Gedanken für den Tag
von August Schmölzer. "Mit meinen Sinnen und darüber hinaus". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer
23. November 2012, 06:56
Schmecken
Wie herrlich Obst und Gemüse in meiner Kindheit schmeckten, es war nicht immer schön, doch reif und saftig, von einem Duft, einzigartig. Das Gemüse im Garten meiner Mutter hatte einen Geschmack, als hätte der liebe Gott ihr bei der schweren Gartenarbeit geholfen. Die ersten Paradeiser schmeckten mit Essig, Kernöl und selbst gemachtem Brot herzhaft nach der langen Entbehrung des Winters. Die Gurken mit Rahm, die Erdäpfel, der Salat, die Bohnen und alles, was noch wuchs in unseren Breiten. Jedes Obst, jedes Gemüse braucht seine Zeit zu reifen, wie ein geliebter Mensch, um seinen unverwechselbaren Geschmack zu bekommen, der sich einprägt und nach dem wir uns ein Leben lang sehnen werden. Heute gibt es das ganze Jahr über oft geschmackloses Obst und Gemüse aus aller Welt. Äpfel aus Neuseeland, Blumen aus Übersee und Afrika. Mit Gift, das die Einheimischen krank macht, herangezogen, radioaktiv bestrahlt haltbar gemacht, zu früh geerntet, um den langen Transport zu überstehen.
Wie kann eine Blume schön sein, wenn sie durch Armut erblüht, wie kann uns der Kaffee schmecken, an dessen zu billigem Preis die Kaffeebauern zugrunde gehen, und noch vieles, das mit Schmerzen anderer Menschen erkauft, hierzulande zu billig angeboten wird. Ein Kilo steirischer Äpfel ist teurer als ein Kilo Bananen aus Brasilien. Ich nehme mich selbst da gar nicht aus: Obwohl ich um diese Ungerechtigkeit weiß, verdränge ich oft das Elend der Anderen, für ein paar Cent, die alles billiger ist. Werden wir denn als Menschen noch reif? Anstatt etwas zu unternehmen entziehe ich mich auch meiner Verantwortung, indem ich mich träumend in meine Kindheit flüchte, ohne lastendes Schuldgefühl, durch die duftende Blumenwiese unseres Obstgartens gehe, auf Bäume klettere, um mit Wespen und Vögeln um richtige Kirschen, Äpfeln, Marillen und Zwetschken wettzueifern. Dabei könnte man es wie der Priester und Sozialpionier Adolph Kolping, dessen Geburtstag sich nächstes Jahr zum hundertsten Mal jährt, auf eine recht einfache Formel bringen: "Wenn jeder auf seinem Platz das Beste tut, wird es in der Welt bald besser aussehen."
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Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Titel: Brandenburgisches Konzert Nr.4 in G-Dur BWV 1049
* Allegro - 1.Satz (00:06:53)
Ausführende: The English Concert
Leitung: Trevor Pinnock
Länge: 02:00 min
Label: DG 4105012