzellen werden nach ein bis zwei Monaten abgebaut, Blutkörperchen bereits nach wenigen Tagen.
Unsere Gesundheit hängt von diesem kontrollierten Sterben ab. Bei Krebszellen funktioniert der Prozess des programmierten Zelltodes nicht mehr; das Programm, nach dem eine Zelle zu Grunde geht, ist gestört. Krebszellen sind unsterblich. Das "natürliche" Sterben eines Organismus läuft in verschiedenen Phasen ab. Wenn der Herzstillstand eintritt, kann das Hirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden - es folgt bereits nach wenigen Minuten der Hirntod; die Gehirnzellen sind die ersten Zellen, die absterben. Diese Phase wird auch als klinischer Tod bezeichnet; ein Mensch, der nicht mehr atmet und dessen Herz nicht mehr schlägt, kann noch reanimiert werden. Doch das Gehirn kann irreparabel geschädigt sein. Der Hirntod ist in der modernen Medizin das Konzept, nach dem ein Körper als juristisch tot gilt. Ist ein Mensch hirntot, können seine Organe für Transplantationen entnommen werden. Nach dem Sterben der Neuronen folgt der Tod der Zellen von Herz, Leber und Lunge; erst ein bis zwei Stunden später sterben auch die Zellen der Nieren ab. Es dauert etwa zwei Stunden bis die Leichenstarre einsetzt - jenes Phänomen, das wohl die Wurzel des heutigen Begriffes "Sterben" darstellt. Etymologisch stammt das Wort wohl aus dem Germanischen, und leitet sich von "steif, starr werden" ab.
Mit dem Tod kommen alle Lebensprozesse zum Erliegen. Bart, Fingernägel oder Haare wachsen nicht mehr weiter, auch wenn sich diese Annahme bis heute hartnäckig hält. Zumindest wachsen sie nicht mehr sichtbar weiter - denn das Gehirn stirbt als erstes und die Bindegewebszellen können sehr wohl noch einige Stunden weiterleben.
Service
Interviewpartner
Teil 1:
Anton Laggner, Vorstand der Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien, Allgemeines Krankenhaus
Irene Lang, Abteilung für Kardiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin II der Medizinischen Universität Wien, Allgemeines Krankenhaus
Heinz Ludwig, Vorstand der I. Medizinischen Abteilung, Zentrum für Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin, Wilhelminenspital Wien
Teil 2:
Eva Schaden, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin, Abteilung für allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin der Universitätsklinik für Anästhesie, allgemeine Intensivmedizin und Schmerzmedizin der Medizinischen Universität Wien, Allgemeines Krankenhaus
Andreas Gruber, leitender Oberarzt der Intensivstation der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Wien, Allgemeines Krankenhaus
Anton Laggner
Andreas Schober, Assistenzarzt in Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin an der Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien, Allgemeines Krankenhaus
Christian Kopetzki, Leiter der Abteilung Medizinrecht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien
Teil 3:
Christian Kopetzki
Anton Laggner
Wolfgang Denk, Facharzt für Gerichtsmedizin, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
Leben retten, Erste Hilfe und Notfallmedizin
"Herzstillstand: Raschere Notfallhilfe würde zahlreiche Menschen retten. Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien
"Notfallmedizin: Herz-Lungen-Maschine bringt klinisch Tote ins Leben zurück". Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien
Das Projekt "Lebenretten" von Notfallmediziner Fritz Sterz
LISA - Life Sciences in Austria
Ökonomische Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz
"Denken Sie über den Tod nach?" Zum Tod des großen Loriot: Ein Interview vom 21. Juni 2002, Süddeutsche Zeitung
Statistik Austria: Todesursachenstatistik
Elisabeth Kübler-Ross Foundation
T. Ziegenfuß, "Notfallmedizin", Springer Berlin Heidelberg 2011
Gisela Zimmer, "Prüfungsvorbereitung Rechtsmedizin", Thieme 2009
Michael Tsokos, Veit Etzold, "Dem Tod auf der Spur. Dreizehn spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin", Ullstein Taschenbuch 2009
Elisabeth Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden. Droemer Knaur 2001